Oft denkt Bob Parr, Mitarbeiter in einer Versicherung, an die gute alte Zeit zurück: Damals, als er als Superheld Mr. Incredible (Superfähigkeit: alles Mögliche) Bösewichter bekämpfte und Menschen rettete. Bis ihn eine Klagewelle (losgetreten von einem Selbstmordkandidaten, der nicht gerettet werden wollte) zwang, wie alle anderen Superhelden das kostümierte Retterdasein aufzugeben. Nun muss die Familie Parr ihre Kräfte verborgen halten. Während sich Bobs Frau Helen - die frühere Elastigirl (Superfähigkeit: wie der Name so sagt, sehr biegsam die Dame) - aber gut mit der Situation arrangiert hat, macht dies Bob schwer zu schaffen. Und auch die Kinder, Baby Jack-Jack mal ausgenommen, sind frustriert. Teenager Violetta (Superfähigkeit: Unsichtbarkeit und Kraftfelder erzeugen) möchte möglichst ‚normal' sein und Rabauken-Sohn Flash (Superfähigkeit: Blitzgeschwindigkeit) darf seine besonderen Talente nicht zum Ärgern der Lehrer benutzen und muss beim Sport murrend gefühltes Schneckentempo vorlegen. Bob behilft sich, in dem er mit seinem alten Superheldenkumpel Lucius alias Frozone unter dem Vorwand des Bowling-Abends heimlich Polizeifunk hört und inkognito Heldentaten vollbringt. Doch alles scheint sich zu ändern, als ihn die geheimnisvolle Mirage im Namen eines mysteriösen Auftraggebers in den Testkampf gegen Killerroboter schickt. Denn bald sieht sich Mr. Incredible in eine Falle gelockt und seine Superheldenfamilie muss ihre Kraft bündeln, um als Die Unglaublichen die Welt vor großem Unheil zu bewahren....
Pixar wird erwachsen. Ein schwieriger Prozess, der nicht auf allseitige Gegenliebe stoßen kann und wird, der aber letztendlich von Erfolg gekrönt ist. Denn auch "Die Unglaublichen" sind - obgleich nicht unbedingt unglaublich gut - als beachtlicher Erfolg zu werten, inhaltlich und formell. Womit die Zyniker ihr "Wann wird Pixar endlich mal stolpern?" im Schrank lassen können, da die Weste weiß bleibt und der Erfolgsquotient hundertprozentig. Dabei war eine gewisse Skepsis schon angesagt, als man hörte, dass sich Pixar zum erstenmal exklusiv Menschen als Hauptdarstellern widmet und aus diesen auch noch Superhelden macht. Das klang nicht zu sehr nach dem, wofür man Pixar kannte und liebte.
Und in gewisser Weise ist "Die Unglaublichen" in der Tat ein Neuanfang für die Digital-Schmiede. Weg von den perfektionierten, aber nach nunmehr fünf Filmen nicht mehr ganz so ambitionierten Story- und Charakterstrukturen ("Findet Nemo" machte es sich bei aller Brillanz inhaltlich mit Wohlbekanntem etwas zu einfach), hin zu mehr Komplexität und "erwachseneren" Themen. Nur die Kleinsten wird dies stören, denn für die ist zum Einen der recht lange Aufbau der anonymen Superheldenexistenz etwas zu langweilig, zum Anderen der James Bond-Abenteuern nachempfundene zweite Teil der Geschichte (Settings, Ausstattung und Musik sind eine einzige Hommage an die frühen Bond-Filme) zu viel auf einmal, und so werden sie dem rasanten Treiben kaum folgen können. Beweisstück A: Der Junge hinter dem Rezensenten, der in der Pressevorführung seinen Journalisten-Papi alle zwei Minuten mit Fragen wie "Warum macht der das?", "Was ist das?" "Wer ist das?" etc. bombardierte. Für etwas größere und ganz große Kinder heißt es dagegen: Bleibt alles anders - aber mindestens genau so gut.
Allerdings gilt es ein Opfer zu betrauern: Der Humor, der bei allen anderen Pixar-Streifen das Rückgrat bildete, wurde zugunsten von mehr Dramatik und Ernsthaftigkeit zurückgefahren. Es gibt (leider) bedeutend weniger wirkliche Lacher, vielmals eher ein Schmunzeln. Staunen statt Lachen scheint die Devise. Denn wenn Regisseur und Drehbuchautor Brad Bird (der aus seinem letzten Film, dem sehr schönen und noch klassisch gezeichneten "Der Gigant aus dem All" sein Faible für Killerroboter mitgebracht hat) verkündet, mit "The Incredibles" den ersten vollständigen Actionfilm aus dem Hause Pixar geplant zu haben, so kann man nur sagen ‚Plan aufgegangen': Nach der erstaunlich ernsthaften und "erwachsenen" ersten Filmhälfte, in der wirklich treffend die Alltagsprobleme eines als Normalofamilie getarnten Superheldenquartetts aufgezeigt werden, heißt es im zweiten Teil: Action, Action, Action. Ordentlich was los hier. Zwischendrin dann noch mal didaktisch wertvolle Lehren (nicht zu übertrieben) und - zumindest in ein, zwei Szenen - erstaunlich schwarzer Humor. Die kleine Montage, in der Modedesignerin Edna Mr. Incredible über die Nachteile eines Umhangs am Superheldenkostüm aufklärt, ist bitterböse und der eindeutig größte Lacherfolg des Films.
Es ist erstaunlich, wie thematisch vielschichtig "Die Unglaublichen" daher kommt mit seinen zahlreichen "erwachsenen" Themen: Midlife Crisis, Existenzkrise oder die Unsinnigkeit des amerikanischen Gerichtssystems (besonders in Sachen Schadensersatz) - alles wird liebevoll und satirisch auf die Schippe genommen. Dass Brad Bird früher für "Die Simpsons" die Drehbücher schrieb, merkt man dem messerscharfen Script an. Der bereits nach einer Viertelstunde abgehakte Strang um die Zwangspensionierung von Superhelden durch Menschen, die gar nicht gerettet werden wollen, ist schon allein fast seinen eigenen Film wert. Noch besser aber, wie treffend der Film die daraus resultierende Frustration besonders von Mr. Incredible charakterisiert. Die Sequenz, in der das normale oder fast normale Alltagsleben und Mr. Incredibles Sehnen nach den guten, alten Zeiten aufgezeigt wird, bietet viele weise Beobachtungen und schöne Momente und schafft zudem die nötige emotionale Nähe zu den Figuren, bevor im zweiten Teil dann die Action angekurbelt wird. Dieses vergleichsweise gemächliche Vorgehen für einen Animationsfilm sorgt dann allerdings auch für einen kleinen Wermutstropfen, da die epische Laufzeit von 115 Minuten (und damit eine knappe halbe Stunde länger als die meisten Animationsfilme) bisweilen tatsächlich für ein paar Hänger sorgt, in denen dann der absurde Detailhumor der früheren Filme doch vermisst wird, der einen bei den beiden "Toy Story"-Abenteuern oder der "Monster-AG" bei Laune hielt.
Um Menschen geht es hier wie gesagt, und die werden auch gewitzt und witzig umgesetzt. Von Violetta als rebellischem Teenager, die sich hinter ihrem Haar versteckt, bis hin zu Incredibles Chef im Versicherungsbüro, der genau so aussieht, wie man sich einen peniblen Bleistiftschubser vorstellt. Zudem zeigt "Die Unglaublichen": Auch Mamis können sexy sein. Elastigirl (oder Frau Incredible) ist nämlich die attraktivste Zeichentrickdame seit Jessica Rabbit. Einzig Bösewicht Syndrome wirkt in manchen Szenen ein Stückchen zu nervig.
Technische Fortschritte sind bei der immer weiter voranschreitenden Animationsevolution nur noch minimal möglich, bei den "Unglaublichen" sind es menschliche Haare (besonders die von Sohn Flash), die noch ein Stück detailgetreuer als bisher daherkommen. Statt ausgefeilterer Details setzt man auf Masse und Geschwindigkeit: Eine Masse an Schauplätzen und eine rasende Geschwindigkeit, mit der diese bereist werden. Da kann man dann nur die Flüssigkeit der Animation bewundern, die trotz des hohen Tempos perfekt erscheint. Ohne störenden Realismuszwang packen die Pixar-Leute hier alles aus, was geht, um den Zuschauer zu beeindrucken. Dazu gehören etwa die mit über 100 Schauplätzen geradezu epischen Sets des Films. Und wenn etwa Vater Incredible im Höllentempo an eine Hochbahn gehängt durch die Gegend saust und dabei Hindernissen ausweichen muss oder Sohn Flash von Häschern des Bösewichts durch den Urwald gejagt wird (erinnert ein wenig an "Die Rückkehr der Jedi-Ritter") und mit rasender Geschwindigkeit durch die Gegend flitzt, ist man in der Tat mächtig beeindruckt, denn das hat man so dann doch noch nicht gesehen.
Wie immer bei Animationsfilmen muss man auch hier noch mal ein Wort zur deutschen Fassung mit ihren Sprechern verlieren. Denn zumindest optisch passen die bekanntesten Sprecher perfekt: Der just beschriebene Bleistiftschubser spricht nicht nur mit Herbert Feuersteins Stimme, er sieht auch wie Feuerstein aus. Und Mr. Incredible ähnelt von der Körperform her tatsächlich mehr Markus Maria Profitlich als seinem Originalsprecher Craig T. Nelson. Allerdings muss man sich an Profitlichs leicht schnoddrig-nuschlige Stimme erst mal gewöhnen. Dennoch ist die Synchronisation recht gut geworden. Verwundert darf man übrigens auch über die (durchaus gelungene) deutsche Stimme des Schwarzen Superhelden Mr. Frozone (im Original Samuel L. Jackson) sein: Kai Pflaume! Unglaublich. Na ja, nur die Leistung zählt.
Man muss es zum Abschluss noch mal betonen: "Die Unglaublichen" ist nicht nur erfolgreich in dem was er tut - sondern vor allem auch mutig. Denn anstatt auf Nummer Sicher zu gehen und noch eine niedliche rührende (Kinder-)Geschichte zu konzipieren bzw. ganz dreist die "Findet Nemo"-Muster zu kopieren, wagt man Innovation und Originalität - die beiden Attribute, die Pixar seit jeher auszeichnen. Und so hat man mit "Die Unglaublichen" zwar nur die drittbeste Comic-Geschichte des Jahres (nach "Hellboy" und "Spiderman 2"), aber den eindeutig besten Animationsfilm 2004. Und auf die Realverfilmung der hier mehr oder weniger freiwillig Pate stehenden "Fantastischen Vier" braucht man dann eigentlich auch nicht mehr gespannt warten. Die wird sich nämlich wie Dr. Reed Richards enorm strecken müssen, um den Unglaublichen Paroli bieten zu können.
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