Der Unterricht in einem katholischen Internat der 60er Jahre kann ziemlich hart sein. Dies können die Schüler der St. Nicholas School in der Bronx ohne Weiteres bestätigen. Hier herrscht die Direktorin Schwester Aloysius Beauvier (Meryl Streep) mit eiserner Hand über die Schulkinder, aber auch über die Lehrer. Der einzig frische Wind in den altehrwürdigen Gemäuern scheint vom neuen Priester Flynn (Philip Seymour Hoffman) zu kommen. Doch als Pater Flynn den einzigen schwarzen Schüler Donald Miller (Joseph Foster) zu sich ins Büro kommen lässt und der anschließend völlig verstört zurück bei seiner Klassenlehrerin Schwester James (Amy Adams) erscheint, beschleicht die Nonne ein ungutes Gefühl. Nachdem sie Schwester Aloysius davon berichtet, ist für die Rektorin klar, der neue Priester hat den Jungen sexuell missbraucht - obwohl sie das nie wirklich ausspricht und noch dazu keine Beweise hat. Was ihr bleibt sind Indizien und die eigene Überzeugung.
Mit "Glaubensfrage" verfilmt John Patrick Shanley sein
eigenes Off-Broadwaystück, welches schon vor einigen Jahren
so gut wie alle Preise der New Yorker Theaterkritiker abgeräumt
hat. Es ist Shanleys zweite Regiearbeit nachdem er mit seinem 1990
(!) erschienen Erstling "Joe gegen den Vulkan", trotz
Meg Ryan und Tom Hanks in den Hauptrollen, einen veritablen Flop
bei Publikum und Kritikern hinlegte. In seinem zweiten Film kann
der Regisseur wieder auf eine äußerst begnadete Besetzung
zurückgreifen. Neben der wie immer brillanten Meryl Streep
(kann sie überhaupt anders?) und dem zurzeit alle überragenden
Philip Seymour Hoffman gesellen sich noch Amy Adams und Viola Davis
hinzu. Erstere legt die Rolle der Schwester James leider viel zu
naiv an, so dass man des öfteren an der Blauäugigkeit
und Manipulierbarkeit dieser Frau verzweifelt. Viola Davis hingegen,
die Donald Millers Mutter spielt und einen einzigen Auftritt im
Film hat, lässt in den wenigen Minuten ihrer Anwesenheit eine
enormes Leid und eine fürchterliche persönliche Zerrissenheit
spürbar werden, so dass ihre Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellern
völlig gerechtfertigt ist.
Trotz der mehr oder weniger soliden
Nebendarsteller, kann man nicht umhin zu bemerken, dass es hier
allein um das Duell zwischen Streep und Hoffman geht. Ohne handfeste
Beweise kämpft Schwester
Aloysius gegen den neuen Priester und damit auch um ihre Reputation
als Rektorin. Pater Flynn steht nämlich für einen neuen
liberaleren Umgang mit den Schülern, was die konservative strenge
Rektorin herausfordert. Flynn geht auf die Kinder zu, er will sie
unterstützen und gewinnt schnell ihre Zuneigung. Doch geht
er dabei zu weit? Hat er sich wirklich an Donald Miller vergriffen,
oder hat er ihn nur getröstet, wie Flynn selbst vehement behauptet?
Wer nun erwartet, Shanleys Film hätte etwas über das
sexuelle Vergehen von katholischen Priestern an Kindern zu sagen
oder zu den rüden Erziehungsmethoden einer christlich geprägten
Schule, der wird im Kino ziemlich heftig enttäuscht werden.
Der Film beschränkt sich leider einzig und allein auf den Glaubenskonflikt
der Rektorin gegenüber Pater Flynn. Zudem werden in "Glaubensfrage"
die Zweifel, Vorurteile und Vermutungen fast ausschließlich
in Form des Dialogs diskutiert. Das führt immerhin dazu, dass
es zwei bis drei ziemlich packende Rededuelle zwischen Meryl Streep
und Philip Seymour Hoffman gibt. Das wird in Deutschland aber den
wenigsten Zuschauern auffallen, denn der Film kommt in einer skandalösen
Synchronfassung in die hiesigen Kinos, in der fast die ganze Wucht
und Dramatik des Originals verloren geht.
Doch
auch in seiner ursprünglichen Sprachfassung wird der Film eine
ganz evidente Schwäche nicht los, und zwar fehlt ihm eine ansprechende
Bildersprache. Shanley weiß nicht wie er sein Drehbuch in
Szene setzen soll. Die gewählten Einstellungen und der holprige
Schnitt wirken in einigen Momenten seltsam unbeholfen und manchmal
auch zusammenhangslos. Die Inszenierung kann ihren Ursprung aus
der Welt des Theaters nicht verbergen. So zum Beispiel das klingelnde
Telefon, das niemand abhebt, als sich Schwester Aloysius und Pater
Flynn über mehrere Minuten anschreien, oder die immer mal wieder
platzende Glühbirne, wenn eine der Figuren in der Diskussion
die Oberhand gewonnen hat. Shanley operiert hier mit Codes und Ideen,
die im Film deplatziert und teilweise wie Fremdkörper wirken.
Plakativ wird es auch, wenn der Film das ausgiebige und witzige
Abendessen von Pater Flynn und zwei weiteren Kollegen gegen das
stille strenge Regiment am Tisch der Nonnen schneidet. Spätestens
hier muss man merken, dass Subtilität und Feinfühligkeit
eher nicht zu Shanleys Repertoire gehören.
"Glaubensfrage" ist das, was man gern als "Oscar bait" bezeichnet, ein Film, der sich mit gewichtigem Thema und namhaften Stars in komplexen Rollen für wichtige Preise geradezu anbiedert. Leider kann er trotz dieser augenscheinlichen Stärken seine nicht weniger offensichtlichen Schwächen nicht kaschieren. John Patrick Shanleys lustloser Film baut eine bedrohliche Atmosphäre des Skandals auf, die sich jedoch bei genauerer Betrachtung als leere Fassade entpuppt. "Glaubensfrage" beweist einzig und allein, dass die Besetzung eines Films immer nur die halbe Miete ist, die zweite Hälfte bleibt uns der Regisseur hier schuldig.
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