
Meine Damen und Herren: Der neue Lynch! Aber aufgepasst, es handelt
sich nämlich hier nicht um den neuesten Streich des großen
David, sondern vielmehr um den fast schon nicht mehr erwarteten
zweiten Versuch seiner Tochter Jennifer. Das ist vielleicht auch
ganz gut, mag sich da so manch einer sagen, der noch immer unter
den Nachwirkungen des letzten surrealen Trips von Lynch senior
namens "Inland Empire"
leidet. Das ist aber gar nicht gut, könnten darauf jedoch prompt
alle diejenigen entgegnen, welche vor rund 15 Jahren das Vergnügen
mit Töchterleins Erstling "Boxing Helena" hatten.
Der sorgte zwar seinerzeit für ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald
und einen mittleren Skandal, als sich eine Kim Basinger schlicht
weigerte, ihren Vertrag zu erfüllen und eine Rolle zu spielen,
bei der ihr im Laufe der Handlung sämtliche Arme und Beine
amputiert werden. Vor allem aber war das absurde Psychodrama (schließlich
mit Sherilyn Fenn in der Hauptrolle) einfach nur skandalös
schlecht und eine echte Lachnummer.
Aber schließlich hat schon der weibliche Nachwuchs aus dem
Hause Coppola bewiesen, das man nach einem verpatzten Debüt
(damals als Darstellerin im dritten "Pate"-Film) durchaus
noch zu Ruhm und Ehre gelangen kann. Im Gegensatz zu Miss Sofie
wechselt Jennifer aber keineswegs das Metier, sondern versucht sich
weiterhin hinter der Kamera. Und es darf Entwarnung gegeben werden,
denn "Unter Kontrolle" ist gar nicht mal so übel
geworden.
Es
gibt eine Menge zu entwirren und aufzuräumen für die beiden
FBI-Agenten Sam Hallaway (Bill Pullman) und Elizabeth Anderson (Julia
Ormond), als diese in einem kleinen Polizeirevier inmitten der Einöde
zu ihren Ermittlungen eintreffen. Es hat mehrere Unfälle oder
auch Morde auf dem Highway gegeben, und die überlebenden Zeugen
wirken allesamt nicht besonders glaubwürdig. Das gilt sowohl
für die beiden prolligen Cops, deren sadistische kleine Spielchen
mit unbescholtenen Verkehrsteilnehmern diesmal etwas außer
Kontrolle geraten sind, als auch für die nicht so ganz drogenfreie
Wahrnehmung der bisher recht lebenslustigen Bobbi (Pell James) und
die aufgeweckte kleine Stephanie. Hätten Mum und Dad deren
Beobachtungen ausnahmsweise mal etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt,
wäre die Familie wohl auch noch vollständig. Ohne auf
allzu große Unterstützung von Seiten der Dorfpolizisten
zählen zu können, gilt es für die Agenten, Stück
für Stück das Puzzle zusammen zu setzen.
Wobei sie sich auch schon mal recht merkwürdig verhalten,
die beiden anscheinend sehr miteinander vertrauten FBI-Leute, so
dass man sich als Zuschauer nie ganz sicher sein kann, wer hier
nur ein wenig verschroben und ein kleines bisschen kriminell
ist und wer vielleicht ein kaltblütiger Massenmörder.
Mindestens drei verschiedene Gruppen waren auf dem Highway unterwegs
und jede erzählt ihre Version der Geschichte. Dass man deshalb
nun aber auch in den Presseinformationen gleich wieder mit der anscheinend
unvermeidlichen "Rashomon"-Keule winkt und sich in der
Tradition des großen japanischen Klassikers sieht, ist ja
langsam nicht mehr zu ertragen. Deshalb sei es all den Schreiberlingen,
die von jenem Film offensichtlich höchstens mal gehört,
aber ihn wohl nie gesehen haben, ein für alle Mal ins Handbuch
geschrieben: Wenn sich die einzelnen Teile einer Geschichte als
Fortsetzung langsam zu einem Ganzen zusammensetzen, dann hat das
nichts mit "Rashomon" zu tun. Wenn die Erzähler dabei
ein wenig die Wahrheit verbiegen, dem Zuschauer aber eindeutig gezeigt
wird, was stattdessen tatsächlich geschah, auch dann befinden
wir uns nicht im "Rashomon"- Land. Denn von sich widersprechenden
Versionen derselben Geschichte - und darauf kommt es an - ist hier
nichts zu sehen. Wer das beharrlich ignoriert, sollte konsequenterweise
mit dem Anschauen von Kurosawa-Klassikern nicht unter fünf
Filmen bestraft werden (nicht dass dies eine Strafe im eigentlichen
Sinne wäre).
Derart
ausschweifende Ausflüge in die Filmtheorie seien ausnahmsweise
gestattet und in erster Linie damit begründet, dass man hier
über die weitere Handlung ansonsten nicht mehr viel erzählen
sollte, will man den Leuten nicht einen Großteil des Spaßes
verderben. Und Spaß macht er schon, der handwerklich sehr
ordentlich inszenierte und auch ziemlich clever konstruierte zweite
Film von Jennifer Lynch. Die bewegt sich hier beinahe schon im Tarantino-Land,
natürlich weniger was die Dialoge als vielmehr die Freude an
überzogener Gewalt und leicht übertriebener Coolness der
Akteure angeht.
Aber anders als bei Genrekonkurrenz der Marke "Shoot
'Em Up" wirkt die Lässigkeit hier lange nicht so gewollt
und aufgesetzt, sondern tatsächlich eben ziemlich, ähem,
"lässig", was in erster Linie dem motivierten Spiel
der Veteranen Bill Pullman und Julia Ormond zu verdanken ist. Deren
Filmcharaktere haben ganz offensichtlich einen mindestens leichten
Knall, wirken aber trotzdem deutlich sympathischer als die restlichen
verkorksten Figuren, inklusive eines ebenfalls schon länger
nicht mehr im Kino zu sehenden Michael Ironside als dicklichen Revierchef.
Das Ende bietet dann eine Pointe, die der eine oder andere kommen sehen mag, die das Ganze aber auch zu einem netten Finale führt. Welches deshalb amüsant zu nennen ist, weil wir es hier natürlich im Grunde mit einem völlig überzogenen Cartoon zu tun haben, bei dem es um die zahlreichen auf der Strecke bleibenden Witzfiguren nicht weiter schade ist. Wer das alles ernst nimmt, der müsste sich sonst schon sehr über die entspannte Art und Weise wundern auf die z.B. das kleine Mädchen mit der weiteren Entwicklung umgeht, anstatt gefälligst erstmal anständig traumatisiert zu sein. Auf jeden Fall bewegt sich die Gelegenheitsregisseurin Jennifer Lynch sehr gekonnt und stilsicher in einem Umfeld, in dem schon ganz Andere auf die Nase gefallen sind, und liefert mit "Unter Kontrolle" eine recht feine kleine schwarze Komödie ab.
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