Man on Wire

Originaltitel
Man on Wire
Land
Jahr
2008
Laufzeit
94 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 21. Juni 2010

 

New York, 7. August 1974. Es ist ein windiger Tag und die Wolken hängen tief über dem Big Apple. Im Süden Manhattans steht eine Frau und blickt voller Ehrfurcht in die Himmel. Ihr Blick fixiert die letzten Stockwerke des gerade erst frisch eröffneten World Trade Centers. Immer mehr Leute bleiben stehen und blicken nach oben. Was sie zunächst sehen, ist nichts weiter als einen kleinen schwarzen Punkt in 417 Meter Entfernung. Doch dann wird allen schnell klar, dass dort gerade ein Mensch zwischen den höchsten Türmen der Welt balanciert und das ohne ein Netz oder andere Auffangmöglichkeiten. Der Mensch, der dies damals vollbrachte, heißt Phillippe Petit. Der amerikanische Dokumentarfilmer James Marsh rekonstruiert mit "Man on Wire" die Zeit vor dem großen Coup und zeigt, wie dieses eigentlich unmögliche Unterfangen doch gelang.

Im Mittelpunkt des Films steht immer - auch wenn er gerade nicht zu sehen oder zu hören ist - Philippe Petit. Er ist ein Besessener. In Paris verdiente er sich als Straßenakrobat ein bisschen Geld, als er im Wartezimmer eines Zahnarztes in einer Zeitung von einem großen Bauvorhaben las. In New York sollten die größten Türme der Welt errichtete werden und Philippe wusste sofort: Ich werde zwischen diesen beiden Bauwerken balancieren. Petit versammelte eine kleine Gruppe an Freunden und Kollegen um sich, die ihm helfen sollten sein Vorhaben zu ermöglichen. Sein bester Freund Jean-Louis Blondeau und seine damalige Freundin Annie Allix halfen Philippe zunächst, auf der Kathedrale von Notre Dame zu balancieren. Das nächste Projekt fand in Australien statt, wo der Seiltänzer mit der Hilfe des Australiers Mark Lewis zwischen den Pfeilern der Sydney Harbour Bridge spazierte. Doch das alles war nur Vorgeplänkel für den wahren Coup.
James Marshs Dokumentarfilm ist die präzise Studie eines Mannes, der sein Ziel mit unbedingtem Willen und Einsatzbereitschaft erreichen will. Dabei kommt der ewig wild gestikulierende Philippe Petit immer wieder zu Wort und man spürt in jedem seiner Sätze die unerklärliche Leidenschaft für dieses lebensgefährliche Hobby, das für ihn mehr einer Lebensphilosophie gleichkommt. Er ist ein Mensch der nur auf dem Seil ganz bei sich selbst ist und nur dort etwas erlebt, was er selber als absolute Freiheit beschreibt.
Doch der Film gewinnt auch zusätzlich an Intensität, wenn er Philippes Freunde genauer beobachtet. Annie Allix ist Philippes emotionaler Rückhalt. Auch wenn sie immer wieder versuchte, ihren Freund von der wahnsinnigen Mission abzubringen, wich sie nie von seiner Seite. Ein ähnlich enges Verhältnis verband Petit mit Jean-Louis-Blondeau. Die Freunde verstanden sich ohne große Worte. Der eine wusste was der andere dachte. In dieser Hinsicht ist "Man on Wire" ein beeindruckendes Zeugnis über die Kraft der menschliche Freundschaft, aber auch über deren Zersetzung durch den Ruhm und den Medienhype, der um Philippe nach seinem spektakulären Seiltanz über New York entstand.

James Marsh inszeniert den Film wie die Geschichte eines Bankraubs. Es gibt allerlei technische Spielereien von Bild in Bild-Kompositionen über Collagen aus Archivmaterial bis hin zu detailgetreu nachgestellten Szenen. So entstehen teils lustige und teils spannende Momente, die immer wieder für Abwechslung sorgen. "Man on Wire" ist ein sehr gelungener und äußerst unterhaltsamer Dokumentarfilm geworden, der vor allem Philippe Petits Leidenschaft feiert. 2008 gewann der Film den Grand Jury Prize und den Publikumspreis beim Sundance Filmfestival, und das zurecht. Denn obwohl von vornherein klar ist, dass Philippe seinen Traum erfolgreich verwirklichen wird, gelingt es Marsh manchmal dennoch, uns daran zweifeln zu lassen und die tatsächliche Spannung der damaligen Ereignisse nachempfinden zu lassen. Die große Leistung eines großartig gemachten Dokumentarfilms.

Bilder: Copyright

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