Die Taschendiebin

Originaltitel
The Handmaiden
Land
Jahr
2016
Laufzeit
144 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 6. Januar 2017

Nach einem kleinen, aber feinen Hollywood-Ausflug (“Stoker“) kehrt der südkoreanische Regisseur Park Chan-Wook nun wieder in seine Heimat zurück. Dort feierte er einst mit “Oldboy“ und “Sympathy for Mr. Vengeance“ seine größten Erfolge und sorgt nun mit dem Erotik-Thriller “Die Taschendiebin“ bei vielen Kritikern erneut für Aufsehen. Tolle Bilder, überzeugende Hauptdarsteller und ein cleverer Storyaufbau sorgen für ein durchaus unterhaltsames Kinoerlebnis, aber die wilde Vermischung aus Art-House- und B-Movie-Elementen gelingt Park nicht immer überzeugend genug, um hier von einem weiteren cineastischen Kleinod reden zu können.
 

Das Drehbuch verlagert dabei die in England spielende Buchvorlage in das Korea der 1930er Jahre. Die junge Taschendiebin Sookee (Tae-ri Kim) wird von dem gerissenen Betrüger Graf Fujiwara (Jung-woo Ha) mit einer ganz speziellen Mission betraut. Fujiwara möchte Sookee als Dienstmädchen bei der reichen Lady Hideko (Min-hee Kim) einschmuggeln, damit Sookee dieser eine mögliche Heirat mit dem Grafen schmackhaft macht. Fujiwara ist aber natürlich nur an dem Erbe der reichen Lady interessiert. Auf das hat es aber auch deren sadistischer Onkel Kouzuki (Jin-woong Cho) abgesehen, auf dessen luxuriösem Anwesen Hideko lebt. Kouzuki sammelt und verkauft Bücher mit sehr explizitem erotischen Inhalt und lässt diese Bücher von der attraktiven Hideko auf durchaus ungewöhnlichen Lesungen der Käuferschaft präsentieren. Die Attraktivität von Hideko zieht allerdings nicht nur die Käufer, sondern auch Sookee in ihren Bann, und so kommen dieser bald die ersten Zweifel, ob sie Hideko denn nun tatsächlich an den skrupellosen Grafen ausliefern möchte.
 

“Die Taschendiebin“ kommt stellenweise so ein bisschen daher wie ein B-Movie im Art-House-Gewand. Optisch ist der Film ein wahrer Leckerbissen, und dies ist keine Anspielung auf die zahlreichen Erotikszenen. Wenn Sookee das erste Mal zum weitläufigen Anwesen von Kouzuki gefahren wird, dann gelingen Park und seinem Kameramann Chung-hoon Chung wundervolle, ja fast traumartige Sequenzen. Die elegante Inszenierung und das Setdesign vermitteln erfolgreich das Gefühl einer schweren Melancholie, die das so kühle Leben auf dem Anwesen bis auf die Poren durchdrungen zu haben scheint. Ganz behutsam kommen dann die ersten Emotionen ins Spiel und der Film nimmt sich die Zeit, um gefühlvoll die ersten Annäherungsversuche von Hideko und Sookee zu begleiten.
 

Genau dieses Feingefühl fehlt dem Film aber an anderer Stelle, vor allem was die Männerrollen angeht. Unser betrügerischer Graf Fujiwara kommt leider ziemlich eindimensional daher, manch hölzerner Dialog mit eingeschlossen. Während Fujiwara die Grenze zur Karikatur streift, hat ein anderer sie schon längst überschritten. Die Figur des Kouzuki, die Jin-woong Cho die meiste Zeit auch mit einem nicht so ganz überzeugenden Make-Up bestreiten muss, ist derart plump und übertrieben gezeichnet, dass man sie nicht wirklich ernst nehmen kann beziehungsweise soll. Was in einem anderen Film gut funktionieren könnte wirkt hier, im Angesicht der eher ruhigen und gefühlvollen Inszenierung, einfach nur deplatziert.
 

Wirklich Fahrt nimmt der Film am Anfang nur in den gemeinsamen Szenen von Hideko und Sookee auf, überzeugend gespielt von Min-hee Kim und vor allem Tae-ri Kim, nur um dann durch die Auftritte von Fujiwara und Kouzuki wieder deutlich ausgebremst zu werden. So bekommt der Film zu Beginn einfach nicht die nötige Zeit, um wirklich Tiefe zu entwickeln, und man schaut dem Treiben eher distanziert als gepackt zu. Genau das ändert sich glücklicherweise mit einer zentralen Story-Wendung, bei der gefühlt auf einmal der Intellekt des Zuschauers wachgeknipst wird. Ohne zuviel zu verraten: Was folgt ist nicht nur ein Wendepunkt für die Story, sondern gleichzeitig auch noch eine Änderung in Sachen Erzählperspektive. Es beginnt ein cleveres Spiel mit Erwartungen, Hinweisen und Interpretationsmöglichkeiten, bei dem nun auch die Figur des Grafen an Tiefe gewinnt.
 

Deutlich interessanter werden nun auch die Liebesakte, bei denen nun nicht mehr der Duft jugendlicher Unschuld, sondern der von Macht und Manipulation in der Luft liegt. Liebesszenen, bei denen es übrigens zwar viel nackte Haut zu sehen gibt, es aber nur selten sehr explizit zugeht. Bezeichnenderweise sind Geschlechtsteile dann auch nur als erotische Grafiken in Büchern zu sehen. Expliziter wird es eher sprachlich als bildlich, vor allem bei den schon sehr ungewöhnlichen Lesungen von Hideko. Da kommt dann auch wieder die Figur des Kouzuki ins Spiel, dessen Erzählstrang und übertriebenes Auftreten leider auch weiterhin ein eher unglücklicher Bremsklotz für den Film bleibt. So groß die Freude über die Entwicklung der Story in den letzten beiden Dritteln des Films auch ist, hier hat sich Park einfach ein bisschen verkalkuliert.
 

So hat zum Beispiel auch die Idee mit den erotischen Lesungen zwar durchaus ihren Reiz – hier wird gekonnt durch visuelle Einfälle und intensive Textpassagen Spannung aufgebaut. Doch das verpufft dann wieder schnell, da Park Kouzuki und seine Kunden auf diese Lesungen so übertrieben reagieren lässt, dass man eher belustigt als bewegt ist. Diese Tendenz zur Karikatur und Übertreibung wird auch gegen Ende deutlich, wo sich “Oldboy“-Fans nicht nur über eine kleine visuelle Anspielung (Stichwort: Octopus) freuen dürfen, sondern auch noch eine Folterszene serviert bekommen. Aber auch diese wirkt irgendwie wie aus einem anderen Film und in ihrer Umsetzung eher lächerlich als intensiv. Und so kann man sich schon ein bisschen darüber ärgern, dass eine schlussendlich derart packende Geschichte auf unnötige Weise etwas ihrer Strahlkraft beraubt wird. Denn auf der anderen Seite gelingen dem Film dann immer wieder großartige Szenen, wie ein packender und sehr persönlicher Ausflug von Hideko und Sookee in die Bibliothek ihres Peinigers.
 

Die Taschendiebin“ ist ein Film, in dessen Inneren ein Zweikampf zwischen einem Meisterwerk und einem weniger überzeugenden B-Movie tobt. Es ist ein bisschen schade, dass es dabei keinen eindeutigeren Sieger gibt – für einen interessanten Filmabend reicht es aber alle Mal.

Bilder: Copyright

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.