Stranger Things - Staffel 1

von Matthias Kastl / 1. August 2016

Nostalgie kann ein ziemlich starkes Gefühl sein. Nur zu gerne denkt man sehnsuchtsvoll an die gute alte Zeit zurück, in der zumindest subjektiv betrachtet die Welt noch in Ordnung war und, vor allem in der eigenen Kindheit, alles irgendwie ein wenig einfacher und unschuldiger daherkam. Wo starke Gefühle sind, ist aber natürlich die Film- und Fernsehbranche nicht weit und so hat man dort, insbesondere in den letzten Jahren, Nostalgie als ein bewährtes Mittel zum Gelddrucken entdeckt. Insbesondere die 80er Jahre sind dabei in den Vordergrund gerückt, und man hat damals nun schon wirklich besonders großen Müll produzieren müssen, um heute davor sicher zu sein, nicht an den Haaren aus der Kino- oder TV-Gruft gezogen zu werden.

Stranger Things

Das Ergebnis des Nostalgie-Wahns ist leider zu oft seelenlose Durchschnittsware, die nicht wirklich dazu geeignet ist einen in alten Erinnerungen schwelgen zu lassen. Vielleicht ist das ja einer der Gründe, warum eine kleine Netflix-Serie, die so wirklich keiner auf der Rechnung hatte, gerade für einen mittelgroßen Hype sorgt. “Stranger Things“ ist eine Art Best-Of des Kinos der 80er, mit soviel Vorbildern und Referenzen, dass man schon bald das Zählen aufgibt. Doch anstatt eine seelenlose Collage zu formen, kommt diese achtteilige Mystery-Serie mit so einem unglaublich großen Herz und einer solchen Liebe fürs Detail daher, dass man gar nicht anders kann als sich Hals über Kopf darin zu verlieben.

Natürlich ist die Geschichte vorhersehbar und verheddert sich insbesondere gegen Ende ein wenig in ihrer eigenen Mythologie. Aber so ist das eben mit der Liebe, manche Schwächen verzeiht man einfach nur zu gerne, wenn man dafür eine so tolle Zeit mit dem Gegenüber verbringen kann. In diesem Fall ist dieser Gegenüber eine atmosphärisch dichte Liebeserklärung an all die Spielberg-, Carpenter- und Stephen King-Filme der 80er Jahre, bei der Kinder von damals heute schon aus ganz hartem Holz geschnitzt sein müssen, um hier nicht so manch wehmütige Träne zu vergießen.

Stranger Things

Unser Nostalgie-Zeitreise beginnt in einer amerikanischen Kleinstadt an einem kühlen Novemberabend im Jahre 1983. Als ihr bester Freund und Rollenspielkollege Will (Noah Schnapp) auf mysteriöse Weise verschwindet, dämmert es Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo) und Lucas (Caleb McLaughlin) schnell, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Der Verdacht bestätigt sich, als die Kinder auf das verstörte Mädchen Eleven (Millie Bobby Brown) treffen, dem scheinbar die Flucht aus einer geheimen Forschungsanlage geglückt ist. Das Problem an der Sache: Das wortkarge Mädchen scheint nicht der einzige Ausreißer aus dieser Anlage zu sein, und so begibt sich die Gruppe schon bald auf die Jagd nach einem gefährlichen Gegner. Die Erwachsenen des Ortes sind derweil aber auch nicht ganz untätig. Wills Mutter Joyce (Winona Ryder) versucht zum Beispiel verzweifelt den lokalen Chief Hopper (David Harbour) davon zu überzeugen, dass beim Verschwinden ihres Sohnes so einige Sachen keinen Sinn ergeben. Dessen anfängliche Skepsis weicht aber schnell, als auf einmal erste Todesopfer in dem sonst so ruhigen Örtchen zu beklagen sind. Spätestens als Hopper dann auf den nicht wirklich vertrauenserweckenden Leiter des geheimnisvollen Forschungskomplexes (Matthew Modine) trifft, wird ihm klar, dass er hier einer ganz großen Sache auf der Spur ist.

 

Beim Lesen dieser Inhaltsangabe fühlt man sich unweigerlich an eine andere 80er-Jahre-Hommage erinnert, deren Geschichte einige Parallelen zu “'Stranger Things“ aufweist. Und ganz ehrlich, eigentlich könnte ich jetzt einfach an den Kollegen Helmke übergeben und den Leser zu unserer Kritik von J.J. Abrams' “Super 8“ verweisen, denn so ziemlich alles was dort geschrieben wurde trifft auch hier zu. Gäbe es in der Serie keine modernen Spezialeffekte könnte man nämlich auch hier glatt meinen, die beiden Macher Matt und Ross Duffer hätten ein paar alte Filmrollen auf ihrem Speicher entdeckt. Wie hier derart perfekt die Atmosphäre der Filme der 80er Jahre eingefangen wird, insbesondere die der Produktionen von Steven Spielberg, das ist schon wahrlich eine kleine Meisterleistung.

Stranger Things

Das Hauptlob haben sich natürlich die beiden Erfinder verdient, die hier J.J. Abrams in nichts nachstehen – mal abgesehen von den fehlenden lens flares. Insbesondere “E.T.“ sticht dabei als eine der Hauptinspirationsquellen heraus. Dessen Bildersprache wird derart perfekt eingefangen, dass man sich stellenweise fragt, wann hier denn nun endlich jemand nach Hause telefoniert. Natürlich haben wir es dabei immer wieder mit sehr deutlichen visuellen und inhaltlichen Liebesbekundungen an den Klassiker zu tun, zum Beispiel, wenn die Jungs gemeinsam mit dem Fahrrad unterwegs sind oder sich Eleven eine Frauenperücke aufsetzen darf. Sehr oft sind es aber auch ganz subtile und elegante Anlehnungen an den Meister, die einem ein wohliges Gefühl der Vertrautheit vermitteln. Man muss sich nur die Inszenierung und Schauspielführung der Familiengespräche am Küchentisch oder der Rollenspielrunde im Keller anschauen, bei denen wohl die stärksten nostalgischen Gefühle beim Zuschauer geweckt werden.

Dabei muss natürlich auch ein Extra-Lob an das Set-Design gehen, denn es reicht natürlich nicht einfach nur ein paar alte Plakate aufzuhängen – da muss man schon ein intelligenter Beobachter sein, um derart gekonnt die Atmosphäre von damals “wiederherzustellen“. “Stranger Things“ legt dabei in allen Produktionsabteilungen einen verdammt überzeugenden Auftritt hin und es ist Matt und Ross Duffer zu verdanken, dass all diese Puzzleteile so gekonnt zusammengefügt werden. Insbesondere wenn man das kleine Budget der Serie in Betracht zieht und die Tatsache, dass die beiden Zwillingsbrüder erst Mitte der 80er Jahre geboren wurden und die betreffende Zeit ja gar nicht wirklich durchlebt haben.

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Genau wie bei “Super 8“ steht hier die Atmosphäre und der Einsatz liebgewonnener, aber eben auch sehr vertrauter Storyelemente im Vordergrund – weniger eine überraschende und clevere Geschichte. Und so haben wir dann auch hier letztendlich das Problem, dass die Story rund um die Monsterjagd gegen Ende dann doch ein wenig ihren Reiz verliert. Sobald klar ist, mit was man es hier zu tun hat, steuert die Serie relativ geradlinig auf ihren durchaus blutigen Showdown zu (auch hier gilt: die Serie ist mit aber nicht unbedingt für Kinder). Dabei wird immer wieder im Horror-Kino der 80er gewildert, von Stephen King bis hin zu John Carpenter oder dem von Spielberg produzierten “Poltergeist“. Das ist kompetent gemacht und sorgt immer wieder für ein nostalgisches Lächeln, richtig spannend wird es aber eher selten. Gegen Ende gilt es dann auch manch Logikfehler zu schlucken und das Duell zwischen den Kindern und den menschlichen Bösewichten wird letztendlich auch nur durch die große Inkompetenz letzterer entschieden.

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Über all das kann man aber im Angesicht all der anderen Stärken der Serie getrost hinwegsehen. Womit wir dann auch gleich bei ein paar Punkten wären, die “Stranger Things“ noch einmal eine ganz besondere Note verleihen. Da wäre zum einen die Casting-Abteilung, die mal eben so mehrere großartige Kinderdarsteller aus dem Hut gezaubert hat. Insbesondere die drei verbliebenen Jungs und Millie Bobby Brown als Eleven besitzen nicht nur ein tolles Charisma, sondern spielen auch noch überzeugend. Zwar sind vor allem Mike, Dustin und Lucas vom Grundsatz her sehr klischeehaft angelegte Figuren, aber ihr Zusammenspiel ist nicht nur einfach gut geschrieben, sondern vor allem glaubwürdig und herzerwärmend dargestellt. Bei so manch kleinem Hänger in der Serie ist es das Auftauchen dieser verschworenen Bande, der das Schiff sofort wieder auf Kurs bringt. Millie Brown wiederum entwickelt ihre ganz eigene überzeugende Leinwandpräsenz mit ihrer gelungenen Mischung aus eiskaltem Racheengel und verletzlicher Kinderseele.
 

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Da geht das überraschende Comeback einer alten Bekannten fast ein bisschen unter. Winona Ryder is back - dass er diesen Satz mal schreiben würde hätte der Rezensent hier jetzt auch nicht unbedingt gedacht. Es ist ironisch und doch auch passend zugleich, dass ausgerechnet eine Ikone der 90er sich nun durch eine Hommage an die 80er wieder einen Namen macht. Verdient ist es, vor allem da Ryder mit der schwierigsten Figur des ganzen Ensembles konfrontiert wird und der Aufgabe mehr als nur gewachsen ist. Die aufgekratzte und hyperaktive Joyce hätte leicht eine sehr nervige Angelegenheit werden können, aber Ryder schaltet immer in den richtigen Momenten einen Gang zurück, um die Bindung zwischen Zuschauer und Figur nicht zu gefährden. Sympathischster Erwachsener ist aber ohne Zweifel Chief Hopper, den David Harbour souverän und mit jeder Menge Charisma als moralischen Fels in der Brandung porträtiert – seine erfolglosen Frauengeschichten einmal außen vorgelassen. Natürlich sind die meisten dieser Figuren nicht sonderlich komplex angelegt, aber da sieht man eben mal wieder was mit gutem Casting und gut geschriebenen Dialogen alles erreicht werden kann. Dass sich die Macher dabei dieser Figurenklischees durchaus bewusst sind, wird am Beispiel der Nebenfigur eines Teenagers deutlich. Hier spielt das Drehbuch clever mit unseren Erwartungen und macht etwas mit der Figur, was wohl im Kino der 80er Jahre so nicht passiert wäre.
 

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Zum Schluss gibt es dann noch ein kleines Extralob für die Musik der Serie. Mit dem von John Carpenter inspirierten Synthie-Sound gelingt “Stranger Things“ noch das i-Tüpfelchen auf eine so schon überzeugende Atmosphäre. Vor allem die Art und Weise wie dieser immer wieder gezielt in ruhigeren Passagen eingesetzt wird, sorgt dafür, dass man noch mal einen zusätzlichen Nostalgie-Schub bekommt. Gleichzeitig gibt der Sound der Serie aber auch ihr eigenes Flair und da hätten wir dann auch schon die Essenz dessen, was “Stranger Things“ so erfolgreich macht. Hier wird eben nicht lieblos kopiert, sondern auf intelligente und liebevolle Weise kombiniert. Typische Elemente der 80er ergeben in diesem Mix eine wundervolle Hommage mit durchaus hier und da eingestreuten eigenen kleinen Noten.

Zugegeben, am effektivsten wird diese Serie natürlich auf Kinder oder Fans des Kinos der 80er Jahre wirken. Als solcher möchte man sich am liebsten in eine Decke eingewickelt zusammen mit der Serie an den Kamin setzen um in alten Erinnerungen zu schwelgen. Aber das Herzblut und die Hingabe der Macher ist auch für alle anderen spürbar und es kommt nicht von ungefähr, dass diese Serie ihren Erfolg keiner ausgeklügelten Marketingkampagne, sondern der guten alten Kraft der Mundpropaganda verdankt. Deswegen, an all jungen oder junggebliebenen Serienfans da draußen – mit “Stranger Things“ warten knapp acht Stunden richtig angenehmer Zeitvertreib auf euch.

Die komplette Staffel von "Stranger Things" ist seit Mitte Juli beim Streaming-Anbieter Netflix verfügbar. 


Die Kritik passt, ich habe die Serie wegen ihrer richtig schönen Atmosphäre verschlungen. Old School-Mystery, super Darsteller (vor allem Millie Bobby Brown spielt ihre Rolle fabelhaft!) und die Musik, die mir anfangs total unpassend erschien, am Ende aber nicht mehr wegzudenken war. Unter der Prämisse einer Hommage an alte 80er-Filme sehenswert. Viele werden angesichts des Hypes (IMDb jetzt bei 9,2) aber sicherlich enttäuscht sein und wegen des etwas mauen zentralen Storyelements bestimmt meckern. Mir hat's aber viel Spaß gemacht.

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Allerorts scheinen sich die Kritiker ob dieser Serie gerade in Superlativen zu ueberbieten.
Und obwohl ich dem Hype aus genau diesem Grund vor dem Sehen der Show soweit als moeglich aus dem Weg ging, kann ich auch danach nicht ganz verstehen, warum dass hier der Serienknaller der laufenden Saison sein soll. Waehrend die Atmosphaere zu Anfang ordentlich aufgebaut wird, passiert am Ende einfach zu wenig, um die gerade mal 8 Folgen auch interessant auszufuellen. Das scheint generell ein Problem bei Netflix-Serien zu sein (ich denke da an die erste Daredevil-Staffel die sich ewig gezogen hat), aber bei einer derart kurzen Staffel wie dieser ist es besonders aergerlich.

Die ganze Zeit Carpenter-Referenzen zu zaehlen ist einfach nicht genug um 8 Stunden mit einer Geschichte zu verbringen, die besser in 3 - 4 erzaehlt waere. Ist wirklich schade darum, aber ich habe mich fuer den Grossteil der Handlung hauptsaechlich gelangweilt.

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Stranger Things ist sehr unterhaltsam, handwerklich hervorragend, dazu toll gespielt. "Seelenlose" Nostalgieware ist sie nicht, aber das bedeutet in diesem Fall nur, dass die Macher sehr gut verstanden haben, mit welchen emotionalen Mitteln ihre Vorbilder hantieren. Nostalgieware ist sie trotzdem, und leider zu keinem Zeitpunkt mehr. Das ist die andere Seite: Die Serie, die im Jahr 2016 am meisten bejubelt wird, kommt ohne eine einzige (!) eigenständige Idee aus, weder hinsichtlich ihrer Geschichte, ihrer Bildsprache, ihrer Atmosphäre noch sonst irgendwo. Es ist eine von A-Z aus verschiedenen Stephen King-Motiven zusammengeklaubte Geschichte, die noch dazu das halbe Fantasy- und Horrorkino der 80er gleich mit verwurstet. Wie der letzte Star Wars-Film gleicht sie einem langen Nachmittag im Museum.

Eine eigene erzählerische Ambition der Macher kann ich jedenfalls nirgends ausmachen. So wäre es doch sehr viel spannender gewesen, hätte man wenigstens versucht, so eine Kleinstadt-Coming-of-Age-Mystery-Erzählung nach King-Strickmuster mal in die Gegenwart zu übertragen. Wie wächst man denn heute so auf, als Jungscrew in diesem Alter? Als Teenager? Wie fühlt sich das an? Was für Bedrohungsszenarien gibt es da? Was für Ängste? Sicher scheint mir nur, dass Fantasyspiele nicht mehr auf dem Brett gespielt werden und MKUltra und der Kalte Krieg, nun ja, Geschichte sind. Und Joy Division sollten im Jahr 2016 auch nicht mehr bemüht werden müssen, um Teenage Angst zu vertonen. Die Erzählidee dieser Art Kino für die Gegenwart zu adaptieren hätte m.E. mehr eigene Kreativität erfordert, als jetzt in der ganzen Serie steckt. Vielleicht wäre allein schon beim Versuch etwas völlig anderes dabei rausgekommen.

Jetzt kann man einwenden, dass die Geschichte unter heutigen Bedingungen so nicht mehr funktionieren würde, weil, das Internet, oder was auch immer. Mag sein. Ich habe auch das leise Gefühl, dass zehnjährige "Außenseiter"-Kids, die online gemeinsam Rollenspiele vor dem Bildschirm zocken nicht mit einer vergleichbaren rührseligen Sympathie betrachtet werden. Meinetwegen. Dann (das wäre meine Bitte) erfindet doch eine Geschichte, die diese Gegenwart berücksichtigt, aber ähnlich emotional berührt wie die Klassiker von King, Spielberg, etc. Was zugegebenermaßen eine erzählerische Haltung erfordert. Und eine ganz andere Herausforderung ist. Vielleicht wäre Stranger Things dann in ein paar Jahren sogar selbst ein Klassiker geworden. Diese 80er-Pastiche wird es sicher nicht: Die Klassiker dazu gibt es nämlich schon...

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