Horizon: Eine amerikanische Saga

Originaltitel
Horizon: An American Saga - Chapter 1
Land
Jahr
2024
Laufzeit
181 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 28. August 2024

Gefühlt herrschen hier bei Filmszene gerade Nostalgie-Wochen. Während Marc sich bei “Alien: Romulus“ an alte VHS-Kassetten und sturmfreie Schulnachmittage zurückerinnert fühlt, weckt die Aussicht auf einen großen Costner-Western bei mir wohlige Kindheitserinnerungen an ergreifend schöne Landschaftsaufnahmen und großes Abenteuer. “Der mit dem Wolf tanzt“ war mein erstes großes Kinoepos, aus dem ich als Kind 1991 wie im Rausch aus dem Saal schwebte, nur um in den nächsten Wochen und Monaten für den Film gleich mehrmals dorthin zurückzukehren - unter anderem zum Jubiläumstarif von fünfzig Pfennig in dessen fünfzigster (!) Kinowoche – was angesichts der heutigen Schnelllebigkeit des Geschäfts komplett surreal klingt.

Nun bergen Nostalgie-getränkte Erinnerungen im Vorfeld eines Filmes natürlich auch die Gefahr einer großen Enttäuschung – schließlich sind alle Beteiligten (egal auf welcher Seite der Leinwand) ja älter und (hoffentlich) weiser geworden – was das Wiedereinfangen kindlicher Begeisterung meist unmöglich macht. Wer weiß schon, was mein kindliches Ich von damals wohl heute über Kevin Costners ersten Teil von “Horizon“ gedacht hätte. Angesichts der sehr zerstückelten Handlung, die kaum Identifikationspotential und nur selten Dynamik entwickelt, und einigen sowohl schlecht gespielten als auch schlecht geschriebenen Nebenfiguren bezweifle ich aber, dass es wie einst mit strahlenden Augen drei Stunden lang im Kinosessel gesessen hätte – trotz toller Landschaftsaufnahmen und manch packender Spannungsmomente.
 


Natürlich hinkt der Vergleich von “Horizon“ mit “Der mit dem Wolf tanzt“ schon alleine deswegen, da die auf gleich vier Teile ausgelegte Western-Saga rein dramaturgisch eine komplett andere Hausnummer ist. Ein einzelner wirklich stringenter Storyfaden ist die meiste Zeit hier nicht zu erkennen und auch nicht beabsichtigt, da man erst einmal ganz langsam in die (meist dramatischen) Vorgeschichten einer Vielzahl von Protagonisten eintauchen möchte – bevor man ganz am Ende des ersten Teils dann deren verbindendes Element andeutet. So entkommt zu Beginn Frances Kittredge (Sienna Miller, “Foxcatcher“, “American Sniper“) gemeinsam mit ihrer Tochter einem brutalen Indianerüberfall, nur um nach ihrer Rettung Gefühle für Leutnant Trent Gephardt (Sam Worthington, “Avatar – Aufbruch nach Pandora“, “Terminator: Die Erlösung“) zu entwickeln. Der wiederum kann nicht verhindern, dass eine Reihe Kopfgeldjäger Jagd auf die indigene Bevölkerung macht, die wiederum darüber streitet, wie mit dem Eintreffen des weißen Mannes umzugehen ist. Die etwas naive Marigold (Abbey Lee, “The Neon Demon“) gerät derweil unverschuldet in das Visier einer brutalen Gang, findet aber im eher wortkargen Hayes Ellison (Kevin Costner hochstselbst) bald einen ungewöhnlichen Verbündeten. Währenddessen begibt sich eine Gruppe von Siedlern unter der Führung von Matthew Van Weyden (Luke Wilson, “The Royal Tenenbaums“, “Old School“) auf die beschwerliche Suche nach einem neuen Zuhause, hat dabei aber nicht nur mit äußeren, sondern auch inneren Widerständen zu kämpfen.

Diese grobe Inhaltsbeschreibung klingt an sich schon etwas zerstückelt, dabei fehlen hier gefühlt noch 20 weitere Nebenfiguren, die der Film peu à peu einführt. Dieses große Figurenkarussell ist der Tatsache geschuldet, dass Costner das wohl bisher umfassendste und facettenreichste Porträt des Wilden Westens auf die große Leinwand zaubern möchte. Um eine solche Komplexität zu erreichen möchte er sich gleich vier dreistündige Filme Zeit nehmen, wofür die Bezeichnung Epos ja schon fast eine Untertreibung ist. Wahnwitz klingt schon passender, soll hier aber nicht negativ verstanden werden. Eigentlich ist das nämlich verdammt geil, denn die Motivation hinter diesem Größenwahn ist Costners Leidenschaft für das Thema und nicht die Aussicht auf einen großen Haufen Geldscheine. Und solche herzgesteuerten und finanziell eigentlich komplett unvernünftigen Egotrips sind ja dann doch irgendwie das Salz in der Suppe einer immer mehr das Risiko scheuenden Branche.
 


Ein guter Film sollte dabei aber möglichst trotzdem herausspringen, und hier stellt sich “Horizon“ mit seiner Entscheidung, den ersten Teil fast ausschließlich zur Figureneinführung nutzen zu wollen, natürlich vor eine ziemlich große dramaturgische Herausforderung. Bei einem solch extrem episodenhaften Charakter der Geschichte, die noch dazu ohne wirklichen Payoff daherkommt, müssen die einzelnen Puzzleteile schon besonders glänzen, um die dramaturgischen Nachteile aufzufangen. Eine Aufgabe, bei der “Horizon“ gefühlt öfters scheitert, als erfolgreich zu sein. Kaum etwas zu meckern gibt es zumindest in Sachen Optik, denn überzeugendes Western-Flair stellt sich hier ziemlich schnell ein. Was nicht nur an den tollen Landschaften liegt, von denen uns die Kamera aber gerne noch ein paar mehr epische Totalen hätte liefern können. Auch das Setdesign ist sehr gelungen, was bei einem auf Realismus pochenden Western-Fan wie Costner jetzt nicht wirklich überrascht.

So präsentiert man uns hier sehr eindrücklich eine wirklich raue Welt, in der die meisten der Protagonisten im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Überleben kämpfen. Gerade wenn der Tod an die Tür klopft hat “Horizon“ dabei seine stärksten Sequenzen, da gerade diese Spannungsmomente wirklich packend inszeniert sind. Selbst wenn man ahnt, wie es wohl ausgeht, gelingen Costner hier immer wieder fesselnde Sequenzen, die den Adrenalinpegel weit nach oben treiben. Ob der brutale Überfall auf eine Siedlung oder ein sich immer weiter steigerndes Psychoduell zwischen Kopfgeldjägern und einem indigenen Häuptling – gleich in mehreren solcher Momente zeigt Costner seine ganze Klasse als Regisseur.
 


Leider lässt sich das vom eher ruhigeren Rest der Handlung nur bedingt behaupten. So richtig klickt hier keine der zahlreichen menschlichen Beziehungen, was vor allem an einem seine Figuren und Handlungen oft nur oberflächlich zeichnenden Drehbuch liegt. Kombiniert wird das hier und da leider auch noch mit einigen uninspirierten Schauspielleistungen, die im Glücksfall (ein fieser Bandenbösewicht) einfach nur langweilen, im schlimmsten Fall aber richtiggehend nerven. Hervorzuheben ist dabei der wirklich unglaublich platt geschriebene und gespielte Charakter von Marigold, bei dem Abbey Lee völlig damit überfordert ist irgendwelche Tiefe oder Charisma aufzubauen. Noch schlimmer ist aber ein Ehepaar in Matthews Siedlergruppe, deren Dialoge und Schauspiel selbst für ein regionales Laientheater kaum annehmbar wären.   

Aber selbst ordentliche Schauspielleistungen, wie die von Sienna Miller oder Sam Worthington, können angesichts manch platt geschriebener Charakterinteraktion (in diesem Fall die wirklich klischeehafte Anbahnung einer Romanze) nie so richtig Fahrt aufnehmen. Und so schön es ist alte Schauspielrecken wie Will Patton und Michael Rooker nochmal auf der großen Leinwand zu sehen, auch deren Rollen haben viel zu wenig Biss, um wirklich in Erinnerung zu bleiben. Stattdessen präsentiert man uns hier oft eine eher uninspirierte und sehr vertraute Ansammlung aus Allgemeinplätzen. Lediglich Jeff Fahey hat sichtbar Spaß mit seiner Rolle als skrupelloser Kopfgeldjäger, steht mit seiner spielerischen Leichtigkeit aber ziemlich alleine da und greift auch viel zu selten in das Geschehen ein. Ebenso wie der eine oder andere durchaus interessante indigene Charakter. Und Costner? Der bringt natürlich eine große Portion Charisma und würdevolle Reife mit, taucht allerdings erst nach knapp einer Stunde überhaupt auf und hat mit Marigold halt eine denkbar undankbare Begleitung an seiner Seite.  
 


Die Tatsache, dass man angesichts so vieler Figuren oft sehr zügig und leider manchmal auch etwas unelegant die Schauplätze wechselt, hilft auch nicht gerade weiter. So richtig rund fühlt sich das Legen der Puzzleteile hier nicht an, und das merkt man gerade in der ersten Stunde sogar dem Soundtrack an, dessen ständige Stimmungswechsel teils sehr holprig wirken. Ein wenig bezeichnend für diesen dramaturgischen Flickenteppich ist dann auch das Ende des Films, bei dem man gefühlt komplett zufällig Aufnahmen des nächsten Filmes aneinanderreiht, um so Werbung für den zweiten Teil zu betreiben.

So verfehlt der Film aufgrund seiner holprigen Dramaturgie und zu vielen uninteressanten Figuren genau das, was er sich eigentlich als großes Ziel vorgenommen hat: ein wirklich fesselndes, facettenreiches und tiefgehendes Porträt des Wilden Westens zu zeichnen. Stattdessen erhalten wir ein nur mäßig unterhaltendes Stückwerk mit nur wenigen charismatischen Figuren, das zwar immer wieder seine Momente hat, diese aber nie zu einem wirklich überzeugenden Ganzen formen kann. Angesichts von Costners Leidenschaft blutet da einem schon fast das Herz, aber die kalte Schulter des Publikums an der amerikanischen Kinokasse ist durchaus nachvollziehbar. Ob ein vierter Teil angesichts des finanziellen Misserfolgs des Films in den USA überhaupt umgesetzt werden kann, steht noch in den Sternen – der Kinostart des zweiten Teils wurde dort schon zugunsten einer Streaming-Premiere geopfert. In Deutschland soll der zweite Teil zwar weiterhin im November in die Kinos kommen, doch so richtig Vorfreude mag bei mir gerade nicht aufkommen.

Aber wie das mit Nostalgie so ist, vermutlich wird sich der kleine Junge in mir doch wieder durchsetzen und mich im November wieder mit einem Funken Hoffnung ins Kino schicken. Leider hat “Horizon“ aber dafür gesorgt, dass dieser nun deutlich spärlicher leuchtet als erhofft.

Bilder: Copyright

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