Julia
ist keine grazile Frau. Die Blicke, die sie in der
Öffentlichkeit
fixieren, sind sicher keine bewundernden. Man könnte etwas
böswillig auch konstatieren: Julia ist ein Wrack.
Körperlich
und seelisch. Sie säuft wie ein Loch, raucht permanent und
steigt gerne mal mit fremden Männern in die Kiste.
Wählerisch
ist sie dabei nicht. Jedenfalls lernen wir Julia so
kennen. Die
ersten Bilder, die wir in Erick Zoncas Film von der
Titelheldin
zu sehen bekommen, schmeicheln ihr nicht. Julia ist fertig
mit der
Welt. Ihr Job steht auf der Kippe und überhaupt ist alles
"ziemlich
scheiße" wie sie einmal ganz und gar nicht ironisch
bemerkt.
Doch Julia (Tilda Swinton) ergibt sich der Verzweiflung
nicht. Eines
Tages hilft ihr eine ihr völlig unbekannte Nachbarin aus
einer
misslichen Situation. Julia ist Elena (Kate del Catillo)
dankbar,
aber möchte die Helferin schnell abwimmeln. Doch Elena
lässt
sich nicht abwimmeln. Ganz im Gegenteil: Die geistig
verwirrt wirkende
Frau sieht in Julia eine Freundin und Verbündete. Elena
erzählt
Julia von ihrem Sohn Tom (Aidan Gould), der
ungerechterweise seiner
Mutter weggenommen wurde und nun beim böswilligen aber
sehr
reichen Großvater untergebracht ist. Julia soll ihr helfen
Tom zu kidnappen, damit der Junge endlich wieder zurück
zur
Mutter kommt. Und irgendwann zwischen Elenas
immer wahnsinniger werdenden Bitten und Bettelanfällen und
Julias verzweifelten Versuchen diese unangenehme Person
endlich
loszuwerden, entschließt sie sich dann doch Elena bei
ihrem
Plan behilflich zu sein. Die Aussicht auf viel Geld
scheint Julia
den gesunden Menschenverstand vernebelt zu haben. Julia
entführt
Tom. Doch dann passiert ein Unfall und Julia muss mit dem
neunjährigen
Jungen fliehen.
1980 hieß "Julia" noch "Gloria" und war die Hauptperson in dem Film von John Cassavetes, der mit dem Stoff den Goldenen Löwen von Venedig gewann. Gloria, damals verkörpert durch die wunderbare Gena Rowlands, war eine ehemalige Gangsterbraut, die mehr oder weniger durch Zufall einen kleinen Jungen an die Hand bekommt, den sie dann vor der Rache ihrer ehemaligen Chefs beschützen muss. Der französische Regisseur Erick Zonca nimmt sich für sein englischsprachiges Debüt nur lose dieses Stoffs an, der schon 1999 für ein unsagbares Remake von Sydney Lumet herhalten musste (damals wurde die Hauptrolle von Sharon Stone gespielt). Indem Zonca auf den Mafiosi-Hintergrund seiner Hauptfigur verzichtet, versucht er den Gloria-Mythos etwas zu generalisieren. Doch die Geschichte einer Versagerin, die durch die immer stärker werdenden Muttergefühle langsam zum Menschen wird, leidet an unerhörten Konstruktionsfehlern.
Das Drehbuch platzt vor der unglaublich hohen Zahl an
Klischees.
So führt Julias Flucht schließlich nach Mexiko und alle
Menschen (meist sind es übrigens Männer), denen sie hier
begegnet, sind entweder Kleinkriminelle, Mörder, Kidnapper
oder Gangster
(manchmal auch alles zusammen). Da die Polizei in diesem
Land immer
korrupt sein muss, darf sie auch nicht auf deren Hilfe
hoffen. Das
"Böse-Mexikaner-Klischee" wird hier bis aufs Äußerste
ausgereizt und produziert beim Zuschauer nur ein
verärgertes
Stirnrunzeln.
Zudem streckt der Regisseur den Film auf unverschämte 138
Minuten.
Immer wieder dehnt und streckt er Szenen und Handlungen
unnötig
in die Länge. Die so kurzfristig aufgebaute Spannung
zerfließt
im Handumdrehen zur bohrenden Langeweile. Im
Viertelstundentakt
baut der 57-jährige Franzose Wendungen und Drehungen in
seinen
Plot ein und möchte damit überraschen. Doch auch die
Regelmäßigkeit
dieser Plot Twists wird irgendwann einfach nur redundant.
Selbst die visuelle Seite der Inszenierung kann über das
enttäuschende
Drehbuch nicht hinwegtrösten. Mit einer fast permanent
wackelnden
Handkamera gedreht, lässt sich "Julia" nur selten
Zeit für lange und ruhige Einstellungen. Alles in diesem
Film
ist hektisch, aufgeregt und geladen. Eine unnötige
Reizüberflutung,
die einen ständig überwältigen soll aber nie berührt
oder wirklich mitfühlen lässt.
Bei genauerem Hinsehen ist auch der große Pluspunkt des Films gar keiner. Es stimmt, dass "Julia" eine klassische One-Woman-Show ist. Tatsächlich bekommt die immer herausragende Tilda Swinton (jüngst als beste Nebendarstellerin in "Michael Clayton" mit dem Oscar ausgezeichnet) die Möglichkeit, die komplette Palette der großen Gefühle zu spielen. Ihre demonstrative Leistung bewahrt den Film daher vor einer Katastrophe. Doch Zonca lässt ihr nicht immer genug Raum, um einen gewissen Spielfluss zu etablieren. Er hält die Kamera immer auf ihr Gesicht. Die Linse ist immer ganz nah dran. Die Bilder brüllen förmlich: "Schaut her wie sie leidet! Schaut doch bitte hin!". Das führt in letzter Konsequenz leider dazu, dass Tilda Swinton anfängt zu chargieren. Da kann auch das Make-Up, das sie immer mal wieder aussehen lässt wie Charlize Theron in "Monster", nicht weiterhelfen.
"Julia" enttäuscht Erwartungen, gerade weil Regisseur
Zonca mit seinen brillanten Vorgängerfilmen wie "Liebe
das Leben" oder "Seule" als Hoffnung für das
französische und auch für das europäische Kino galt.
Es tut daher ein wenig weh, dass der erste
englischsprachige Film
dieses Talents doch ziemlich misslungen ist. Zonca betont
in Interviews,
dass er sich am Stil und der Ästhetik von John Cassavetes
orientieren
wollte. Leider muss er da wohl etwas missverstanden haben.
Bei Cassavetes
entsteht der Reiz meist über die Art und Weise der
Schauspielführung.
Er ging mit seinen Figuren immer bis zum Ende. Sie haben
daher immer
etwas durchlebtes, fragiles und gezeichnetes. Julia fehlt
das. Sie
ist eine sehr konstruierte, fast schon künstliche Figur.
Zonca verschreibt sich ganz dem Thriller-Genre, dessen
Elemente
er aber nicht ganz beherrscht. Er schafft es nicht mehr
diesen menschlichen,
sensiblen und überaus einfühlsamen Ton zu finden, der
ihm sein internationales Ansehen bescherte und der seine
früheren
Filme prägte. Auch wenn Julia das am Ende vielleicht nicht
tut - der Film über ihre Geschichte scheitert.
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