Twin Peaks - Staffel 1

von Simon Staake / 7. August 2011

Serien gibt es unzählige, Kultserien mittlerweile viele, aber Kultserien, die diesen Begriff auch wirklich mit Leben erfüllen, weil er nicht nur Verkaufsslogan ist, davon gibt es nur ein paar. Filmszene wird in losen Abständen einmal diesen besonderen Serien, und dem Kult, der um sie herum entstand, auf den Grund gehen. Den Anfang macht aus so aktuellem wie erfreulichem Anlass - nämlich der Veröffentlichung der ersten Staffel in einem schönen DVD Set - die Serie "Twin Peaks" von David Lynch.

Twin Peaks

David Lynch und Kult - diese beiden Begriffe gehören zusammen, sind quasi synonym, denn was der vermutlich avantgardistischste aktive Regisseur Hollywoods anfasst, das hat seit jeher den Begriff "Kult" wirklich verdient - und meist auch den Begriff meisterhaft. Vom experimentellen Untergrunddebüt "Eraserhead" über den Kleinstadtalptraum "Blue Velvet" und das wilde Road Movie "Wild at Heart" bis zum nicht mehr rational fassbaren "Lost Highway", Lynch fasziniert - und polarisiert. Für einige ein selbstsüchtiger Möchtegernkünstler, der seine Zuschauer veralbert; für die große Mehrheit jedoch einer der letzten wirklich großen Regisseure - einer, bei dem man Begriffe wie Genie und Visionär noch ohne bitteren Nachgeschmack benutzen darf. Und gerade das Jahr 2002 wird als Festjahr in die Annalen der Lynch-Anhänger eingehen. Liefert der Mann doch mal eben mit "Mulholland Drive" den verschachteltsten, durchdachtesten, stilistisch feinsten und schlichtweg großartigsten Film des Jahres - und dann kehrt auch noch "Twin Peaks" zurück. Zwar nicht ins Fernsehen - wo diese großartige Serie zumindest hierzulande eh geschmäht und misshandelt wurde - sondern ins Heimkino. Und da ist sie zugegebenermaßen auch besser aufgehoben, frei von Massenkompatibilität und anderen Zwängen. So kann jetzt die kleine aber treue "Twin Peaks"-Gemeinde vom heimischen Sofa aus zusammen mit Special Agent Dale B. Cooper some damn fine coffee und leckeren Kirschkuchen genießen, zu dem jazzigen Soundtrack von Lynchs Hofkomponist Angelo Badalamenti mitschnipsen und sich nochmals in das verstörend dunkle, aber ebenso seltsam schöne Paralleluniversum von "Twin Peaks" begeben.

Dass "Twin Peaks" als Lynchs wahrscheinlich größter Triumph gelten kann, liegt an dem Medium in dem er errungen wurde - dem ungeliebten Fernsehen. Dass ausgerechnet hier ein Exzentriker wie Lynch nicht nur (wie erwartet) künstlerischen sondern auch kommerziellen Erfolg hatte, bleibt fürwahr ein Geheimnis. Denn damals, Anfang der 90er Jahre, gab es nichts in der amerikanischen (oder jeder anderen) TV-Landschaft, das sich mit "Twin Peaks" vergleichen ließe - oder messen. Vor allem aber gab es nichts, dass die Zuschauer darauf vorbereitete. Außer vielleicht "Blue Velvet", der das Thema der dunklen Abgründe in der amerikanischen Kleinstadt vorwegnahm, aber dies eben doch im Kino und für die Eingeweihten. Dass aber die breite Öffentlichkeit an Lynchs verschrobenen bis bizarren Ideen Gefallen finden würde - ein Phänomen. Und daher schon mindestens mit dem Prädikat "Kult" zu versehen. Dabei wäre es unfair, hier nur Lynchs Genie abzufeiern ohne nicht seinen kongenialen Partner Mark Frost zu erwähnen. Die beiden ergänzten sich perfekt und schufen mit "Twin Peaks" die ultimative TV-Serie der frühen 90er: Drama und Komödie, Seifenoper und deren Parodie, Thriller und Tragödie - "Twin Peaks" war dies alles.

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Die Mörderhatz, die den roten Faden der Geschichte bildet, war dabei eher Nebensache. Die Frage, wer Laura Palmer - das schöne Schulmädchen mit dem Doppelleben - tötete, war für Lynch und Frost zweitrangig und sie entschieden sich erst nach dem Pilotfilm und aus einer Verlegenheit heraus für einen Mörder. Konventionelle Mörderjagd - das war es nicht, was Frost und Lynch vorschwebte. "Wir wollen den Zuschauer jede Woche in eine andere Welt, in eine andere Stimmung versetzen", das kam der Zielvorgabe schon näher. Und tatsächlich ist "Twin Peaks" wie nahezu alles in Lynchs Schaffen als Sinnerfahrung zu verstehen, mit einer Gefühlsrezeption, in der Bilder und Musik genauso wichtig sind wie Geschichte oder Dialog. Und so entwickelte "Twin Peaks" eine einzigartige Bildsprache voll zu dekodierender Zeichen, die rein visuell eine atemberaubende Wirkung hat. Allein der Vorspann reicht zur Bestätigung dieser These: Wenn Badalamentis fantastisches Musikthema "Falling" anschwillt und dazu das Sägewerk oder die Landschaft rund um das kleine Städtchen Twin Peaks gezeigt werden, reicht dies um den Zuschauer bereits gefangen zu nehmen.

 

Was aber sind die bahnbrechenden Errungenschaften von "Twin Peaks"? Zum einen der eben schon erwähnte Zusammenhang zwischen Inhalt und Form, bei dem die Form nicht nur gleichwertig, sondern fast überlegen ist. Kunst und TV-Serie - eine waghalsige Idee, atemberaubend umgesetzt. Was aber nicht die Story mit ihren doppelten Böden herabmindert. Denn, wie einer der Regisseure in seinem Audiokommentar zu einer Folge richtig feststellt: "Bei Twin Peaks ging es eigentlich immer um den Subtext". Dazu dann die Charaktere. Der spleenige FBI-Mann Dale Cooper (hinreißend dargestellt von Lynchs Lieblingsdarsteller Kyle MacLachlan) ist gleichzeitig Mystiker und Rationalist - und damit Blaupause für einen gewissen Fox Mulder, der das Serienhighlight der mittleren 90er "Akte X" mit Leben erfüllte. Wenige wissen übrigens, dass David Duchovny in "Twin Peaks" einen seiner ersten großen Auftritte hatte, als Transvestit Dennis / Denise, der allerdings erst in der zweiten Staffel auftaucht. Dafür versammelt Lynch ein großartiges Ensemble aus alten Freunden (Everett McGill, MacLachlan) und damals neuen Gesichtern (das Trio von Damenentdeckungen Sherilyn Fenn, Lara Flynn Boyle und Madchen Amick). Und welch Rollen sie hier spielen! Damit kommen wir zur wahren Vorbildfunktion der Serie, denn die Horden von schrulligen und skurrilen Charakteren die im "etwas anderen" TV der 90er den

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Bildschirm heimsuchten - seien es nun die verschrobenen Bewohner von Cycely aus "Ausgerechnet Alaska", die ungewöhnlichen Charaktere in "Picket Fences" oder aber die neurotischen Figuren rund um "Ally McBeal" - wären ohne die Pionierarbeit von "Twin Peaks" so kaum möglich gewesen. Vor diesen erst in Retrospektive richtig zu würdigenden Errungenschaften darf man aber nicht vergessen, dass "Twin Peaks" auch ein gnadenlos spannender Thriller mit ausgeklügelter Mörderhatz war.

Apropos: Dabei wurde die Frage "Wer tötete Laura Palmer?" gerade hier in Deutschland zu ungeahntem Zündstoff - und sorgte für einen Skandal. Im damals auf Hochtouren laufenden Kleinkrieg zwischen den Privatsendern RTL und Sat 1 meinte Sat1, den "Twin Peaks"-Sender RTL damit vergrätzen zu müssen, den Zuschauern den Mörder von Laura Palmer vorzeitig zu verraten. Eine piefige, peinliche, kleinkarierte Aktion. Ob sie für den kommerziellen Misserfolg von "Twin Peaks" hierzulande verantwortlich war? Das denn vielleicht doch nicht. Vielmehr war es wohl so, dass Otto Normalzuschauer von der Komplexität der Serie schlicht und einfach überfordert war. Dazu kam noch, dass man hierzulande an Konventionen von Seifenopern nicht so gewöhnt war wie die US-Zuschauer, daher auch die Parodie und Verdrehung nicht richtig nachvollziehen konnte und das Ganze erstens zu skurril und zweitens wohl zudem zu amerikanisch fand (ein Schicksal, dass nur kurze Zeit später das bereits erwähnte "Ausgerechnet Alaska", ebenfalls ein solider Kultklassiker, teilte). Jedenfalls ereilte "Twin Peaks" trotz mächtiger Promotion von RTL das Schicksal der verschmähten Serie. Sie verlor ihren Prime Time-Sendeplatz und die zweite Staffel wurde nicht einmal mehr zu Ende ausgestrahlt. Zur Schmach noch die Schande: Als die Serie 1995 beim kleinen Schmuddelbruder RTL 2 um Mitternacht ausgestrahlt wurde, waren selbst diese Quoten schlechter als welche, die man mit Wiederholungen vom Tagesprogramm einfuhr. Was für groteske Verschiebungen sorgte: "Twin Peaks" wurde immer weiter ins Niemandsland des Nachtfernsehens geschoben, bis man die Serie morgens um drei Uhr (!) verfolgen musste. Für Fans ohne Videorekorder eine Zumutung und schlichtweg nicht machbar. Was Wunder, dass die ohnehin mageren Quoten noch weiter fielen und dies das letzte TV-Lebenszeichen dieser Serie war.
Umso erfreulicher, dass man sich jetzt der gebeutelten "Twin Peaks"-Gefolgschaft erbarmte und (vorerst) die erste Staffel auf DVD veröffentlichte.

Die Freude beginnt schon mit der Verpackung: Um das obligate Digipack gibt es eine kleine Plastikhülle, so dass man quasi zwei Cover hat: einmal Laura als Schönheitskönigin, und dann als engelsgleiche Leiche in dem Motiv, das sie zur ersten nekrophilen Popikone der TV-Geschichte machte. Ein sehr schöner Einfall. Doch nun zum Inhalt. Als erstes gilt es mit einem Missverständnis aufzuräumen, dass auch Kollegen wie die "Hamburger Morgenpost" unverständlicherweise weitertrugen, nämlich dass auf diesem Set der Pilotfilm der Serie nicht enthalten ist. Er ist enthalten. Und hat damit der US-Box einiges voraus. Wegen lizenzrechtlichen Streitigkeiten durfte der Pilotfilm dort nicht veröffentlicht werden, und startete die US-Box gleich mit Folge 1. Was freilich sowohl Effektivität und Wert des dortigen Sets enorm mindert, denn wer will für sein teures Geld etwas im Prinzip Unvollständiges? Daher gibt auch das deutsche Booklet (als Übertragung des amerikanischen) eine Inhaltsangabe und Personenzusammenfassung des Pilotfilms, die hier im Grunde überflüssig ist. Nicht, dass dies als Ausrede für die Kollegenschaft herhalten könnte, denn sich weder die DVDs noch auch nur die Hülle richtig anzusehen, ist einfach schlampig gearbeitet, liebe Mopo!

Jedenfalls werden der Pilotfilm und die Folgen 1-7 auf die ersten drei DVDs verteilt. Zu allen Teilen gibt es sehr brauchbare Textanmerkungen, die etwa beim Drehen gestrichene Szenen erläutern und so Kontinuitätsfragen hilfreich beantworten. Zu den sieben Folgen gibt es eine kurze (bei der US-TV-Zweitausstrahlung hinzugefügte) Einleitung der "Log Lady" sowie jeweils einen Audiokommentar - sowohl von den handverlesenen Regisseuren (außer Herrn Lynch und Herrn Frost, of all people), als auch Autoren, Kameramann oder Set Designer. Diese variieren freilich in Sachen Qualität und Interesse, ein toller Bonus sind sie aber zweifellos.

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Apropos Boni: Die hat man sich dann hauptsächlich für Disc 4 aufgehoben. Die "Special Features"-Disc besteht hauptsächlich aus Featuretten wie einem knapp 10-minütigen Interview mit der Besitzerin des wirklichen Diners, welches in der Serie das Double R Diner darstellt, einer recht amüsanten etwa dreiminütigen "Anweisung zum Rückwärtsreden" im Roten Raum mit Michael Anderson und einem fast viertelstündigem, sehr aufschlussreichen Interview mit Mark Frost, der einen Hälfte des genialen Duos. Dass Lynch, der sich zu seinen Werken eigentlich gar nicht und wenn dann nur sehr kryptisch äußert, hier nicht auftaucht, darf dann auch weder überraschen noch enttäuschen. Trotzdem versucht man sich an einer 21-minütigen "Einführung zu David Lynch", welche sich als recht brauchbare Dokumentation erweist - freilich ohne das Phänomen Lynch wirklich ergründen zu können, aber dafür mit genügend Anekdoten und Einschätzungen, um dieser Mission Impossible wenigstens ein bisschen näher zu kommen. Wie überhaupt Anekdoten in familiärer Atmosphäre aufzeigen, welch ein eingeschworener Kreis die "Twin Peaks"-Leute sind. Denn in den das Extrapaket abrundenden "Postkarten der Darsteller" - unterschiedlich lange Statements von immerhin 17 Darstellern - wimmelt es nur so von interessanten Kleinigkeiten, und wird auch nicht nur über die Serie selbst gesprochen, sondern u.a. über erste selbst gekaufte Autos, Reisen im Amazonas oder schädliche Nagetiere im Garten. Dass die Darsteller also genauso individuell und interessant wie ihre Rollen daherkommen, passt ganz wunderbar. Insgesamt ist die Ausbeute der "Special Features" also nicht überragend, aber doch mehr als passabel. Allerdings wäre vielleicht der ein oder andere aufschlussreiche Essay - eventuell auch aus dem Twin Peaks-Magazin "Wrapped in Plastic" - zur Thematisierung wünschenswert gewesen, wenn man auf der Hülle schon von der "meistdiskutierten TV-Serie in der Geschichte des Fernsehens" spricht.

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Am technischen Aspekt gibt es nur Kleinigkeiten auszusetzen, welche sicherlich auch auf das Alter des Materials zurückzuführen sind. Das Vollbild kommt in satten Farben (immens wichtig für diese farbintensive und mit Farben als Stilmitteln arbeitende Serie) und stabilem Bildverlauf daher, könnte allerdings besonders bei Hintergründen etwas schärfer sein und hat kurze Aussetzer wie Momente der Grobkörnigkeit und des Flächenrauschen, besonders bei dunkleren Passagen. Insgesamt dennoch ein sehr guter Transfer, denn in solcher immer noch exzellenter Qualität war "Twin Peaks" bisher nicht zu bekommen. Dass der deutsche Ton nur in schlappem Mono daherkommt, ist für Fans von Heimsystemen natürlich ein Schlag ins Gesicht. Aber Hand aufs Herz: Wahre Fans sehen eh nur das englische Original und das kommt im akzeptablen 5.1-Mix daher (den aus offensichtlichen Gründen nicht in den USA tontechnisch polierten Pilotfilm gibt es immerhin noch in 2.0 Dolby Surround).

Können wir dieses Set also unseren Lesern zum Kauf empfehlen? Absolut. Und das aus gleich zwei Gründen. Zum einen ist die Serie selbst ein absoluter moderner Klassiker der TV-Geschichte, der in keiner guten DVD-Sammlung fehlen sollte und zudem in einer sehr ansprechenden Aufmachung daherkommt. Zum anderen wird es eine Box mit der zweiten Staffel wohl nur geben, wenn die erste sich akzeptabel verkauft. Und das wäre mehr als wünschenswert. Denn "Twin Peaks" lässt sich - wie eigentlich alles im Lynchschen Schaffen - nur als Gesamtkunstwerk verstehen und fassen. Und so bleibt zu hoffen, dass auch bei dieser vorbildlichen Wiederveröffentlichung eines Klassikers gilt: Fortsetzung folgt.

P.S.: Eine kleine Warnung an Nicht-Eingeweihte muss der Fairness halber erlaubt sein, auch weil die Zukunft eines zweiten Boxsets noch in den Sternen steht: Wer die Serie hauptsächlich aus Interesse an Laura Palmers Mörder verfolgt, wird mit dieser Box nicht recht glücklich werden. Die Auflösung des Täters gibt es nämlich erst in der siebten Folge der zweiten Staffel...


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