Barbara

Originaltitel
Barbara
Jahr
2012
Laufzeit
105 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 5. März 2012

1980 in der DDR. Die Kinderärztin Barbara (Nina Hoss) wird an ein kleines Krankenhaus an die Ostsee strafversetzt. Hier gilt die kühle und schweigsame Frau schnell als arrogante Berlinerin, die sich nicht integrieren möchte. Doch in der DDR ist das nicht nur unfreundlich, sondern auch per se verdächtig. Barbara im KrankenhausEin Stasi-Agent (Rainer Bock) kommt Barbara daher häufig besuchen. Einzig der Stationsleiter André (Ronald Zehrfeld) – auch er ein Strafversetzter – nähert sich der Frau freundlich und offen. Aber was bezweckt er damit? Kann Barbara ihm trauen?

Das ist zunächst die Grundkonstellation von „Barbara“, des neuen Films von Christian Petzold. Und wir können sagen, dass nahezu all diese Informationen im Werk zwar vorhanden sind, aber man muss sie sich selbst zusammenbasteln. Hier besteht schon die erste Kunst von Petzolds Regie. Er wirft uns in eine Welt, in der viele Handlungsverläufe bereits voll im Gange sind. Er nimmt keinen Umweg, um uns zu erklären, dass Barbara die Flucht in den Westen zu ihrem Liebhaber plant. Wie sehen zwar, dass dieser ihre Flucht plant, doch wann sie den Entschluss gefasst hat und ob die Strafversetzung an die Ostsee nicht vielleicht sogar Teil des Planes war, erfahren wir nicht.
Zudem ist alles so natürlich und modern inszeniert, dass man durchaus vergessen kann, dass Petzold hier den Alltag der DDR zeigt. Aber – um sofort der viel zu plumpen Kritik einiger Kollegen zu entgegnen – Petzold hat keinen Dokumentarfilm gedreht. Er will nicht zeigen wie es „wirklich“ war, sondern er kreiert die DDR durch das Prisma seiner Künstlersensibilität neu. Es mag sein, dass die Menschen damals nicht so schön angezogen oder so gepflegt waren. Es mag sein, dass die Wege, Straßen und das Umfeld manchmal etwas zu frisch und rein wirken. Aber sie sind Teil einer ziemlich präzisen Autorenwelt. Alles ordnet sich Petzold unter. Selbst der Dresscode ist Detail, daher wichtig und birgt vielleicht den Schlüssel zu einigen Fragen. Man muss halt genau hinsehen und darf sich nicht verunsichern lassen. So wie André Barbara einmal ein Gemälde von Rembrandt interpretiert, indem er ihr von der falschen Perspektive auf eine Autopsie erzählt. 

Anders als in Petzolds letzten Filmen, wie „Gespenster“, „Yella“ oder „Jerichow“ erzählt „Barbara“ seine Geschichte sehr linear. Der märchenhafte Unterton, die Ambivalenz und Transzendenz, die seine Erzählungen bisher so Unterwegs mit Andrédurchlässig gemacht haben, gibt Petzold für eine stille und reservierte Liebesgeschichte auf. Dabei kochen die Emotionen nicht vor unseren Augen, denn sie sind tief vergraben in den Figuren. Figuren, die – man merkt das gerade in ihrer schweigsamen und misstrauischen Natur – nicht die Zeit, nicht das Umfeld hatten, um ihre Emotionen und Gefühlswelten auszuleben. Nur der stürmische Wind, der durch die Bäume zieht, wenn Nina Hoss mal wieder Fahrrad fährt (lange hat man übrigens keine Frau im Kino so erotisch und abweisend zugleich Fahrradfahren gesehen), zeugt von der Menge an unterdrückten Leidenschaften und Begehren. Gerade in diesen Momenten sieht man wie sehr „Barbara“ Kino ist und nicht Fernsehen. Eine Unterscheidung, die in Deutschland ja eher selten ist.

Christian Petzold ist ein Cinephiler durch und durch. Er inszeniert nie an der Filmgeschichte vorbei. Filme von Chabrol, Peckinpah, Fuller, Friedkin waren in diesem Fall Inspirationsquellen seiner Arbeit. Wobei er deren Filme nie imitiert, sondern gewisse Nuancen zitiert. Das weist ihn als überaus intelligenten Filmemacher aus. Wenn in der ersten Szene seines Films Barbara im Krankenhaus ankommt, so sehen wir das durch ein Fenster. Hinter der Kamera stehen schon die Ärzte, die sie begutachten, über sie lästern, sie bewerten. Da stehen also die hässlichen „Ekelmenschen“ und üben allein mit ihrem erhöhten „Überwachungskamera“-Blick Macht über die Kollegin aus. Etwas Ähnliches meint man in Pier Paolo Pasolinis „Saló. Die 120 Tage von Sodom“ gesehen zu haben, wenn am Ende die faschistischen Schergen im Zimmer der Villa tanzen und gleichzeitig im Hof die letzten Gefangenen abgeschlachtet werden. Bei Petzold wird einer dieser Schergen, André, später seine Machtposition aufgeben und sich in Barbara verlieben. Es ist ein kleiner Sieg über das alles durchdringende System. In diesem Fall auch über das System der DDR.

der Wind geht und Barbara plant die FluchtEs gäbe noch so viel mehr an diesem Film zu loben: die exquisite Kamera von Hans Fromm. Der bereits erwähnte laute Wind, der immer weht, wenn Barbara zur Arbeit fährt und ihren Fluchtplan vorbereitet. Die spärlich aber essentiell eingesetzte Musik. Nina Hoss‘ abermals grandiose Leistung; all das sind Zeichen, Schlüssel und Vorboten, die den Plot erst so richtig zum Leben erwecken. „Barbara“ ist aber vor allem ein Film über den Neuanfang und seine Unmöglichkeit. Barbara selbst hat ihr Leben im Westen bereits begonnen. Sie denkt wie im Westen, sie kleidet sich wie im Westen, sie geht wie im Westen, sie guckt durch die Gegend wie im Westen. Die Tatsache, dass sie die einzige Ärztin ist, die die Patienten mit Vornamen anspricht und nicht nur „das Mädchen“ sagt, spricht Bände. Gibt es einen subtileren Weg ein individualistisches Weltbild gegen ein anonymisierendes zu stellen?
Trotz all ihrer Bemühungen zu fliehen, bleibt Barbaras Körper noch in der DDR. Noch ist sie nicht komplett geflohen. Und so lange das nicht der Fall ist, muss sie sich fragen, ob nicht doch etwas von ihr hierbleiben wird – und zwar für immer. Die komplette Flucht wird niemandem gelingen. Ein neues Leben, wie es uns so viele Filme und Bücher vorgaukeln, kann es gar nicht geben. Selbst wenn es Petzold, der Regisseur, glauben möchte, so widersetzen sich seine Figuren dieser Vorstellung. In ihrer Eigenständigkeit wählen sie einen Weg, der die Wertigkeit eines Lebensentwurfes ganz neu interpretiert. Auch so etwas muss man als Filmemacher erst einmal zulassen.

Christian Petzold ist – das beweist er mit diesem Werk deutlicher als mit seinem bisherigen Filmen – der profilierteste und beste Autorenfilmer des Landes. Wenn man dieses Jahr nur einen deutschen Film im Kino sehen möchte, dann kann man keine bessere Entscheidung treffen als „Barbara“ zu sehen. Es ist kein Film, der einen auf Anhieb umhaut. Aber einer, der wirkt, der sich festsetzt und so neue Bilder zulässt. Bilder, die das deutsche Historien-Kino oft zu grob gemalt hat. Das ist kein „Das Leben der Anderen“, wobei Petzold den Titel von Donnersmarcks Film sehr viel schöner seiner eigentlichen Bedeutung zuführt. Vielleicht erhält er eines Tages als Filmkünstler die breite Anerkennung, die er schon längst verdient.

Bilder: Copyright

10
10/10

Wahnsinnig gut! Wieder ein Grund mehr ein Hoss-Fan zu sein (obwohl alle gut spielen).
Der Film kommt ganz ohne Nostalgie aus und doch erkennt man den Osten ...

Permalink

10
10/10

Atemberaubend! Beim ersten Ansehen des Films (ich war mehrmals drin) ertappte ich mich dabei, daß ich ständig ein Gefühl der Angst spürte. Meine Familie hatte keine Verwandten in der DDR, so daß wir einfach zu wenig über das Alltagsleben dort wussten. Auch der Begriff Jugendwerkhof Torgau hat mir zuerst nichts gesagt. Zufällig kamen in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern im März mehrere Nachrichten darüber, auch ein für mich unerträgliches Interview mit Margot Honnegger, ein einziger Hohn für alle ehemaligen Opfer. Nun zurück zu dem Film: Wunderbar finde ich die Lanschaftsaufnahmen, der Alltag in der Kinderklinik hat mich sehr beeindruckt, auch Andre ist ein wunderbarer Arzt mit großem Engagement. Umgehauen hat mich der Schluß: die letzte Einstellung, als Barbara sich dem völlig erschöpften und enttäuschten Andre gegenüber an das Bett des (hofentlich erfolgreich operierten) Jungen setzt und ihn anschaut - und in seinen Augen zuerst ein ungläubiger Blick und dann Tränen auftauchen: Ich dache zuerst, er liebt Barbare wirklich, und er hat sie nicht an die Stasi verraten und wird sie nicht verraten, aber erst dann merkte ich, daß ich dies zwar schon lange vorher glauben w o l l t e , aber nicht sicher sein konnte - so wie Barbara, und das beschäftigt mich weiter ... Ich habe noch nie vorher einen Film gesehen, in dem die wesentlichen Dinge nicht ausgesprochen, sondern nur durch Blicke kommuniziert werden. Großartig! Mein Kompliment an die beiden Hauptdarsteller, vor allem an Ronald Zehrfeld - ein sanfter Riese, den ich mir sehr gut als Pierre Besouchoff in Tolstoi's Krieg und Frieden hätte vorstellen können und den ich sehr ins Herz geschlossen habe. Ich wünsche dem Film viele, viele Zuschauer.

Permalink

9
9/10

Ich gestehe, ich habe Barbara erst im Fernsehen gesehen... Also kann ich nur vermuten, dass der Rezensent recht hat, wenn er schreibt:

"Gerade in diesen Momenten sieht man wie sehr „Barbara“ Kino ist und nicht Fernsehen. Eine Unterscheidung, die in Deutschland ja eher selten ist."

Vielleicht hätte mich der Film im Kino noch mehr begeistert, aber auch so, im kleinen Format, ein wirklich sehr guter, auch - im positiven Sinne- sehr deutscher Film. Mir hat schon 'Yella' damals sehr gut gefallen (und Devid Striesow entdeckt), war er doch hochgradig poetisch. 'Barbara' ist wirklich anders, aber auch hier hat man das Gefühl, als würden alle Protagonisten ständig flüstern, wenig von sich preisgeben, lieber schweigen. Das passt natürlich indirekt auch gut zum Thema DDR - aber es verstärkt vor allem die 'lauten' Szenen, die einen dann wirklich treffen (der Stasi-Offizier und seine Familie...).

Okay, das ist schon wirklich 'intellktuelles Kino', man muss sich schon darauf einlassen. Wie der Rezensent bemerkt, es ist nicht 'Das Leben der anderen'. Wobei auch dieser Film m.E. sehr gut war, halt auf eine andere Art, eher Spielberg als Berliner Schule.

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.