Geduld ist eine Tugend, die der großen Potter-Fangemeinde nicht mehr fremd ist: Die lange Wartezeit auf den (enttäuschenden) fünften Roman ging nahtlos über in die verlängerte Pause zwischen den Verfilmungen von Teil Zwei und Drei: statt zur Weihnachtssaison kommt die dritte Potter-Kinoadaption jetzt erst als Sommerattraktion. In diesem Falle hat sich das Warten aber wenigstens gelohnt, denn "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" erweist sich eindeutig als die bisher beste und gelungenste Adaption der Reihe - und das ist vor allem dem neuen Mann auf dem Regiestuhl zu verdanken. Alfonso Cuarón - der sich vor zwei Jahren mit seinem Coming-of-age-Film "Y tu Mama tambien" soviel Respekt verdiente, dass man ihm diese Prestige-Franchise überließ - übernimmt das Zepter vom braven Familienfilmer Chris Columbus, und bringt nicht nur viel frischen Wind in die bis dato arg konservativ und bieder inszenierte Reihe, sondern holt auch gerade aus den jungen Hauptdarstellern viel mehr raus, als man ihnen nach Ansicht der ersten zwei Teile zugetraut hätte.
Das Ausgangsmaterial war allerdings ebenfalls besser: Für viele Potter-Fans ist der dritte Teil der bis dato beste der gesamten Serie, und hebt sich vor allem deshalb deutlich von seinen beiden Vorgängern ab, weil die Reihe hier merklich ihre kindliche Unschuld verlor: Was als nette, fantastische Spielerei begann, bekommt hier immer dunklere Töne, und mit dem Heranwachsen von Harry und seinen Freunden von Kindern zu jungen Teenagern werden auch die Persönlichkeiten langsam komplexer. Die Story folgt indes dem sattsam bekannten Rahmen: Wieder einmal kehrt Harry auf spektakuläre Weise aus dem drakonischen Haushalt von Onkel und Tante ins Zauberer-Internat Hogwarts zurück, und wieder einmal herrscht erhöhte Lebensgefahr für den jungen Magier: Sirius Black, der angeblich Harrys Eltern an den bösen Voldemort verraten und damit ihr Schicksal besiegelt hat, ist aus dem Zauber-Gefängnis Askaban ausgebrochen und soll nun Harry nach dem Leben trachten. Eine Bedrohung, die sogar die gefürchteten Gefangenen-Hüter Askabans auf den Plan ruft, die so genannten Dementoren, die ihren Opfern buchstäblich die Seele aus dem Leib saugen können. Wie er sich gegen diese zwielichtigen Gestalten zur Wehr setzen kann, lernt Harry von seinem neuen Lehrer Lupin, ein alter Freund seiner Eltern, der jedoch auch ein dunkles Geheimnis mit sich herum trägt.
Es ist also wieder mal eine Menge los in Hogwarts, angesichts der mit jedem Band länger werdenden Buchvorlagen auch mehr als in den ersten beiden Teilen. Gerade deswegen überrascht "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" bereits früh mit seinem enormen Tempo und der ergonomischen Erzählung. Resultat: Genau da, wo die ersten beiden Teile schwächelten, kann der dritte Teil mächtig punkten. Denn während Chris Columbus kreuzbrav die Vorlagen abfilmte und auf viel Spektakel statt auf Story und Charaktere setzte, dreht Cuarón den Spieß fast vollständig um, speckt die Vorlage ab und lässt endlich mal die Figuren zum Zuge kommen.
Schon allein deshalb erweist sich der Regie-Wechsel als enormer Glücksgriff für den Film: Columbus wollte sein Publikum mit möglichst viel Effekthascherei blenden und verlangte von seinen kindlichen Darstellern nicht mehr, als angemessen dazu zu staunen. Konsequenterweise nervten Potter-Darsteller Daniel Radcliffe und Rupert Grint als sein bester Freund Ron in den ersten beiden Teilen auch mit ewig gleichen, hölzernen Gesichtszügen, die sich bei Radcliffe auf ungläubiges Augenaufreißen und bei Grint auf ängstliches Mund-offen-stehen-lassen reduzierten. Umso erstaunlicher, was die Jungs nun aufs Parkett legen: Grints Chargieren gerät zurückhaltender und wirkt längst nicht mehr so kasperhaft, und auch Radcliffe scheint endlich zu seinem Charakter gefunden zu haben und agiert weitaus natürlicher. Sie reichen zwar beide immer noch nicht an Emma Watson heran, die als Hermine nach wie vor die beste Vorstellung der Kinder-Riege abliefert, aber immerhin geht es mit allen deutlich aufwärts. Bedanken muss man sich hierfür ganz sicher bei Cuarón, der sich seinen Darstellern weit mehr widmet als es Columbus getan hat, und deutlich größeres Interesse daran zeigt, nicht nur die magische Welt von Hogwarts, sondern eben auch die Charaktere darin zum Leben zu erwecken.
Auch die restliche Inszenierung triumphiert gegenüber den Vorgängern mit deutlichem Punktsieg: Von Beginn an wirkt der Film lebendiger, flotter und einfallsreicher, Cuarón traut sich auch mal etwas unkonventionelle Perspektiven, Kamerafahrten und Schnitte, wo Columbus stets ängstlich nach Lehrbuch drehte. So wirkt alles viel unverkrampfter, die amüsanten Gags am Rande erscheinen weitaus ungezwungener und zünden viel besser als zuvor. Unter Cuaróns Regie wirkt alles flüssiger und leichter, und so nimmt man ihm den für die Faszination der Potter-Welt so wichtigen, natürlichen Sinn für Wunder viel eher ab als Columbus, der einem das Staunen geradezu aufzwingen wollte.
Bei all dem Lob soll dennoch nicht verschwiegen werden, dass "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" an demselben Problem wie seine Vorgänger leidet, nämlich der nicht zu bewältigenden Schwierigkeit, der Vorlage gerecht zu werden. Cuarón erlaubt sich weniger Abschweifungen als Columbus, konzentriert sich auf die zentrale Handlung und hat die weitaus längere Vorlage immer noch besser im Griff als sein Vorgänger, dennoch kann das Skript von Steve Kloves auch beim dritten Anlauf nicht vermeiden, dass der komprimierte Plot signifikante Schlaglöcher hervorbringt, die den Handlungsablauf auch hier etwas holprig gestalten. Das ist jedoch ein Problem, das die Romanadaption zwangsweise mit sich bringt, und da man es hier immerhin besser gelöst hat als zuvor, sollte man es dem Film auch nicht zu dick ankreiden.
Ein bisschen ablenkend wirkt sich die längere Drehpause zwischen Teil Zwei und Drei dann übrigens doch noch aus, denn die Filmproduktion kann nicht mit dem Wachstum der Darsteller mithalten: Die komplette Schülerschaft von Hogwarts hat einen merklichen Schuss in die Höhe gemacht, und sich teilweise so schnell weiterentwickelt, dass zumindest kleine Wiedererkennungsschwierigkeiten bestehen. Gerade Matthew Lewis als Neville Longbottom und Tom Felton als Harrys Erzfeind Draco Malfoy haben sich erstaunlich gewandelt, was kurzzeitig ablenkt, andererseits aber auch schon Vorfreude auf die nächsten Teile weckt, wenn man den Jungdarstellern weiter beim Wachsen zugucken kann. Und wo wir schon bei der Besetzung sind: Bei den Neuzugängen haben die Produzenten ein weiteres Mal ein geschicktes Händchen fürs passende Casting bewiesen. David Thewlis als Lupin, Gary Oldman als Sirius Black und Emma Thompson als kurzsichtige Hellseherin Trelawney betten sich perfekt ein in das makellose Ensemble aus britischen Top-Schauspielern, das indes inzwischen so groß ist, dass für manche (fast) keine Zeit mehr übrig bleibt. Auf einen Mini-Gastauftritt von John Cleese wartet man diesmal zum Beispiel vergeblich. Einzig nicht ganz gelungen ist die Neu-Besetzung von Schuldirektor Albus Dumbledore, nachdem der ehrwürdige Richard Harris nach den Dreharbeiten zu Teil Zwei verstorben war. Ersatzmann Michael Gambon müht sich redlich, doch fehlt ihm einfach Harris' unnachahmliches Charisma, und auch der mächtige graue Bart kann leider nicht verhehlen, dass sich dahinter ein Gesicht versteckt, das schlichtweg noch zu jung ist, um dem weisen Dumbledore die richtige Aura verleihen zu können.
Trotzalledem: "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" ist durchweg gelungen und befreit unter der hervorragenden Regie von Alfonso Cuarón die fette Franchise erfolgreich von dem Speck, den sie sich unter dem maßlos inszenierenden Chris Columbus angeeignet hatte. Hier gibt's keinen rührseligen und in die Länge gezogenen Abschluss, die aufwendigen Effekte präsentieren sich nicht selbst, sondern dienen der Handlung, und die Dramaturgie folgt zielsicher den Anforderungen eines Kinofilms, und klebt nicht ohne Mut zur Eigenständigkeit an den Vorgaben der Vorlage. Deutlichstes Indiz für all dies: Teil Drei ist zwanzig Minuten kürzer als seine Vorgänger. So gelingt Cuarón nicht nur die beste bisherige Potter-Verfilmung, er zeigt zudem auch noch überdeutlich auf, was bei den ersten beiden Teilen falsch gelaufen ist, und wie gut man es tatsächlich hätte machen können - und das ist so viel besser, dass die Filmszene-Wertungen für Teil Eins und Zwei retrospektiv eigentlich um ein Auge gesenkt werden müssten. Da ist es wirklich richtig schade, dass für Teil Vier schon wieder ein anderer Regisseur engagiert wurde: Der Engländer Mike Newell übernimmt die Führung für "Harry Potter und der Feuerkelch", und sieht sich der schwierigen Aufgabe gegenüber, den bis dato komplexesten und handlungstechnisch umfangsreichsten Potter-Roman für die Leinwand zu bändigen. Immerhin hat er jetzt ein Vorbild, an dem es sich zu orientieren lohnt.
Neuen Kommentar hinzufügen