Daß auch über geistig Behinderte
herzhaft gelacht werden darf, ist eine Tatsache, die man sich
nicht nur beim Besuch von "Ganz normal verliebt" hinter die
Ohren schreiben sollte. Das Gegenteil zu behaupten, zeugt
weniger von Political Correctness als von schierer Ignoranz,
denn - auch Menschen mit einem IQ von weniger als 70 können
lustig sein. Sie werden genauso erwachsen wie andere, und sie
verlieben sich auch.
Elizabeth
Tate (Diane Keaton), Mutter von drei Töchtern, ist das
noch nicht ganz klargeworden. Daß sie ein Kind in ihr
pompöses Haus gebiert, das anders ist als andere, damit
kann sie sich nicht abfinden. Als Ausweg bleibt nur ein Heim
für geistig Behinderte, in das sie ihre dritte Tochter
Carla (Juliette Lewis) abschiebt. Jahre später schließlich
kehrt Carla als junge Frau zu den Tates zurück, bringt
ihren Goldfisch mit, ihren Ehrgeiz, ihren Unabhängigkeitswillen
und damit das Leben der Tates durcheinander. Als sie eine eigene
Wohnung haben möchte und sich schließlich in den
zurückgebliebenen Daniel MacMahon (Giovanni Ribisi) verliebt,
ist die Toleranzschwelle ihrer Mutter bei weitem überschritten.
Diese Story ist leicht an Doris Lessing´s Novelle "The
fifth Child" angelehnt - aber wo bei Lessing eine Familientragödie
erzählt wird, entspinnt sich bei "Ganz normal verliebt"
eine unglaublich süße Romanze und die Geschichte
von Carla, die trotz aller Hindernisse nichts anderes tut, als
die normal-normierte Welt für sich zu erobern.
Zu
allererst sollte man die grandiosen schauspielerischen Leistungen
erwähnen: Neben Juliette Lewis ("From Dusk till Dawn",
"California", "Kap der Angst"), die als Carla eine umwerfend
süße Figur abgibt, verdient die Figur ihres Freundes
Daniel besondere Aufmerksamkeit: Giovanni Ribisi spielt den
strunzdummen, aber ehrlichen Stammler so überzeugend, daß
man sich ihn nur schwerlich in einer anderen Rolle vorstellen
kann. Erst recht nicht als Sanitäter Harlan Wade bei "Saving
Private Ryan", als der er vielleicht bei einigen noch in Erinnerung
ist. Was Ribisi hier abliefert, ist nicht weniger als oscarreif.
Tom Skerritt ("Aus der Mitte entspringt ein Fluß") spielt
auch hier wieder das, was er am besten kann: den verständnisvollen
Familienvater. Selbiger steht allerdings unter der Matriarchatsknute
seiner Frau Elizabeth, die zwar nicht für die Kohlen, wohl
aber für das soziale Ansehen der Familie sorgt. Diane Keaton
als Etepetete-Mama hinkt mit ihrer Leistung allerdings den anderen
Darstellern um einiges hinterher.
Alexandra Rose´s Geschichte hätte so einen bezaubernden
Film ergeben können, mit feinfühliger Symbolik und
charmantem Humor, mit einem guten Regisseur (Garry "Pretty Woman"
Marshall), erst recht mit dieser Besetzung, wenn- ja wenn nicht
das amerikanische Filmbusiness seinen Tribut gefordert hätte.
Eine
schöne Geschichte zu erzählen, das ist auch in Hollywood
weiterhin erlaubt. Gut so. Schlecht allerdings, daß das
Erzählen einer guten, *kurzen* Geschichte nicht drin ist.
Wie so oft in den letzten Jahren, ist auch "The Other Sister"
ein viel zu langer Film. 80 oder 90 Minuten hätten es perfekt
getan, die angeflanschte Dreiviertelstunde Spielzeit ernährt
sich von gänzlich überflüssigen Details, verfranst
sich hoffnungslos in unnötigen Nebenhandlungen und ist
damit so überflüssig wie ein Loch im Kopf. Umso ärgerlicher,
als für die wirklich wesentlichen Probleme keine Zeit mehr
bleibt, etwa für die Carlas Entfremdung von Vater Radley.
Damit passiert "Ganz normal verliebt" das allerschlimmste Filmschicksal:
Es zieht sich, und zwar zuweilen ohne Ende.
Ein weiterer "amerikanischer" Minuspunkt ist der Musik-Score.
Die ausgelatschten Streicher gehen schon nach zwei Minuten auf
den Zeiger, und die Mischung mit Pop-Songs macht das Grauen
komplett.
Auch, wenn Carla Tate und Daniel MacMahon nichts dafür
können, büßt der Film durch diese simplen Unzulänglichkeiten
krass an Qualität ein.
Mehr als fünf Punkte sind nicht drin.
Originaltitel
The Other Sister
Land
Jahr
1999
Laufzeit
131 min
Regie
Release Date
Bewertung
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