Eric

von Matthias Kastl / 30. Mai 2024

Es gibt wohl nichts Schlimmeres für Eltern als den Tod des eigenen Kindes. Die Angst vor einem solch schmerzhaften Verlust treibt in der neuen sechsteiligen Miniserie “Eric“ die Mutter eines vermissten kleinen Jungens an ihre Grenzen und dessen Vater in den Wahnsinn. Insbesondere von Benedict Cumberbatch wird in dem Netflix-Drama dabei einiges an Schauspielkönnen abverlangt, dem sich dieser aber (nicht ganz überraschend) mehr als gewachsen zeigt. Schade nur, dass die Qualität des Drehbuchs nach starkem Beginn in einer deutlich niedrigeren Flughöhe unterwegs ist und man sich mit einem viel zu oberflächlichen gesellschaftskritischem Rundumschlag hier selbst ein Bein stellt.

Cumberbatch (“Doctor Strange“, “Sherlock“) spielt in “Eric“ den Puppenspieler Vincent, der im New York der 1980er Jahre der kreative Kopf einer erfolgreichen Kindersendung im Fernsehen ist. Als eines Tages dessen Sohn Edgar (Ivan Morris Howe) auf dem Weg zur Schule spurlos verschwindet steht die sowieso schon kriselnde Beziehung zwischen Vincent und seiner Frau Cassie (Gaby Hoffman) vor einer schmerzhaften Zerreißprobe. Auch der in dem Fall ermittelnde schwarze Polizist Ledroit (McKinley Belcher III) ist nicht gerade bester Laune, muss er sich bei den Ermittlungen doch mit zahlreichen Ressentiments und überraschenden Widerständen aus den eigenen Reihen auseinandersetzen. Derweil flüchtet sich Vincent mit der Unterstützung von Alkohol in Wahnvorstellungen und die große Hoffnung, Edgar mit einer sehr unkonventionellen Maßnahme wieder sicher nach Hause bringen zu können.
 


Jede Menge Hoffnung macht auch die erste Folge von “Eric“, denn die ist richtig gut gelungen. Sorgfältig baut man sich hier ein spannendes und sehr atmosphärisch inszeniertes Ausgangsszenario auf, in dessen Mitte man dann auch noch einen der besten Schauspieler seiner Generation stellt. Warum Cumberbatch die Rolle des Vincents angenommen hat ist dabei leicht zu verstehen, schließlich ist die Darstellung des egoistischen Workaholics, der im Laufe der Handlung schizophrene Züge zu zeigen beginnt, eine wirklich faszinierende Herausforderung. Die Figur tendiert schon ziemlich stark in Richtung Arschloch, doch Cumberbatch schafft es geschickt diese vielschichtig und damit faszinierend wirken zu lassen und weckt für sie hier und da immer auch wieder ein wenig Sympathie und Verständnis. Auch wenn das angesichts der tragischen Story natürlich jetzt auch nicht ganz so schwer ist.  

Neben Cumberbatch macht aber auch der Aufbau der ersten Folge Lust auf mehr, denn man nimmt sich hier schon sehr viel Zeit um sorgfältig Vincents Umfeld einzuführen und zahlreiche sehr interessant wirkende Nebenstränge und Nebenfiguren zu etablieren. Gerade der Blick hinter der Puppen-Show hat dabei trotz einer meist schlecht gelaunten Hauptfigur wirklich Charme, die angespannte Beziehung zwischen Vincent und Cassie bietet spannendes Konfliktpotential und auch der sehr nachdenklich aber empathisch agierende Polizist Ledroit macht neugierig. Mit anderen Worten, wundervolle Vorraussetzungen für ein kleines Serienhighlight.
 


Das es dazu nicht kommt liegt weder an dem über die gesamte Spieldauer großartig aufgelegten Cumberbatch noch den Leistungen des Rests des Schauspielensembles. Die Wirkung von deren überzeugenden Darbietungen verpufft in den restlichen fünf Folgen leider angesichts eines vollkommen den Fokus verlierenden Drehbuchs. Was hier schief läuft lässt sich ganz gut mit einem kleinen Vergleich zum Serienmeisterwerk “The Wire“ erklären, aus dessen Cast “Eric“ sich mit Clarke Peters und John Doman gleich doppelt bedient. Ähnlich wie in “The Wire“ möchte man die Serie auch für Gesellschaftskritik nutzen und greift dabei solche heiße Themen wie Homophobie, Rassismus, Pädophilie, Obdachlosigkeit, Drogenhandel und Korruption auf. Doch wo sich “The Wire“ pro Thema eine ganze Staffel Zeit nahm hat man hier für alles nur wenige Folgen Zeit. Was dazu führt, dass man alles nur ein bisschen anreißt und dabei leider kaum irgendetwas Interessantes zu sagen hat.

Jetzt könnte man das ja einfach nur als intelligentes Hintergrundrauschen zu einem spannenden Charakterporträt und fesselnden Kriminalfall sehen. Doch dafür, dass man hier ein paar wirklich heiße Eisen anpackt, sind manche der Aussagen (gerade beim Thema Pädophilie) so banal geraten, dass man deutlich mehr Schaden als Nutzen generiert. Vor allem aber lenken diese zahlreichen angerissenen Nebenschauplätze im weiteren Verlauf der Serie viel zu viel von dem eigentlichen Herzstück der Handlung und seiner so faszinierenden Hauptfigur ab. Es drängt sich dann auch bald der Verdacht auf, dass man hier eher künstlich versucht die Laufzeit eines ziemlich simpel angelegten Kriminalfalls zu strecken.
 


Ab und zu generiert “Eric“ noch ein paar emotional gelungene Momente, wenn zum Beispiel Cassie  die Mutter eines vor längerer Zeit ebenfalls verschollenen Jungen besucht. Doch so richtig Fahrt nimmt die Handlung angesichts des meist oberflächlich präsentierten Themenoverkills leider nicht auf. Da geht dann auch der eigentliche Clou der Serie unter, nämlich die Art und Weise, wie man die Schizophrenie von Vincent auf den Bildschirm bringt. Das ist nämlich eigentlich eine clevere Idee, fühlt sich aber am Ende nur wie eine von vielen an und bekommt nie die nötige Zeit und Aufmerksamkeit um wirklich Kraft zu entfalten. Und wenn dann in wirklich jeder Folge zu melancholischer Musik eine kurze Montagesequenz unsere Protagonisten nachdenklich in die Ferne blicken lässt, dann wirkt die Inszenierung irgendwann auch einfach nur noch konservativ berechnend anstatt packend und kreativ.  

So stellt sich am Ende vor allem die Frage, was die Autorin Abi Morgan (die ja zusammen mit Steve McQueen immerhin das Drehbuch zum großartigen “Shame“ verfasste) hier nun mit der Serie  uns eigentlich mit auf den Weg geben möchte. Das Ergebnis ist auf jeden Fall ein zwar toll gespielter aber eben inhaltlicher Flickenteppich, bei dem dann auch noch gleich mehrere Handlungsstränge mit einem Schluss versehen werden, der für ein billiges Happy End oder großes Drama die Komplexität seiner Figuren einfach über den Haufen wirft. So kann dann auch ein großartiger Cumberbatch nicht verhindern, dass sich “Eric“ am Schluss trotz vieler interessanter Zutaten und sicher ebenso vielen guten Absichten fast schon als ein kleines Ärgernis entpuppt.

Alle sechs Folgen von “Eric“ sind ab dem 30. Mai 2024 exklusiv bei Netflix verfügbar.

Bilder: Copyright

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