
Es gab durchaus Gründe, diesem Film mit einiger Sympathie und Vorfreude entgegenzusehen. Denn neue Impulse für das Genre des Westernkinos sind immer willkommen, und außerdem lässt auch der Titel "Blueberry" Einiges erwarten, auch wenn der Name des rauen Antihelden vielleicht nicht jedermann ein Begriff ist. Dahinter verbirgt sich aber der bekannteste und erfolgreichste europäische Western-Comic überhaupt, ein Epos in mittlerweile vierzig Bänden, das seit ebenso vielen Jahren seine Leser begeistert. Die von den beiden Franzosen Jean Giraud und Jean-Michel Charlier geschaffene Reihe begann dabei als klassisches Abenteuerepos im Stile der alten John Ford/John Wayne-Filme, spiegelte später die Entwicklung zum pessimistischen und brutaleren Italowestern wieder und gibt sich in seiner heutigen Form als eher verspieltes und sich dabei oft selbst zitierendes Spätwerk.
Dementsprechend war die Frage, welchen "Blueberry" wir denn nun auf der Leinwand zu sehen bekommen würden. Die ernüchternde Antwort darauf lautet: Gar keinen. Denn was uns Regisseur Jan Kounen hier präsentiert ist reiner Etikettenschwindel und hat mit der Vorlage letztendlich überhaupt nichts mehr zu tun. Damit sind zwar schon mal die Fans enttäuscht, die "ihren Helden" zumindest gern wieder erkannt hätten, diese Tatsache allein wäre aber natürlich noch nicht Grund genug den ganzen Film deshalb zu verdammen. Diese Ehre verdient "Blueberry" sich dann auch aufgrund ganz anderer Defizite: Dieser Film ist nämlich einfach langweilig und albern und schafft es leider auch überhaupt nicht, aus der Summe seiner verschiedenen Einzelteile und Ideen ein auch nur irgendwie funktionierendes Ganzes zu formen.
Anhand der Rahmengeschichte lässt sich dieses Desaster noch nicht erahnen, denn da geht es offensichtlich erst mal um einen klassischen Rachefeldzug. Der eigenbrötlerische Marshall Blueberry trifft nach Jahren wieder auf seinen alten Feind Wally Blount, einen brutalen Banditen, den er für den Tod seiner ersten Geliebten verantwortlich macht. Dieser ist mit seinem Kumpan unterwegs in die "heiligen Berge", einen von den Indianern verehrten Ort, in dem sich ein geheimnisvoller Schatz befinden soll. Blueberry hat dabei nicht nur eine Rechnung mit Blount offen, sondern aufgrund der Jahre, die er bei den Indianern verbrachte, auch ein gesteigertes Interesse daran, das Heiligtum der Schamanen zu schützen. Zusammen mit seinem Blutsbruder Runi macht er sich nach einigen Irrungen auf den Weg zur finalen Konfrontation. Doch es sind vor allem die eigenen Dämonen, die der junge Marshall fürchten muss.
Dass diese Story mit dem ihr zugrundeliegenden Comiczyklus um die "Vergessene Goldmine" eigentlich nur ein paar Namen gemein hat, geht ja bereits aus den weiter oben gemachten Ausführungen hervor. Dass dieser Film auch sonst irgendwie "anders" sein will als so ziemlich jeder Western vor ihm wird dann zum ersten Mal deutlich, als Blueberry nach seiner ersten Konfrontation mit Blount von den Indianern aufgenommen und von deren Schamanen behandelt wird. Erste Traumvisionen mischen sich mit einer schweren, aber auch sehr beruhigenden Atmosphäre. Und von da an nimmt der Film sich Zeit, treibt seine eigentliche Geschichte nur langsam voran und legt anscheinend keinerlei Wert darauf, diese für sein Publikum spannend und interessant zu gestalten. Die Figuren werden hin und her geschoben, philosophieren so vor sich hin und zeigen sich ansonsten wenig entscheidungsfreudig. Dabei gelingen Kounen einige wenige hübsche Szenen, z.B. mit den Gastauftritten von Ernest Borgnine und Colm Meaney. Die Zahl der uninteressanten, wenn nicht gar misslungenen Sequenzen überwiegt aber bereits zu diesem Zeitpunkt, genannt sei hier nur der völlig lächerliche Auftritt von Juliette Lewis, die als (ziemlich schrecklich) singendes Saloongirl einen gewalttätigen Konflikt beendet.
So quält sich der Zuschauer dann mehr schlecht als recht durch die behäbige Inszenierung und hätte das ganze vielleicht noch mit einem kurzen Achselzucken abgetan. Wenn man ihm in der letzten halben Stunde nicht noch einen abgefahrenen Selbstfindungstrip um die Ohren hauen würde, der den Film dann vollends zum Ärgernis macht. Die persönliche Leidenschaft des Herrn Kounen für Mystizismus im Allgemeinen und das Schamanentum im Besonderen in allen Ehren, aber sein Versuch dieses höchst spirituelle Thema in eine Geschichte einzubinden und dann auch noch in überzeugende Bilder zu verpacken scheitert hier komplett. Denn nicht nur, dass einem die sich ständig wiederholenden, einfallslosen Schlangen und Würmergebilde aus dem Computer schon bald auf die Nerven gehen, auch die nach der "Seelenreinigung" letztendlich zu Tage tretende Auflösung der Story offenbart nicht wirklich einen tieferen Sinn. Und so verpufft mit dem Ende von Blueberrys Kampf mit seinen eigenen Dämonen auch der Rest der Geschichte in einer großen Rauchwolke.
Jean Giraud, der mittlerweile alleinverantwortlich für die "Blueberry"-Comics zeichnet, äußerte sich übrigens recht begeistert über die krude Adaption. Unter dem Namen "Möbius" entwirft der Künstler nämlich seit einigen Jahren ähnlich verquaste (wenn auch graphisch brillante) Geschichten. Wenn er sich dies auch bei seinem "Blueberry" mal trauen könnte, würde dann wohl so etwas Ähnliches wie dieser Film dabei herauskommen. Wünschen wir uns also besser, dass es dem Meister noch recht lange gelingen möge sich zu beherrschen.
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