The Guilty

Originaltitel
Den skyldige
Land
Jahr
2018
Laufzeit
85 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 15. Oktober 2018

Asger hat eine besondere Anruferin in der LeitungAls vor knapp 15 Jahren Joel Schumacher seinen Thriller "Nicht Auflegen" alleine in einer Telefonzelle spielen ließ, schien dies so etwas wie das letzte filmische Aufbäumen des guten alten Festnetzanschlusses zu sein. Das Mobiltelefon übernahm und stellte Drehbuchautoren gleich einmal vor das Problem, dass früher ausweglose Situationen ab sofort einfach mit einem kurzen Griff zum Smartphone gelöst werden konnten. Die Folge war, dass man seitdem den Eindruck gewinnen musste, dass vor allem rund um die Region Los Angeles Mobilfunkmasten und Handyakkus stets zu den ungünstigsten Zeitpunkten ihre Dienste verweigern. Gleichzeitig bot die neue Mobilität aber natürlich auch völlig neue filmische Potentiale. So durfte Tom Hardy in "No Turning Back" auf einer Autofahrt via Handy ein episches Familiendrama durchleben. Und noch härter traf es gerade eben erst Wotan Wilke Möhring, der in "Steig. Nicht. Aus!" im Auto mit einem Mobiltelefon um sein Leben kämpfte.

Es gibt aber auch Szenarien, da bekommt man beide Welten serviert. Bereits in "The Call - Leg nicht auf!" durfte Halle Barry in einer Notrufzentrale vorübergehend ortsgebunden an einem Festnetzanschluss sitzen, während ein entführtes Mädchen sich per Handy bei ihr aus einem fahrenden Auto heraus meldete. Ein fast identisches Szenario präsentiert uns nun der feine dänische Thriller "The Guilty", der die Sache aber deutlich konsequenter durchzieht. Halle Barry durfte damals, Hollywoodkonventionen sei Dank, ja die Notrufzentrale verlassen, um selbst in die Action einzugreifen. Solch ein Frischluftausflug ist dem Protagonisten von "The Guilty" nicht vergönnt, er hält sich wirklich nur an einem einzigen Ort auf. Dank einer spannenden Geschichte und einem überzeugenden Hauptdarsteller bekommt der Zuschauer aber trotzdem 85 Minuten gelungene Kinounterhaltung serviert. Und auch wenn in manchen Momenten eine etwas lebhaftere Inszenierung vielleicht gut getan hätte, haben wir es hier definitiv mit einem kleinen Geheimtipp für die kommenden Herbsttage zu tun.

Asger braucht RuheWirklich lebhaft wirken die Kollegen von Asger Holm (Jakob Cedergren, "Dark Horse") in der Notrufzentrale von Kopenhagen auch nicht. Kritisch beäugen sie den Polizisten, der nach einem nicht näher definierten Zwischenfall für einige Zeit in die Notrufzentrale zwangsversetzt wurde. Holm wiederum kann es kaum abwarten, endlich wieder "richtige" Polizeiarbeit erledigen zu dürfen. Die kommt aber schneller als gedacht, denn eines Tages meldet sich via Handy in seiner Leitung eine spürbar aufgewühlte Frau namens Iben (Jessica Dinnage), die offensichtlich in einem Auto entführt wurde. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem Asger noch mit so manch unvorhergesehenem und schockierendem Detail konfrontiert wird.

Für seinen ersten Kinofilm ist das schon eine ganz schöne Herausforderung, die sich Regisseur und Mitautor Gustav Möller hier selbst auferlegt hat. Die 85 Minuten des Films verbringen wir ohne eine einzige Unterbrechung zusammen mit Asger in der Notrufzentrale. Da muss man als Autor und Regisseur schon ein gutes Händchen haben, um die Aufmerksamkeit beim Zuschauer hochzuhalten. Dabei ist der Fokus auf eine einzige Location jetzt natürlich nichts Neues in der Geschichte des Kinos. Hitchcock in "Cocktail für eine Leiche", Sidney Lumet in "Die 12 Geschworenen" und Polanski in "Der Gott des Gemetzels" haben das ja schon eindrucksvoll umgesetzt. Allerdings waren das alles zuvor erfolgreiche Theaterstücke, Möller baut sich dagegen seine ganz eigene Geschichte. Und unser Jungfuchs macht das gar nicht mal so schlecht.

Die Stimmung heizt sich aufGeschickt wirft uns der Film gleich zu Beginn ein paar Informationsbrocken zu, die andeuten, warum Asger wohl in die Notrufzentrale versetzt wurde. Geschickt ist das deswegen, weil der Film damit auch gleich eine überzeugende Motivation dafür liefert, warum seine Hauptfigur so versessen darauf ist keine (weiteren) Fehler zu machen. Gleichzeitig wird aber auch nicht zu viel über die Vorgeschichte verraten, so dass man als Zuschauer weiterhin neugierig darauf sein kann, was da wohl genau abgelaufen ist. Generell kommt "The Guilty" dabei ohne große Logiklöcher daher, was bei dieser Art von Thriller auch nicht gerade selbstverständlich ist. Selbst, dass unser Entführungsopfer immer wieder zum Handy greifen darf, obwohl der Peiniger in der Nähe ist, ergibt vor allem in Retrospektive betrachtet Sinn.

Die Geschichte ist aber nicht nur an sich stimmig, sondern bietet auch noch die nötige Abwechslung, um den Zuschauer stets bei Laune zu halten. Dabei bleibt der Film auf sympathische Art und Weise stets auf dem Teppich. Wo andere gerne einmal durch reißerische Wendungen versuchen künstlich Emotionen aufzubauschen, hält "The Guilty" sich meist vornehm zurück und setzt seine emotionalen Twists lieber gezielt als verschwenderisch ein. Wenn es hier mal eine überraschende Wendung gibt, dann sitzt diese auch und man fühlt wirklich mit den Figuren. Wobei der Film sich ganz klar auf Asger und nur eine kleine Handvoll Nebenfiguren fokussiert, was der emotionalen Nähe des Zuschauers zu dem Geschehen extrem gut tut. Geschickt wird dabei zum Beispiel auch eine emotionale Beziehung zwischen Asger und der kleinen Tochter von Iben aufgebaut. Das sorgt nicht nur für Sympathiepunkte bei der Hauptfigur, sondern erhöht gleichzeitig noch den Einsatz, der hier auf dem Spiel steht.

Aufgelockert wird das Ganze dann hin und wieder auch noch von einer überlegt eingesetzten kleinen Prise Humor, wenn Asger im Moment größter Anspannung zum Beispiel auf einen nun mal so gar nicht dringenden Notruf reagieren muss. In Sachen Geschichte macht "The Guilty" also auf jeden Fall ziemlich viel richtig. Und mit nur 85 Minuten kommt der Film dazu auch noch ohne unnötiges Story-Fett daher, was die ganze Sache für den Zuschauer zu einer sehr kurzweiligen Angelegenheit macht.

Asger verläßt das BüroGetragen wird der Film dabei natürlich auch von seinem Hauptdarsteller. Jakob Cedergren hat keine leichte Aufgabe, schafft es aber gut die nötige Präsenz für diese One-Man-Show aufzubauen. Sein zu Beginn noch unterkühlt-souverän wirkender Asger Holm wird im Verlauf der Geschichte immer emotional instabiler. Dabei gelingt es Cedergren überzeugend deutlich zu machen, dass hier jemand einen großen emotionalen Rucksack aus der Vergangenheit mit sich herumschleppt. Insbesondere die Gespräche mit Iben werden mit der Zeit immer persönlicher und intensiver. Apropos Iben, hier darf man dann auch mal die wirklich gelungene deutsche Synchronisation des Gegenparts am anderen Ende der Leitung loben. Ausnahmsweise muss die sich diesmal das Lob ja nicht mit einem Schauspieler teilen, denn mehr als die Stimme bekommen wir von Iben in den 85 Minuten nicht präsentiert.

Bleibt dann nur noch die Frage, was sich Regisseur Möller denn in Sachen Inszenierung hat einfallen lassen, um möglichst viel aus der Location herauszuholen. Das ist dann auch der einzige wirklich nennenswerte Kritikpunkt an "The Guilty". Ein paar Gedanken hat sich Möller schon gemacht. So verlagert er zum Beispiel ein Teil des Geschehens in ein separates Büro und spielt auch ein wenig mit unterschiedlichen Lichtstimmungen. Aber in Sachen Tempo hätte es dann doch auch eine Portion mehr sein können. Der Film kommt schon sehr statisch und ruhig daher. Prinzipiell ja keine schlechte Sache, so kann man den Darstellern Zeit und Raum geben sich zu entfalten. Aber insbesondere im letzten Teil hat man dann doch das Gefühl, dass man mit ein klein wenig zusätzlichem Drive dem Schlussakkord noch etwas mehr Intensität und Emotionalität hätte verpassen können. Aber auch Hitchcock, Polanski und Lumet haben ja mal klein angefangen und so wollen wir mit Gustav Möller mal nicht zu hart ins Gericht gehen. Mit "The Guilty" ist ihm ein wirklich überzeugendes Kinodebüt gelungen, dass sich Freunde des gepflegten Thrillers diesen Herbst nicht entgehen lassen sollten.

Bilder: Copyright

10
10/10

Der Film war großartig! Solche Überheblichkeiten wie "...deshalb wollen wir mal mit G. Möller nicht zu hart ins Gericht gehen" und "... auch Polanski etc. haben mal klein angefangen" könntet ihr wirklich bleiben lassen. Wenn ein Film sehr gut ist, egal unter welchen Umständen, sollte man das auch mal einfach so darstellen! Nur meine Meinung.

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