Frankenweenie

Originaltitel
Frankenweenie
Land
Jahr
2012
Laufzeit
87 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Maximilian Schröter / 8. Januar 2013

Victor & Sparky1984 drehte Tim Burton („Sleepy Hollow“, „Alice im Wunderland“), der damals noch als Zeichner bei Disney angestellt war, einen halbstündigen Kurzfilm namens „Frankenweenie“. Als Hommage an Mary Shelleys „Frankenstein“-Erzählung angelegt, konnte man in dem Film bereits mehrere der später als charakteristisch für Burtons Werk geltenden Themen erkennen, darunter eine Vorliebe für exzentrische Figuren, die Verehrung klassischer Horrorfilme und eine gewisse Neigung zum Schrägen, Absonderlichen, mitunter Morbiden. Burtons Arbeitgeber jedenfalls waren von dem Ergebnis entsetzt, hatten sie doch keinen blassen Schimmer, wie sich ein solches Werk, in dem ein Junge seinen bei einem Unfall ums Leben gekommenen Hund wieder zum Leben erweckt, unter dem Disney-Logo familientauglich vermarkten lassen sollte. Kurzerhand trennte man sich von Burton und ließ seinen Film in der Versenkung verschwinden (mittlerweile ist er jedoch als Bonusmaterial auf der „Nightmare Before Christmas“-DVD veröffentlicht worden).

Konnten die Herrschaften in den Chefetagen bei Disney damals mit Tim Burton und seinen Ideen nur wenig anfangen, so sind sie ihm heute wahrscheinlich unendlich dankbar dafür, dass er dem Studio inzwischen mit seiner Version von „Alice im Wunderland“ einen Erfolg beschert hat, mit dem wohl in diesem Ausmaß zuvor niemand gerechnet hatte. Mit einem Einspielergebnis von über einer Milliarde Dollar ist „Alice“ in der Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten weit oben mit dabei und hatte für seinen Regisseur zudem den angenehmen Nebeneffekt, bei der Wahl seiner folgenden Projekte nun ziemlich freie Hand zu haben. Neben dem leider ziemlich faden „Dark Shadows“ beendete Burton 2012 die Arbeit an einem Remake von „Frankenweenie“, das im Gegensatz zum Original als Stop-Motion-Animationsfilm im Stil von „Corpse Bride“ daherkommt (allerdings in schwarz-weiß!) und die dreifache Länge des Originals von 1984 aufweist.

Trotz der längeren Laufzeit bleibt zumindest die Grundkonstellation der Geschichte dieselbe: Victor (im Original gesprochen von Charlie TahanEdgar 'E' Gore) lebt mit seinen Eltern und seinem über alles geliebten Hund Sparky in der amerikanischen Kleinstadt New Holland. Als Sparky durch einen Unfall getötet wird, ist Victor am Boden zerstört. Während ihm die gut gemeinten Worte seiner Eltern nicht weiterhelfen, ist er fasziniert von den Theorien und Experimenten seines Naturwissenschaftslehrers Mr. Rzykruski (Martin Landau), die ihn zu einem eigenen Versuch inspirieren, der schließlich in der erfolgreichen Wiederbelebung Sparkys gipfelt. Diese bleibt natürlich nicht unbemerkt und erregt besonders das Interesse von Victors Klassenkameraden, die alle auf der Suche nach eigenen wissenschaftlichen Revolutionen sind, die sie bei einem Schulprojekt präsentieren können. Und so findet Victors Experiment schon bald Nachahmer.


Man durfte im Vorfeld schon skeptisch sein: Eine recht dünne, auf knapp 90 Minuten aufgeblasene Geschichte, im Stop Motion-Verfahren und im typisch-schrägen Burton-Look verfilmt und das Ganze auch noch in schwarz-weiß? Wie bitteschön will man damit ein Massenpublikum ansprechen? Nun, diese Frage können wir hier ziemlich eindeutig beantworten: nur sehr schwer. Denn „Frankenweenie“ ist einer der am wenigsten massentauglichen Filme von Tim Burton geworden. Wer mit den Fantasiewelten, dem Look und den Thematiken seiner Filme generell nur wenig anfangen kann, der wird wohl auch über diesen Film verständnislos den Kopf schütteln. Die gute Nachricht ist: Alle anderen werden umso mehr Freude daran haben.

Denn sowohl hinsichtlich des Designs als auch der Charakterisierung der Figuren über ihre individuellen Eigenarten geht Burton hier noch einen Schritt weiter als in vielen seiner bislang „schrägsten“ Werke. Das stets irgendwie neben sich stehende „Weird Girl“ oder Victors abgedrehter Freund Edgar sind da nur zwei Beispiele. Man hat fast den Eindruck, als wolle Burton gute drei Jahrzehnte nach seinem Rausschmiss seinen damaligen Vorgesetzten bei Disney ein trotziges „Jetzt erst recht!“ hinterherrufen. Fans und Liebhaber des „Burtonesquen“ können sich also glücklich schätzen, denn selten zuvor hat der Regisseur den düster-kreativen Output seiner Gedanken so ungefiltert auf die Leinwand bringen können.

Dass man sich im BurMr. Rzykruskiton-Kosmos bewegt, merkt man natürlich auch an der Wahl der Darsteller, die hier als Sprecher engagiert wurden. Obwohl Johnny Depp und Burtons Lebensgefährtin Helena Bonham Carter dieses Mal nicht mit von der Partie sind, handelt es sich dennoch überwiegend um alte Weggefährten des Regisseurs, mit denen er zum Teil schon lange nicht mehr zusammengearbeitet hat und von denen einige gleich mehreren Figuren ihre Stimme leihen. Die eindrucksvollste Leistung liefert dabei Martin Landau als osteuropäischer Naturwissenschaftslehrer ab, der in den Augen der Eltern eine Gefahr für seine Schüler und das friedliche Gemeinwohl darstellt, scheint er die Kinder doch mit fremdem und (in den Augen der Erwachsenen) irrationalem, kommunistischem Gedankengut zu vergiften. Landau geht dabei hörbar in seiner Rolle auf und liefert nach seiner oscarprämierten Darstellung in Burtons „Ed Wood“ erneut eine Glanzleistung ab.

Inmitten der ganzen herrlich exzentrischen Nebencharaktere steht Victor Frankenstein als typischer Held eines Tim Burton-Films: Von seinen Eltern und dem Rest der Welt fühlt er sich unverstanden, sein eigener Blick auf die Welt ist aber etwas naiver und romantischer als der der meisten anderen Menschen. Dass Victor noch an Wunder glaubt und diese für ihn auch nicht in Konflikt mit den Naturgesetzen stehen, hilft ihm jedoch, über seine Trauer und Einsamkeit nach dem Tod Sparkys hinwegzukommen und das Undenkbare zu wagen. Als Alter Ego des Regisseurs ist Victor also eine Burton-Figur wie schon zahlreiche andere vor ihm, und mit der hier erzählten Geschichte betritt Burton ganz bestimmt kein Neuland.

Dennoch steckt in „Frankenweenie“ fühlbar mehr Leidenschaft, Herzblut und Kompromisslosigkeit als das in seinen letzten beiden Filmen der Fall war. Zwar ist er längst nicht so visuell bombastisch wie „Alice im Wunderland“ oder auch „Big Fish“, dafür passt hier aber – wie immer, wenn Burton zu wirklich großer Form aufläuft – die optische Umsetzung perfekt zur Geschichte. Keine der Figuren sieht aus, als sei sie nur aus reinem Selbstzweck auf eben eine ganz spezifische Weise gestaltet worden, sondern ihre äußeren Eigenheiten verweisen jeweils direkt auf ihr Innenleben. Burton-typisch haben fast alle Charaktere einen klar erkennbaren Makel, der in Burtons Welt jedoch keinen Defekt darstellt, sondern lediglich ein Mittel, um elementar menschliche Wesenszüge und Sehnsüchte zum Ausdruck zu bringen. Man hat jedenfalls den Eindruck, dass sich der Regisseur hier mit seinen Figuren wesentlich wohler fühlt, als dies bei seinen letzten Werken der Fall war, was wohl auch daran liegen dürfte, dass es sich bei „Frankenweenie“ nicht um eine Adaption von Geschichten anderer Autoren handelt.Victor & Sparky

Die im Vergleich zum Kurzfilm dreifache Laufzeit kommt unter anderem der Charakterisierung von Nebenfiguren wie eben Mr. Rzykruski oder Victors Schulfreund Edgar zugute. Zudem hat Burton seine ursprüngliche Geschichte ein Stück ausgebaut, so dass die Handlung nun über die Wiederbelebung Sparkys und ihre unmittelbaren Folgen hinausgeht. Vor allem im letzten Drittel beschert uns das „Frankenweenie“-Remake eine liebevolle Hommage an zahlreiche Klassiker des Horror-Genres (unter anderem kommt die legendäre Frisur von „Frankensteins Braut“ zum Einsatz), aber auch Anspielungen auf „Godzilla“, „Die Vögel“ oder „Jurassic Park“ lassen sich finden. Sparky bleibt im Verlauf des Films jedenfalls nicht die einzige aus dem Reich der Toten wiedererweckte Kreatur, so viel sei an dieser Stelle verraten.

Einen wesentlichen Beitrag dazu, dass man diese Liebeserklärung ans Horrorfach als äußerst gelungen betrachten kann, leistet auch Burtons Stammkomponist Danny Elfman, der mit seinem Score die Bezugnahme auf die Klassiker des Genres auf musikalischer Ebene fortführt. Genau wie „Alice im Wunderland“ wurde „Frankenweenie“ übrigens im Nachhinein ins 3D-Format konvertiert, was dieses Mal jedoch deutlich besser gelungen ist (und ja allgemein bei Trickfilmen weniger problematisch zu sein scheint). Die 3D-Effekte verleihen jedenfalls einigen Szenen durchaus einen atmosphärischen Mehrwert, wobei man den Film allerdings auch in der zweidimensionalen Fassung genießen kann, ohne irgendetwas zu verpassen.

Aaaahhhhh!!Bei „Frankenweenie“ hat Tim Burton jedenfalls alles richtig gemacht: Von der Schwarzweißoptik über die wunderbar schrägen, aber liebenswerten und detailverliebt gestalteten Figuren und die zwar simple, aber grundlegende menschliche Werte und Emotionen behandelnde Geschichte bis hin zum herrlichen Schlussteil, in dem der Film zum Monster-Horrormovie mutiert – und nicht zu vergessen die zumindest im Original durchweg hervorragend agierenden Sprecher: Hier passt einfach alles fast perfekt zusammen. Burton hat sich in seine ganz persönliche Vision der Geschichte von niemandem reinreden lassen. Zwar gibt es in „Frankenweenie“ kein buntes Wunderland, keine für staunende Kinderaugen sorgende Schokoladenfabrik und auch so gut wie keine Gesangseinlagen. Und auch der werbewirksame Name eines Johnny Depp fehlt hier auf dem Filmplakat. Aber das ist wohl auch gut so, denn „Frankenweenie“ ist eben mit Sicherheit kein Familienfilm für Groß und Klein, sondern vor allem ein Film für Liebhaber der Burton'schen Werke und Welten. Gerade deshalb aber handelt es sich hier um Tim Burtons besten Film seit „Sweeney Todd“, vielleicht sogar seit „Big Fish“. Der Oscar für den besten Animationsfilm wäre jedenfalls hochverdient.

Bilder: Copyright

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