Internet-Trolle auf Social Media, Review-Bombing und ein Elon Musk („Tolkien is turning in his grave“) in bester Angriffslaune – Amazon sah sich zu Release-Beginn seiner neuen „Herr der Ringe“-Serie mit ganz schön viel Gegenwind konfrontiert. Ganz überraschend kam dieser allerdings nicht angesichts der bekanntermaßen sehr leidenschaftlichen „Herr der Ringe“-Fanbase und des rauen Klimas in unserer heutigen Social-Media-Landschaft. Doch auch mit einem etwas nüchternen Blick auf die fast 400 Millionen Euro teure erste Staffel darf man vom Endergebnis schon etwas enttäuscht sein. Visuell sorgt die Serie zwar für Begeisterungsstürme, doch in der Story- und Figurenabteilung knirscht es noch gewaltig, was „Die Ringe der Macht“ über weiter Strecken leider zu einer eher zähen Angelegenheit werden lässt.
Dabei widmet sich die Serie ja doch sehr bedeutsamen Ereignissen in Mittelerde, die rund 3000 Jahre vor Peter Jacksons geliebter „Herr der Ringe“-Trilogie ihren Anfang nehmen. Was in einer Fantasy-Welt natürlich nicht bedeutet, dass nicht doch auch ein paar alte Bekannte vorbeischauen können. So treffen wir wieder auf die Elbenkriegerin Galadriel (Morfydd Clark), die nach dem hart erkämpften Sieg gegen den dunklen Herrscher Morgoth den Verdacht hegt, dass dessen berüchtigter Hexenmeister Sauron weiter finstere Pläne schmiedet. Bei ihrer Jagd nach Sauron trifft Galadriel schon bald auf Halbrand (Charlie Vickers), den rechtmäßigen König der Südlande, dessen einstiges Reich inzwischen von einigen düsteren Gestalten heimgesucht wird.
Derweil ist ein anderer Elf, Galadriels enger Freund Elrond (Robert Aramayo), auf Stippvisite zu den Minen der Zwerge gereist. Weder er noch sein alter Kumpel, der Zwergenprinz Dorin (Owain Arthur), ahnen, welche schicksalhafte Wendung ihr Treffen bald nehmen wird. Überhaupt hat das Schicksal gerade sehr viel zu tun in Mittelerde, denn auch die beiden jungen Halblinge Nori (Markella Kavenagh) und Poppy (Megan Richards) machen eine weitreichende Entdeckung. Am Einschlagsort eines Meteors finden sie einen mysteriösen Fremden (Daniel Weyman), der über magische Kräfte zu verfügen scheint. Was das alles wohl zu bedeuten hat? Eines ist auf jeden Fall sicher: es ist ganz schön viel los hier in Mittelerde.
„Die Ringe der Macht“ feuert zu Beginn der insgesamt acht Folgen der ersten Staffel wahrlich aus allen Rohren. Als ob die Macher gar nicht erst den Verdacht aufkommen lassen möchten, dass diese Serie nicht das epischste Streaming-Highlight der Geschichte werden könnte. So springt man munter von einem zum nächsten prächtig in Szene gesetzten Ort, startet zahlreiche Handlungsstränge und führt gefühlt noch einmal doppelt so viele Figuren ein. All das mit dem teuersten Budget der Seriengeschichte im Rücken, von dem auch wirklich jeder Cent auf dem Bildschirm zu sehen ist. Rein visuell gerät man als Zuschauer dabei schon nach wenigen Minuten wieder voll in den Bann von Mittelerde, so überzeugend und mitreißend ist hier der Mix aus klassischem Setdesign, toller Kameraarbeit und Lichtsetzung sowie moderner Spezialeffekte gelungen. Einfach jeder Ort sieht hier phantastisch aus, auch weil man wirklich in jeder Szene das Talent und die Hingabe aller Beteiligten hinter der Kamera spüren kann.
Keine Frage, „Die Ringe der Macht“ setzt rein visuell eine neue Benchmark für die Serienlandschaft und es gibt nicht wenige Momente, wo man einfach gerne auf Pause drücken, das Bild ausdrucken und sich direkt an die Wand hängen möchte. Doch auch das schönste Bild wird irgendwann zum Hintergrundrauschen, wenn man damit nicht irgendetwas emotionales verbindet. Und genau dieses emotionale Fundament zu gießen bereitet „Die Ringe der Macht“ leider einige Probleme. Das beginnt damit, dass die Serie Schwierigkeiten hat, ihre Story als mehr denn nur die Summe von Einzelteilen erscheinen zu lassen. Man macht so viele unterschiedliche Schauplätze auf, bekommt aber nie wirklich eine alles umspannende Dynamik hin, da gefühlt alle irgendwie ahnungslos in ihrer eigenen Handlungssuppe schwimmen. Das ist zu Beginn noch halbwegs verzeihbar, aber nach mehreren Folgen merkt man dann doch, dass diese vielen kleinen Mini-Entwicklungen an den unterschiedlichen Orten einfach zu wenig sind, um dem Ganzen richtigen Schwung zu verleihen.
Vielleicht wäre hier ein Blick rüber zu den Jungs von „House of the Dragon“ zu empfehlen, die sich für einen deutlich fokussierteren Ansatz bei ihrem Prequel entschieden haben und damit viel besser fahren. Bei „Die Ringe der Macht“ hat man dagegen oft das Gefühl, dass eigentlich gar nichts vorangeht. Hier schneidet sich die Serie oft auch selbst ins Fleisch, wenn sie sogar an den Orten selbst sich immer wieder ausbremst. Wenn die Bewohner von Númenor sich zum Beispiel für die Entsendung einer Flotte entscheiden, bekommen wir eine Szene mit jubelnden Menschen in Aufbruchstimmung serviert, bei der man sich als Zuschauer freut, das endlich was passiert. Nur um dann eine Folge später wieder erst ausgebremst zu werden, nur damit dann noch mal die gleiche Aufbruchstimmung im Cliffhanger generiert werden kann – teilweise mit den gefühlt gleichen Szenen und Reaktionen von Figuren wie eine Folge davor.
Ja, wann passiert hier denn endlich mal was von Tragweite, fragt man sich die ganze Zeit. Aber auch diese Frage wäre wohl weniger ein Problem, wenn das inhaltliche auf der Stelle treten wenigstens durch interessante Figuren und spannende Interaktionen aufgefangen werden würde. Doch da kommen wir dann zum wohl größten Ärgernis der Serie, wundervoll zusammengefasst von Zwergenprinz Dorin. „Genug von dieser Wachtelsoße, gib mir das Fleisch“ raunzt er den Elben Elrond nach einer weiteren zu blumig und vage formulierten Aussage an. Genau diese “Wachtelsoße“ ist das Problem. Nahezu kein Protagonist spricht in „Die Ringe der Macht“ ohne gefühlt 22 Metaphern oder Gleichnisse einzubauen und dabei bedeutungsschwanger in die Ferne zu schauen. Es wirkt fast so, als wurden alle Dialoge noch einmal nachträglich mit einem Fass voller Epos und Pathos überschüttet, damit auch ja keiner vergisst, wie monumental das alles hier sein soll.
In kleinen Dosen mag dieses Stilmittel ja effektiv sein, in der Masse taugt es aber höchstens zu einem unterhaltsamen Trinkspiel. Nicht aber zur Charakterbindung, denn die oft einfach zu künstlich wirkenden Dialoge mit ihren oft viel zu vagen Aussagen bauen eine spürbare Distanz zwischen Publikum und Protagonisten auf. So gibt es erschreckend wenige Figuren, die einem wirklich ans Herz wachsen und auch nur wenige Figurenpaare, zwischen denen es emotional klickt. Am Besten funktioniert die Dynamik der ungleichen Freundschaft zwischen Elrond und Dorin, aber das ist schon fast der einzige emotionale Lichtblick (und ist natürlich auch nicht gerade originell, denn hier kommen schon deutliche Erinnerungen an die einstige Buddy-Dynamik von Gimli und Legolas auf - nicht das einzige Mal, dass die Serie sehr deutlich Motive ihrer großen Vorgänger-Trilogie wiederkäut). Viele andere Figuren, allen voran rund um den Handlungsstrang in Númenor, versprühen dagegen nicht viel mehr Charme als eine Horde namenloser Orks. Gerade in den Nebenrollen haben einige Darsteller auch spürbar Probleme die steifen Dialoge mit Leben zu füllen, was bei den Rollen von Eärien, Isildur und Theo sogar zu einigen schauspielerischen Totalausfällen führt. Es ist eben nicht so leicht bedeutungsschwanger in die Ferne zu blicken und dabei intelligent zu wirken.
Glücklicherweise sieht dies bei den zentralen Darstellern und Darstellerinnen der Serie anders aus, wobei diese teilweise aber auch noch mit anderen Widrigkeiten zu kämpfen haben. Morfydd Clark, die so etwas wie der zentrale Anker der Serie ist, gibt eine wirklich überzeugende Elbenkriegerin ab und kann auch die zu blumigen Dialoge meist überzeugend transportieren. Doch wenn die Regie sie dann in Slow Motion und mit wehendem Haar gefühlt minutenlang in epischer Werbeclip-Ästhetik lächelnd durch die Landschaft reiten lässt, wirkt das angesichts ihres eher nüchternen Naturells einfach komplett fehl am Platze. Immer wieder gibt es so Momente, wo der Drang nach einer möglichst epochalen Wirkung den Figuren die Möglichkeit zu echter Emotion raubt.
So toll die Atmosphäre der Serie auch gelungen ist, diese teils gravierenden inhaltlichen Schwächen lassen „Die Ringe der Macht“ oft ziemlich zäh und sperrig wirken. Es fehlt lange Zeit einfach eine ordentliche Prise Pfeffer in dieser nur lauwarm vor sich hinköchelnden Story- und Figurensuppe. Gegen Ende der ersten Staffel gewinnt die Handlung zwar endlich das langersehnte Tempo und serviert uns ein paar bedeutsame Wendungen. Doch deren Wirkung verpufft angesichts der fehlenden emotionalen Bindung zu den Figuren doch spürbar. Und angesichts der Zeit, die sich die Serie in den ersten sechs Folgen nimmt, wirkt das Ende, wo endlich mehr gehandelt als philosophiert wird, auch viel zu überhastet.
Ganz so weit wie Elon Musk in seiner Kritik wollen wir hier aber nicht gehen, denn die beeindruckenden optischen Schauwerte und das Trio Galadriel, Elrond und Dorin sind durchaus unterhaltsam. Es ist aber eben leider bei weitem nicht genug, um eine wirkliche Empfehlung für die Serie auszusprechen. Vielleicht war die Bürde des hohen Preisetiketts in der ersten Staffel dann doch einfach zu viel für die Macher. Es bleibt also zu hoffen, dass die Köche hinter den Kulissen zur Erkenntnis kommen, dass Wachtelsoße auf der Speisekarte vielleicht lecker klingen mag, bei einem wirklichen Sterne-Menü aber doch besser in Maßen genossen werden sollte.
Die komplette erste Staffel von "Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht" ist seit dem 14. Oktober 2022 exklusiv bei Amazon Prime Video verfügbar.
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