Dear Wendy

Originaltitel
Dear Wendy
Jahr
2005
Laufzeit
101 min
Genre
Release Date
Bewertung
3
3/10
von Simon Staake / 10. Februar 2011

 

Eine Kleinstadt im Südwesten der USA: Dick (Jamie Bell, vormals "Billy Elliott", nach Stimmbruch und Wachstumsschub jedoch kaum wiederzuerkennen) will nicht wie fast alle männlichen Bewohner des Ortes in der Mine arbeiten. Anstatt aber Ballett zu lernen (was für ihn und die Zuschauer besser gewesen wäre), verliebt er sich in eine ihm zufällig in die Hände fallende Schusswaffe, die er auf den Namen Wendy tauft. Flugs wird mit den anderen Verlierern des Ortes eine Bande gebildet: Als "die Dandies" verpflichten sich die Mitglieder zum "bewaffneten Pazifismus" - Waffenkult ohne Nutzen zu gewalttätigen Zwecken - tragen bunte und beknackte Kostüme und haben generell eine gute Zeit. Bis der örtliche Sheriff (Bill Pullman) Dick als eine Art Bewährungshelfer für einen jungen Gewalttäter rekrutiert. Bald stößt der "bewaffnete Pazifismus" an seine sehr engen Grenzen....

Lars von Trier und seine Amerika-Kritik sind zurück. Nach "Dogville" und "Mandalay" überlässt er zwar Kollege Thomas Vinterberg ("Das Fest") den Regisseursstuhl und beschränkt sich aufs Drehbuch, geholfen hat es allerdings nicht. Denn "Dear Wendy" trägt zu deutlich seine Handschrift und wird zur befürchteten "Böses Amerika"-Predigt.
Das ist an sich noch kein Kapitalverbrechen, aber leider wirken Lars von Triers antiamerikanische Pamphlete ja immer ein wenig unbeholfen, naiv und peinlich. Was zum einen sicherlich daran liegt, dass der an Flugangst leidende Von Trier das Feindesland noch nie betreten und mit eigenen Augen betrachtet hat, und von daher lediglich Ferndiagnosen stellen kann. Zum anderen aber auch daran, dass er ständig mit dem Zeigefinger wedelt und seine Theorien derart mit dem Holzhammer reindreschen will, dass jede Spannung oder Überraschung unterbunden wird.
So auch in "Dear Wendy", bei dem der Ausgang von Anfang an außer Zweifel steht und es unterwegs keinerlei interessante Schlenker gibt. Waffen sind verführerisch; wer eine Waffe hat, der benutzt sie irgendwann auch; Waffen fördern Gewalt: So die Binsenweisheiten, die Von Trier hier so aufbringt. Gähn.

Allein die zugrundeliegende Idee des "bewaffneten Pazifismus" (eine Idee für ein Sequel: ‚Das Gandhi-Kettensägenmassaker') ist schon beknackt ohne Ende, und danach wird es auch nicht besser. Geschickt wollen sich Von Trier und Vinterberg damit aus der Affäre ziehen, dass sie ihre Geschichte zeitlos, allegorisch und surreal anlegen, aber das hilft nichts. Denn zu viele halbgare oder unsinnige Ideen können auch von einem derartigen Anstrich nicht übertüncht werden.
Die panische Angst vor ganz offensichtlich nicht-existenten Gangs in einem winzigen Ort, in dem scheinbar nur Mienenarbeiter leben, mag ja als These durchgehen über amerikanische Paranoia, die nur mit Waffenbesitz bekämpft werden kann. Aber wird es auf dem reinen Storylevel dadurch weniger albern, dass Clarabella vor einem Weg von etwa zwanzig Metern panische Angst hat? Von dem albernen Verhalten der Polizei und anderer Staatsvertreter gegen Ende des Films mal zu schweigen. Ähnlich hinterlässt generell das Verhalten jeder einzelnen Figur hier Stirnrunzeln. Oh, apropos Staatsvertreter: Ebenfalls merkwürdig, dass den Kindern in Ethelslope die Eltern wegsterben und diese dann ohne Betreuung allein gelassen werden.
Das kann man natürlich auch als Kritik an unserer vernachlässigten Jugend lesen, vielleicht aber auch nur als ein die Details vernachlässigendes Drehbuch. Welches zudem auch ein kleines Rassismusproblem hat, denn dass der die Dandies spaltende Neuankömmling - und der bis dato einzig Gewalttätige - ein junger Schwarzer ist, ist natürlich klar. Soll womöglich ein Kommentar über afro-amerikanische "Gangsta"-Kultur sein, stößt aber trotzdem sauer auf.

Trotzdem wird es wohl auch Vereinzelte geben, die in den ganzen Unsinn noch jede Menge Sinn reinreden werden und für die das alles brillant satirisch und kritisch ist. Da wird dann der Kaffee für die Nichte wohl auch zum Sinnbild für die sinnlosen Irak- oder Vietnamfeldzüge der USA. Kann man so sehen. Kann man aber auch bleiben lassen. Denn den Spagat zwischen theatralischer Allegorie mit überzeichneten Figuren auf der einen Seite und der Diskussion realer Probleme auf der anderen bekommt "Dear Wendy" nie hin und wirkt so konzeptlos und albern.
Dass von Von Trier bereits in "Dogville" angewandte Konzept vom Brechtschen Epischen Theater, das vielbemühte (und ermüdende) Image des Amerikaners als waffenstarrender Cowboy, die Angst vor alltäglicher, zufälliger Gewalt - alles wird ohne Sinn und Verstand, dafür aber mit grenzenloser Naivität verwurstet. Der ganze Film wirkt so, als hätte ein Haufen dänischer Jung-Linksrevolutionäre an ihrem WG-Küchentisch während einer langen Nacht bei Rotwein und Joints alles zusammengetragen, was ihnen zum Problem Waffen in der Hand des Klassenfeindes USA eingefallen ist. Und der Protokollant war zu betrunken zum korrekten Mitschreiben.

Wer weiß, vielleicht war's auch so und Von Trier hat ihnen das Drehbuch geklaut. Vielleicht hat er sich aber das alles auch ganz ernsthaft und eifrig selbst ausgedacht. Aber ehrlich gesagt wäre erstere Möglichkeit besser, denn dann könnte man das Ganze noch als Ulk akzeptieren. Schließlich würde der ganze Film von seiner Konzeption her als schwarze Komödie wesentlich besser funktionieren. Demgegenüber steht das offensichtliche Bestreben nach Kunst und Anspruch in Stil und Atmosphäre, etwa durch die todernsten Briefe Dicks an seine Wendy, welche den Film als Off-Kommentar eher störend begleiten. Vielleicht haben sich Von Trier und Vinterberg das alles tatsächlich mit einem Grinsen gedacht, der Zuschauer kann ob des Ergebnisses jedoch nicht mitlachen - nur leise weinen, dass er Geld für diesen Film ausgegeben hat.
Von Trier reißt dabei Kollege Vinterberg gnadenlos mit ins Verderben. Der holt aus dem hohlen Drehbuch trotz vereinzelt inspirierten visuellen Momenten (einige hat er zudem bei "Three Kings" geklaut) auch nichts mehr raus, und scheint sich zunehmend in merkwürdigen Allegorien zu verlieren, ganz als wolle er das "Dogma"-Manifest vergessen machen. Erst war da die sonderbare Sci-Fi-Liebesmär "It's all about Love", und nun dieser Fehlschlag.
Denn ein Fehlschlag, so interessant er auch sein mag, ist "Dear Wendy". Michael Moore mag man ja mittlerweile rechtschaffen für doof halten können, aber trotzdem hat er zum Thema "amerikanische Waffenkultur" in "Bowling for Columbine" doch wesentlich Erhellenderes beigetragen. Polemisch mögen ja beide Beiträge sein, aber wo der eine größtenteils fesselnd und einfallsreich war, ist der andere rettungslos prätentiös und doof. Daher: Liebe Wendy, bleib doch bitte fern von uns, denn du lieferst nur Ladehemmungen und Fehlschüsse.


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