Die Zukunft begann hier. Vollanimierte CGI-Spektakel sind heute nicht mehr aus den Leinwänden weg zu denken, und diesem Film ist es zu verdanken. "Toy Story" ist nicht nur der Begründer dieser festen Institution, sondern auch ihr erster und vielleicht einziger wahrer Klassiker. In den letzten Jahren besetzte die Konkurrenz mit aufgeblasenen, mit Starsprechern und Popkulturzitaten vollgestopften Filmen nach Vorbild des Überraschungserfolges "Shrek" die Leinwand - und vergaß, was den Erfolg von Pixar und eben vor allem der "Toy Story" ausmacht: Eine originelle Story, liebenswerte Charaktere sowie Herz, Gefühl und Witz.
Die Geschichte um die Spielzeuge des Jungen Andy, die allesamt über ein Eigenleben verfügen, wird von Regisseur John Lasseter mit größtmöglicher Präzision erzählt. Kaum sind Protagonist Woody (im Original treffend von Tom Hanks gesprochen), die Cowboypuppe, und seine Kollegen eingeführt, greift auch schon der erste Wendepunkt des Films. Mit Buzz Lightyear (im Original: "Heimwerkerkönig" Tim Allen) tritt ein Nebenbuhler um die Gunst des kindlichen Besitzers auf, dessen Neuartigkeit und verbesserte Technik Woodys Neid hervorrufen. Als der ehemals unangefochtene Chef der Spielzeugbande nach dem Verschwinden Buzz' (an dem er in der Tat nicht ganz unschuldig ist) als Mörder aus dem Kinderzimmer verbannt wird, gibt es nur eine Möglichkeit: Buzz finden und zurückbringen.
Und aus dieser Suche, die sich recht bald als abenteuerliche Odyssee entpuppt, zieht der Film dann sein dramatisches und komisches Potenzial. Nach den bestens bekannten Regeln des buddy movies, bei dem sich zwei gegensätzliche Charaktere erst nicht ausstehen können, um dann doch beste Freunde zu werden, läuft Woodys und Buzz' Irrfahrt durch die Nacht ab. Besonders witzig ist dabei Buzz' Naivität, die aus seinem Unwissen über das eigene Dasein als Spielzeug herrührt. Und ohne es übertreiben zu wollen: Dabei berührt man auch durchaus existenzielle Fragen, ähnlich wie der ebenso gelungene zweite Teil: Wer bin ich? Was macht meine Existenz und mein Selbstverständnis aus? Habe ich noch einen Verwendungs- (also: Lebens-)Zweck, wenn meine ursprüngliche Aufgabe erfüllt ist? "Toy Story" ist da vielleicht nicht "Blade Runner", will und kann es auch gar nicht sein. Aber die Subtexte, die beide "Toy Story"-Filme haben, heben sie dann allerspätestens über den Rest der Konkurrenz hinweg.
Das Script ist so witzig, dabei auch scharf- und hintersinnig, wie man es vorher in keinem hauptsächlich für Kinder produzierten Film erlebt hat. Dass auch "Buffy"-Erfinder Joss Whedon am Drehbuch mitschrieb, merkt man, und zwar im positivsten Sinne. Randvoll mit tollen One-Linern und trockenem Sprachwitz überfordert die recht simpel gehaltene Geschichte die Kleinsten nicht, aber die Großen werden den meisten Spaß haben. Denn auch wenn dies Filme wie der nur ein Jahr vorher entstandene Kollege in der "Gold"-Rubrik, "Der König der Löwen", zum Teil auch schon sehr gut machten, die Symbiose zwischen Spaß für die Kleinen und Spaß für die Großen begann erst hier so richtig. Ohne sich wie die Nach-"Shrek"-Generation von Animationsfilmen zu sehr auf Popkulturreferenzen und vermeintlich clevere Anspielungen zu verlassen, rührt "Toy Story" gewaltig an den Lachmuskeln und dann auch am Herzen. Wie es diesem Film über vermenschlichte Spielzeuge gelingt, richtiges Pathos aufzubauen und "erwachsene" Themen wie Einsamkeit, Neid und Eifersucht zu behandeln - das ist schon Sonderklasse.
Hervorgehoben werden müssen da auch nochmals Randy Newmans Songs, von denen "You've Got A Friend In Me" sogar ein Mini-Klassiker geworden ist. Nicht mehr als reiner Showblock wie sonst in Disneyfilmen eingesetzt, vertiefen diese Songs in den dazugehörigen Montagen die dargestellten Gefühle kongenial. Da darf man Newman sogar nachsehen, dass sein ansonsten messerscharfer Humor in den Texten weitestgehend draußen bleibt.
Wie immer bei Pixar sind es hauptsächlich die Kleinigkeiten, die den Unterschied zwischen gut und großartig ausmachen. Nicht nur, dass für jede einzelne noch so kleine Figur eine passende Stimme gefunden wurde (und das übrigens auch in der erstaunlich gelungenen deutschen Synchronisation), auch sind sämtliche Nebenfiguren weit mehr als nur pure Staffage. Von Rex über Ham bis hin zum grummeligen Mr. Potatohead, sie alle werden dank prägnanter Charakterisierung zum Leben erweckt und irgendwann, schon ein paar Minuten nach Filmanfang, hat man vergessen, dass dies hier eigentlich nur leblose Spielsachen sind. Nein, man fiebert mit ihnen mit, man lacht über ihre Abenteuer und Sprüche und ist vollends dabei. Wo viele Spielfilme mit realen Schauspielern darin versagen, Identifikation und Anteilnahme des Zuschauers zu sichern, da schafft dies ausgerechnet ein Film komplett aus dem Rechner mit Spielzeugen als Hauptfiguren.
Technisch war "Toy Story" zum Erscheinungszeitpunkt ein Meilenstein, etwa im Bereich des dargestellten filmischen Raumes. Keine Kulissen und keine Kameraführung limitieren mehr die Darstellung, es gibt volle Bewegungsfreiheit. Bestes Beispiel dafür Buzz' "Flug" durchs Kinderzimmer, bei dem der Ablauf einem wirklich das Gefühl echter Bewegung in alle Richtungen suggeriert. Klar, mithilfe von CGI hat man das auch im Realfilm probiert, aber nie so überzeugend wie hier. Mit den darauffolgenden Filmen wurden die technischen Errungenschaften immer größer (die Darstellung von Lichteffekten, Mimik oder Körperbehaarung), aber wie "Pac Man" sieht "Toy Story" auch über zehn Jahre später nicht aus. Sondern immer noch fantastisch. Dass man den Machern bei Pixar überhaupt die Zeit und das Geld zugestand, einer Technik zu vertrauen, die bis zur Fertigstellung von "Toy Story" gerade mal einige Kurzfilme von einer Länge von wenigen Minuten hervorbrachte, ist eigentlich das größte Wunder des langjährigen Entstehungsprozesses. Wie wunderbar daher, dass sich Risiko und Einsatz mehr als gelohnt haben, denn mittlerweile ist "Toy Story" längst ein fester und nicht mehr weg zu denkender Bestandteil der ihn umgebenden Popkultur.
Am Ende wird sich der Großteil der Zuschauer vielleicht doch mehr über den köstlichen, aber auch etwas billigen Humor eines "Shrek" amüsieren, und in ein paar Jahren wird die Technik wohl noch weiter verfeinert werden, so dass sich "Toy Story" den neuesten Filmen gegenüber so ausnehmen wird wie die Aufziehpuppe Woody gegen den vollautomatisierten Buzz. Macht aber nix. Denn wir werden sein wie Andy, werden diesen Film hüten wie er seinen geliebten Woody und werden ihn auch in vielen Jahren noch hervorholen. Denn der Titel des ersten und besten Films seiner Art, der wird auch weiterhin nur "Toy Story" gehören. Und zwar voraussichtlich bis zur Unendlichkeit… und noch viel weiter.
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