Three Billboards outside Ebbing, Missouri

Originaltitel
Three Billboards outside Ebbing, Missouri
Land
Jahr
2017
Laufzeit
115 min
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Frank-Michael Helmke / 4. Januar 2018

Manchmal, leider sehr selten, aber manchmal kommt ein Film daher, der so ungewöhnlich ist, so dermaßen gegen alle vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten der Erzählkunst verstößt, dass man im Kino dasitzt und staunt, dass es das überhaupt gibt, und dass es auch noch funktioniert. Martin McDonaghs "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" ist solch ein Film. Angesichts McDonaghs vorheriger zwei Spielfilme, der 2008er lakonisch-schwarzhumorigen Gangster-Ballade "Brügge sehen... und sterben" und dem in seiner Anhäufung von Schrägheiten etwas aus der Bahn geratenen "7 Psychos" von 2012 ist es nicht wirklich verwunderlich, dass auch sein neuer Film einen eigenwilligen Ton anschlägt und sich nicht sonderlich um Konventionen schert. Three Billboards outside Ebbing, MissouriDas Wunder ist allerdings, was für eine Geschichte McDonagh hier erzählt und wie er das tut. Denn "Three Billboards" ist die Geschichte einer wütenden, tieftrauernden und rachsüchtigen Frau, die Gerechtigkeit für die brutale Vergewaltigung und Ermordung ihrer Tochter erreichen will. Und er ist saukomisch. Das geht nicht zusammen? Das kann man auch nur solange denken, bis man diesen Film gesehen hat. 

Besagte Frau ist Mildred Hayes (Frances McDormand), und sie sorgt für einige Unruhe in ihrem Kaff, als sie drei Werbewände am Ortseingang anmietet, um darauf eine stille Mahnung in Richtung der örtlichen Polizei unter Sheriff Willoughby (Woody Harrelson) anzubringen. Denn die Polizei hat nach wie vor keine einzige Spur, wer hinter besagter Ermordung von Mildreds Tochter stecken könnte. Mildreds Aktion stößt auf wenig Gegenliebe, denn dem ganzen Ort wäre es lieber, wenn man dieses bereits einige Wochen zurückliegende hässliche Verbrechen langsam verdrängen und vergessen könnte. Und so bemüht sich die Polizei, vor allem der aggressive und etwas tumbe Deputy Dixon (Sam Rockwell) mit seinem eigenen Verständnis von Recht und Ordnung weniger um die Aufklärung des Verbrechens, sondern darum, dass Mildreds Plakatierung möglichst schnell wieder verschwindet. 

Three Billboards outside Ebbing, MissouriDas klingt alles nicht sehr lustig. Dass es das aber trotzdem ist, liegt an Martin McDonaghs ganz eigenem Stil und der Art und Weise, wie er die Figuren in diesem kleinen Landei-Universum anlegt. Es könnte, ja, müsste hier eigentlich die ganze Zeit hochemotional und sehr düster zugehen. Doch die Menschen, die Ebbing und somit auch diesen Film bewohnen, sind von einem anderen Schlag. Sie sind Menschen, die damit aufgewachsen sind, dem Leben auf eine lakonisch-trockene Art zu begegnen, die mit ihrem begrenzten Horizont alle etwas einfach gestrickt sind, und die ihre wahren Gefühle systematisch hinter einem recht grobschlächtigen Ton und Umgang verbergen. Der Witz von "Three Billboards" nährt sich vor allem dadurch, dass die Figuren ständig Dinge sagen, die wahnsinnig unangebracht und pietätlos wirken, oder eine Sache völlig trocken-absurd auf den Punkt bringen, so dass man schon vor lauter Überraschung laut loslachen muss.

Three Billboards outside Ebbing, MissouriDas Brillante daran ist, dass dies zu keinem Zeitpunkt wie ein Gimmick zur Unterhaltung des Kinopublikums wirkt, wie künstlich erzeugter Humor, der sich aus der inneren Logik des Films heraus eigentlich gar nicht ergeben würde. Sondern dass McDonagh seine Figuren so authentisch zeichnet, dass man in keiner Sekunde daran zweifelt, dass ihnen diese Dinge tatsächlich genau so aus dem Mund fallen würden. Unbedacht, unsensibel, und gerade deswegen echt und unaufgesetzt. Ein Beispiel? Als Mildred sich bei Willoughby über den unbeherrschten Dixon beschwert und auf einen (nicht näher erläuterten) zurückliegenden Fall von Polizeigewalt gegen Schwarze anspielt, erwidert Willoughby wegwischend: "Wenn ich alle Cops rausschmeiße, die Rassisten sind, dann bleiben nur noch drei übrig. Und die hassen alle Schwuchteln." Wie Willoughby im nächsten Moment selbst über diesen Satz schmunzeln muss, zeigt sein Bewusstsein dafür, dass das gerade ebenso unangemessen wie wahr war - und ja, eben auch ein bisschen lustig. 

Ebbing, Missouri, ist eben kein Ort für Sentimentalitäten. Wie sehr der Film seinen Charakteren in dieser Hinsicht treu bleibt, zeigt sich nirgendwo besser als in der Art und Weise, wie eine der Hauptfiguren mit der Erkenntnis umgeht, dass sie totkrank ist. Welche Konsequenzen die Figur daraus zieht, ist umso berührender und wahrhaftiger, weil der Film es ohne jedes Melodrama präsentiert. Und doch verrät "Three Billboards" die eigentliche emotionale Tiefe seiner Geschichte zu keinem Zeitpunkt. Dies ist vor allem auch Frances McDormand zu verdanken, die hier eine hochkomplexe Rolle auf kongeniale Weise meistert. Die Grobheit, mit der ihre Mildred durch die Handlung poltert und selbst immer wieder für Lacher des blanken Erstaunens sorgt, ist bereits ganz groß. Wie McDormand darunter die Schuldgefühle transportiert, die Mildred in Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter quälen, ist herausragend. Und wie sie schließlich mit einzelnen Dialogsätzen emotionale Schläge abliefert, die einen auf die wahre Tragik dieser Geschichte zurückwerfen immer wenn man am wenigsten damit rechnet, ist schlicht meisterhaft - sowohl in McDormands Vortrag, als auch in McDonaghs Drehbuch. 

Three Billboards outside Ebbing, MissouriMan braucht schon ganz schöne Eier, um sich solch einen Film überhaupt auszudenken. Um ihn dann auch noch so konsequent durchzuziehen, braucht man begnadete Schauspieler und absolut virtuose Fähigkeiten als Drehbuchautor. McDonagh hatte hier beides. Wenn die Welt auch nur ein kleines bisschen gerecht ist, muss er hierfür den Oscar für das beste Original-Drehbuch gewinnen. Und sei es nur für die gelungenste und witzigste Verwendung des Satzes "Ich muss mal für kleine Jungs." 

"Three Billboards" unterwandert in seinem Verlauf immer wieder die Erwartungen seiner Zuschauer. Jedesmal, wenn man glaubt zu wissen, wie es jetzt ungefähr weitergehen wird, passiert etwas, das den Film in eine andere Richtung stößt, so dass man tatsächlich bis zur letzten Minute nicht wirklich weiß, wie dieser Film einen schließlich entlassen wird. Am Ende passt dann aber doch alles so perfekt zusammen, dass man mit der letzten Szene erst so richtig begreift, worum es "Three Billboards" mit seiner Geschichte wirklich ging. Und dass dieser Film unter all seiner Grobschlächtigkeit, seinem rauen Ton, seiner thematischen Düsternis und seiner finsteren Komik eine tiefsitzende, mitfühlende Menschlichkeit verbirgt, bei der einem ganz warm ums Herz wird. Klingt unmöglich? Ist aber so. 

Bilder: Copyright

10
10/10

Dies ist wirklich eine verdammt gute Rezension. Vielen Dank und 10 Augen dafür.

Schon der Rezension wegen und dem Trailer, den ich vor ein paar Tagen im Kino sah,
werde ich mir den Film ansehen (und auch wg. Frances McDormand, deren Arbeit ich sehr schätze).

Gruß

gant

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Schöne Rezi, guter Film. 10/10 hat er meiner Meinung nach nicht verdient, dafür nimmt der Humor doch zu viel der emotionalen Schlagkraft. Aber dennoch ein Film mit Seltenheitswert (im positiven Sinne) angesichts der Kombination von tiefster Trauer und schwärzestem Humor.

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7
7/10

Ist doch wohltuend, wenn Theaterleute auch mal in Hollywood zum Zuge kommen.
Denn dann haben wir endlich mal wieder blutvoll und vielschichtig gezeichnete Charaktere.
Frances McDormand gibt nicht nur die verzweifelte getriebene Mutter, sondern eben auch das gewaltbereite Miststück. Sam Rockwell spielt nicht nur den brutalen doofen Provinzedeputy, sondern darf auch Fürsorglichkeit und im richtigen Moment kriminalistisches Gespür zeigen.
Der Film hebt sich dadurch wohltuend von der schwarzweißen Einheitssoße ab. Auch wenn die Handlung selbst eher konventionell ist. Aber spoilern wollen wir ja nicht.

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9
9/10

Schön, dass wir uns alle so einig sind. Ich war ganz überrascht, dass es auf Aggregatorenseiten tatsächlich Kommentatoren gab, die den Film mit 3/10 bewertet haben. Begründung: Es gehe ja nicht an, dass man einen rassistischen Brutalo-Cop zum Sympathieträger mache. Der Film verkläre zudem die Selbstjustiz. (Das sind wahrscheinlich gleichen die HERR DER RINGE für unrealistisch halten.)

Ich persönlich sehe es nicht so. Im Prinzip ist THREE BILLBOARDS ein moderner Western und als solcher darf er auch streitbare Figuren haben. Ich weiß nicht, ob es an Peter Dinklage lag, aber mich erinnerte der Film irgendwie an GAME OF THRONES. Im Film wie in der Serie findet man keine "perfekten" Charaktere ohne Fehler und jeder tut das, was für ihn oder sie richtig ist. Deshalb bleibt es auch durchgehend spannend.

Meine Kritik (9.5/10): http://adoringaudience.de/three-billboards-outside-ebbing-missouri-o-20…

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9
9/10

Wunderschöner, menschlicher Film! Wenn man überhaupt etwas kritisieren will, dann vielleicht dass die Geschichte ansich vllt nicht unbedingt die absolute Stärke des Films ist und verhältnismäßg konventionell gehalten ist - böse Zungen würden vermutlich behaupten, die Summe der einzelnen Szenen seien größer als der Film. Man kommt trotzdem nicht herum, wie kraftvoll, vielschichtig und ungewöhnlich aufmunternd die Einzelteile des Films daherkommen. Absolut sehenswert!

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6
6/10

Nach dem Trailer dachte ich, dass der Film wie für mich gemacht ist. Dennoch hat er bei mir nicht funktioniert. Warum, kann ich irgendwie nicht so richtig in Worte fassen. Womöglich passte für mich das Drama und die Komik hier nicht zusammen. Denn so richtig Drama wollte der Film nicht sein. Das Verbrechen wird mehr oder weniger ausgelassen und die Auflösung ist schnell abgehandelt. Mir ging das Verbrechen daher nicht Nahe. Die Figur Mildred, mit ihrer harten Schale und dem weichen Kern, war sicherlich eine Meisterleistung von McDormand, aber ehrlich gesagt fand ich sie überwiegend auch ganz schön ätzend. Die Szene mit dem Sheriff hat mich ziemlich beschäftigt, ich fand es einfach nur grausam, was er gemacht hat. Diverse Szenen waren sehr humorvoll, z.T. aber auch übertrieben und haben das Drama auf alberne Art zur Nebensache gemacht. Kurz: Irgendwie doch nicht mein Film, obwohl alle Zeichen auf grün standen.

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