Man kann sich nur schwer vorstellen, wie dieser Film gepitcht wurde. „Ein Film über Elvis, in dem ein elfjähriges Mädchen auf dem Rücksitz eines Roll-Royce zu Countrymusik jodelt und Chuck D und Alec Baldwin die Probleme der amerikanischen Gesellschaft erklären“, wäre eine Möglichkeit. Hinter dem Titel „The King“ verbirgt sich nämlich nicht etwa nur ein Biopic, sondern eine Bestandsaufnahme der heutigen USA und des amerikanischen Traums am Beispiel des Werdegangs und vor allem des Verfalls von Elvis Presley. Er, der wie kein anderer den amerikanischen Traum verkörperte, (ver)endete im Alter von nur 42 Jahren aufgedunsen in Las Vegas. „America under Trump is like Fat Elvis: Doomed“, bringt Regisseur Eugene Jarecki es auf den Punkt. Und so führt uns sein Film auf den Spuren einer der größten Ikonen des 20. Jahrhunderts nicht nur geografisch quer durch die Vereinigten Staaten, sondern auch durch die Kultur, Geschichte und Politik der USA von Elvis’ Lebzeiten bis heute.
Jareckis Reise beginnt an Elvis’ Geburtstort Tupelo, Mississippi, und führt uns über Memphis, Nashville und einige Umwege nach Las Vegas. Ein Roadtrip, wie er amerikanischer nicht sein könnte. Fast. Denn um die Metapher des dekadenten Elvis aus der Las Vegas-Periode zu unterstreichen, reist der Regisseur nicht in einem Cadillac durch die USA, sondern in Elvis’ ehemaligem Rolls Royce – einem Auto, das mehr „King“ als „Rock ’n’ Roll“ vermittelt.
Dabei hatte Amerika sich die Unabhängigkeit vom englischen König doch einst mühsam erkämpft, eine Ironie, derer Jarecki sich voll bewusst ist. Wenn der majestätische silberne Wagen durch ärmliche Siedlungen und Landschaften rollt, wirkt er wie ein Fremdkörper, man will fast sagen: ein UFO. Ein Geniestreich, denn er öffnet Jarecki alle Türen. Aber auch er öffnet die Türen, und so nehmen im Laufe des Films Wegbegleiter, Musiker und auch mal ein Anhalter mit Hund auf der Rückbank des Rolls Royce Platz, sprechen, musizieren und philosophieren. Diese Begegnungen sind mal nachdenklich, mal bewegend und mal komisch.
Unter den Mitfahrern sind Wegbegleiter von Elvis, Countrygrößen wie Emmylou Harris sowie eine ganze Reihe von völlig unerwarteten O-Ton-Gebern (Geniestreich Nummer 2), die faszinierende Beobachtungen zu Elvis, dem amerikanischen Traum, Politik und den Machtgewerken der Kulturindustrie äußern, die Elvis erst zur Marke und dann zu ihrer Marionette machten. Allen voran Ethan Hawke, der sich als wahrer Elvis-Experte entpuppt, Alec Baldwin, der die gegenwärtige politische Situation bewertet, und Chuck D, der das dritte große Thema des Films diskutiert: kulturelle Aneignung.
Als Mitglied der Band Public Enemy rappte Chuck D die Zeilen „Elvis was a hero to most/ But he never meant shit to me you see/ Straight up racist that sucker was/ Simple and plain/ Mother fuck him and John Wayne/ Cause I'm Black and I'm proud“. Für Jarecki erklärt er, warum noch heute viele Menschen entsetzt darüber sind, dass Elvis sich als weißer Amerikaner an der Kultur und Musik der Afro-Amerikaner bediente und mit seinen Versionen ihrer Lieder zu einem der erfolgreichsten Musiker aller Zeiten werden konnte. Damit eröffnet er noch mal eine ganz andere Sichtweise auf den King, der schon so sehr zu unserer Kulturgeschichte zu gehören scheint, dass viele ihn gar nicht mehr kritisch sehen können. Chuck Ds Auftritt im Film hat etwas von Marilyn Mansons Auftritt in Michael Moores „Bowling for Columbine“: überraschend, erfrischend anders, unglaublich aufschlussreich.
Mit „The King“ hat Eugene Jarecki einen Meilenstein des Dokumentarfilms geschaffen: Bildgewaltig, unterhaltsam und aufschlussreich. Ganz großes Kino.
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