The Elephant King

Originaltitel
The Elephant King
Land
Jahr
2006
Laufzeit
92 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 8. März 2011

Thailand, das ist das Paradies der westlichen Sinnsucher und Individualisten, von Rucksacktouristen und allen anderen Rastlosen, die für möglichst wenig Geld eine möglichst gute Zeit haben wollen. Nirgendwo sonst kann man einerseits die fremdartig-inspirierende Atmosphäre der asiatischen Kultur genießen und zugleich für absolute Spottpreise alldem frönen, was man daheim landläufig unter einem Spaß-erfüllten Leben versteht. Kein Land in Südostasien hat sich mit solcher Verve der Ausländer-Bespaßung verschrieben wie Thailand, von endlosen Beach Resorts bis hin zu den hässlichen Ausmaßen der Prostitution, und darum fällt es dem Westler an sich auch kaum woanders so leicht wie hier, sich selbst zu vergessen und sich vollkommen der Lebensfreude des Moments hinzugeben. Wer noch kein Hedonist ist, der wird es spätestens in Thailand.

So wie der Amerikaner Jake, ursprünglich mit einem Stipendium für ein anthropologisches Forschungsprojekt nach Thailand gereist, an dem er aber schon längst das Interesse verloren hat. Ziel- und sorglos lebt er in den Tag hinein und genießt die Drogen, den Alkohol und die Frauen - in Thailand alles sehr preiswert zu bekommen. Dass ihm wegen der unterschlagenen Stipendiengelder daheim in den USA jetzt der Prozess gemacht werden soll, interessiert Jake herzlich wenig. Für seinen introvertierten und uneigenständigen Bruder Oliver, der als Tellerwäscher arbeitet und noch immer zuhause bei den Eltern wohnt, ist Jake ein idealisiertes Vorbild. Als Jake Oliver bedrängt, ihn in Thailand zu besuchen, nutzt Oliver die Chance, dem gluckenhaften Schutz der Mutter zu entkommen. Seine eigentliche Aufgabe - Jake von der Rückkehr in die Heimat zu überzeugen, damit er sich im Prozess seiner Verantwortung stellt - vergisst Oliver sehr schnell und lässt sich stattdessen von seinem Bruder bereitwillig in die Lebensfreude made in Thailand einführen. Dumm nur, dass er sich dabei in Olivers beste Freundin, die thailändische Barkeeperin Lek, verliebt und damit eine Grenze überschreitet, an der die pure sorglose Lebensfreude für den Westler in Thailand aufhört.

"The Elephant King", das Kino-Debüt des Regisseurs und Autors Seth Grossman, ist kein spektakulärer Film, der mit einer aufrüttelnden Geschichte und hochdramatisch vorgetragenen Emotionen das Publikum mitreißt. Die "Arthouse-Attitüde" (und das ist nicht negativ gemeint) ist hier offensichtlich und die bisherigen Erfolge des Films auf diversen internationalen Festivals daher nicht verwunderlich: Mit seiner zurück genommenen Erzählweise, den ruhigen, atmosphärischen Bildern und den sich hauptsächlich nicht in, sondern zwischen den Dialogzeilen manifestierenden Charakteren erinnert "The Elephant King" an einen anspruchsvollen Roman, der sich entsprechend auch mit wenig plakativen, sondern sehr komplexen Themen auseinandersetzt.
Die Beziehung zwischen Jake und Oliver ist dabei noch am einfachsten zu verstehen. Jake der große, bewunderte Bruder, der vorgeblich Oliver helfen will, endlich aus sich selbst heraus zu kommen und etwas Spaß im Leben zu haben, tatsächlich aber längst am Ende der Fahnenstange angekommen ist und durch den Besuch seines kleinen Bruders die Einsamkeit durchbrechen will, die ihn immer mehr einholt. Auf der anderen Seite der introvertierte Oliver, der seinen Bruder tatsächlich braucht, um sich endlich mal lebendig zu fühlen, aber auch erkennen muss, dass dessen scheinbar so süßes Leben vor allem daraus besteht, vor jedweder Form von Verantwortung davon zu laufen. Und wo geht das besser als in Thailand, wo sich jedes Problem mit Geldsummen regeln lässt, für die man zuhause gerade mal eine Portion Pommes bekommen hätte.
Hier beginnt dann auch das tiefer liegende Thema des Films, denn jenseits der Familiengeschichte um Jake, Oliver und ihre eigenwilligen Eltern (neben Ellen Burstyn als überprotektive Mutter begeistert Josef Sommer als sorgloser Vater, der sich nur für die sexuellen Eskapaden seiner Söhne in Thailand interessiert und neidisch ist, für so was schon längst zu alt zu sein) ist "The Elephant King" vor allem eine Betrachtung über die unüberwindbare Mauer zwischen den Thailändern und ihren ausländischen Gästen. Selbst Menschen wie Jake, die jahrelang dort leben, über die Touristen schimpfen, einheimische Freunde haben und sich unbedingt als Teil des Ganzen sehen wollen, bleiben doch außen vor. Weil sie letztlich doch nur "Langzeit-Touristen" sind, die sich wie alle anderen Westler aufführen, und die außer ihrem Geld für die Bevölkerung auch nichts zu bieten haben. Man ist nett zu ihnen, weil man sie braucht, aber man lässt sich nie wirklich auf sie ein. Darum können auch Jake und Oliver in Thailand zwar alles bekommen, was sich für Geld kaufen lässt - Party, Drogen, Alkohol, Sex - aber nicht das, was sie tatsächlich suchen: Liebe und Erfüllung. Der naive Oliver glaubt daran, dass die süße Lek seine verliebten Gefühle erwidert, doch die würde viel lieber dem Werben eines Gitarre spielenden Landsmanns nachgeben, der in ihrer Bar mit seiner Band auftritt. Aber der ist zu arm, um eine echte Alternative zum vom westlichen Touristen-Geld möglich gemachten Leben in der nordthailändischen Hauptstadt Chiang Mai zu bieten.
Wenn der Gitarrist dann während eines Bar-Auftritts ein trauriges, thailändisches Lied singt, dass die Ausländer nicht verstehen, Lek aber zu Tränen rührt mit seinen Zeilen über ein Mädchen vom Land, das ihre große Liebe zurückgelassen hat und nun in der Stadt als Prostituierte arbeitet, nähert sich "The Elephant King" auf sehr wahrhaftige Weise dem zentralen, unüberbrückbaren Paradoxon im Verhältnis der Thailänder zu ihren westlichen Party-Gästen: Einerseits bringen sie das Geld ins Land, ohne das viele Thailänder nicht mehr leben können; andererseits macht die Erniedrigung durch und für dieses Geld die Thais unglücklich und entfernt sie immer mehr von der Chance, ein erfülltes Leben zu haben.

Die Kontraste zwischen thailändischer Tradition und West-freundlichem Party-Leben, zwischen Tempeln und Discos im so bizarren wie faszinierenden Chiang Mai fängt Seth Grossman (der dort selbst zwei Jahre mit einem Stipendium lebte) mithilfe seines brillanten Kameramanns Diego Quemada-Diez in fesselnden Bildern ein, die all die Lebendigkeit und Widersprüchlichkeit dieses Ortes transportieren. Nicht weniger großartig sind die Darsteller, vor allem Tate Ellington als Oliver und Jonno Roberts als Jake meistern ihre komplexen Figuren herausragend, die sich permanent hinter Masken verstecken und ihre wahren Gefühle nur in wenigen Momenten durchscheinen lassen. Auch die Geschichte ist in ihrer ruhigen, metaphorischen Erzählung ein kleines Kunstwerk für sich, auch wenn sich Grossman am Ende eines überdramatisierten und etwas unmotivierten Kunstgriffs bedient, um das Ganze aufzulösen. Das vermittelt ein wenig den Eindruck, als hätte er sich vor der bereit liegenden, aber weitaus schwieriger zu erzählenden Auflösung gedrückt, und er nimmt seinem eigentlichen Helden Oliver damit auch die Chance, sich richtig zu beweisen.

Das ist ein kleiner Makel am Schluss eines an sich in jeder Hinsicht sehr gut gemachten Films, der allerdings deutlich daran krankt, zu keinem Zeitpunkt irgendwie spektakulär zu sein. Das ist natürlich der nachdenklichen Geschichte und der realistischen und deshalb Schauwert-armen Charakterzeichnung geschuldet. Dennoch wird "The Elephant King" genau deshalb jenseits von Arthouse-affinen Festival-Gängern vergeblich auf die Suche nach einem interessierten Publikum gehen. Seth Grossman empfiehlt sich hier indes als gewissenhafter und talentierter Regisseur für ernsthaftes Charakter-Kino, und man sollte sich nicht wundern, seinen Namen in kommenden Programmkino-Hits wieder zu sehen.


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