Die Schlacht gewonnen, den Krieg verloren - Warum die Autorengewerkschaft ihren "Sieg" nach beendetem Streik nicht feiern sollte - und wir alle verlieren

von Simon Staake / 1. Juli 2011

Als der Streik der amerikanischen Drehbuchautoren nach über drei Monaten zu Ende ging, hatte die für die mediale Berichterstattung wichtigste Konsequenz bezeichnenderweise nichts mit den Autoren zu tun: Die Stars kommen doch zu den Oscars! Denn es hatte der solidarischen Unterstützung der Schauspieler bedurft, um den streikenden Autoren überhaupt ausreichend Druckmittel gegenüber den Führungsetagen Hollywoods zu geben, was im Januar zu jener Farce von Golden Globe-Verleihung geführt hatte, bei der sich kein einziges berühmtes Gesicht sehen ließ und die Sieger nur schnell verlesen wurden. Ein ähnliches Debakel bei der Oscar-Show, dem alljährlichen "Superbowl" der Filmbranche, das war die größte Angst in der Traumfabrik und ihren angeschlossenen Boulevard-Magazinen.
Als die mächtige Produzenten-Vereinigung dann endlich in verbesserte Konditionen für die Autoren bei der Zweit- und Drittverwertung ihrer Werke im Internet, auf DVD und in anderen neuen Medien einwilligte, werden sich viele der Autoren wohl gegenseitig gratuliert haben zum hart errungenen Sieg. Aber es ist ein Pyrrhus-Sieg, der am Ende viele von ihnen den Kopf kosten wird, momentane Siegesstimmung hin- oder her.
Denn wenn das amerikanische TV-Publikum in den letzten Wochen etwas bewiesen hat, dann dass die Film- und Fernsehproduzenten Recht hatten, als sie es auf einen Streik ankommen ließen. Die Rechnung der Produzenten hieß: Wir können auch ohne euch Programm machen, wir haben genug Formate, die euren Input nicht brauchen. Natürlich handelt es sich bei diesen Formaten um billig herzustellendes Reality-TV, indem sich wie auch hierzulande abgehalfterte Ex-Stars als Eistänzer versuchen oder in einem halben Jahr vergessene Karaokesänger sich zum nächsten Superstar oder gar zum amerikanischen Idol ausrufen lassen. Und das Publikum, zwischen Apathie und Scheißegal-Haltung gegenüber den ausgesetzten Serien schwankend, nahm die erhöhte Produktion dieser Art von Unterhaltung, die Harald Schmidt im letzten Jahr ja nicht unpassend "Unterschichtenfernsehen" getauft hat, dankend an.

Zurückkehrende Serien haben es schwer, wieder auf Touren zu kommen. Die Hitserie "Lost" etwa hat deutlich Federn lassen müssen, was die Quoten betrifft, und sie ist immerhin der Krösus unter den Drehbuch-abhängigen Projekten. Viele Mittelklasse-Serien wurden offenbar gar nicht recht vermisst. Und bei einer sich in der Krise befindenden Serie wie "24", die gerade jetzt einen Push gebraucht hätte, um sich von ihrer deutlich schwächsten Staffel zu erholen, bedeutet die Zwangspause vielleicht fast schon das Aus. Nach Streikankündigung knallhart um ein Jahr verschoben, stellt sich die Frage, ob es denn im Frühjahr 2009 noch jemanden interessiert, wenn es heißt "Jack's back".
So gut wie alle TV-Serien werden unter den Folgen des Streiks zu leiden haben - und mit ihnen ihre treuen Fans. Halbe oder Drittelstaffeln (je nach dem, was vor Streikende noch fertig gestellt werden konnte) werden folgen, schlüssige Enden von Storylines werden wohl im Salamiverfahren über anderthalb Jahre nachgeliefert. Schlimmer noch: Das Signal, das an die Herrschaften in der Machtzentrale gesendet wird, ist fatal: Warum diesen undankbaren Schreibern das Geld hinterherwerfen, wenn wir auch so Publikum bekommen? Folglich dürfte der Anteil an Serien im TV-Programm, und dort besonders an den anspruchsvollsten, deutlich zurückgefahren werden. Das Publikum will dies anstrengende Zeugs ja gar nicht, beziehungsweise schaltet auch die billigeren Alternativen ein.

Die goldene Ära der intelligenten und produktionstechnisch auf Kinoniveau liegenden Fernsehserie könnte also bald wieder vorbei sein. Da heißt es: Man erfreue sich so lange es geht an Serien wie "Lost", "Desperate Housewives", "The Shield", "Grey's Anatomy" oder "Battlestar Galactica", denn der Schritt zurück zu schlichterem Material, kostentechnisch wie inhaltlich, dürfte nahe liegen. Nicht mal das Schimpfen auf die ‚blöden Amis' und ihre Fernsehgewohnheiten darf erlaubt sein, denn immerhin finden dort intelligente Serien überhaupt ein Publikum, während das Unterschichtenfernsehen die deutschen Kanäle ja schon fest im Griff hat: Frauensuchende Bauern, Supernannies, spinnenfressende Dschungelcamper, resozialisierende Schuldner, umdekorierende Wuchtbrummen und der unvermeidliche "Big Brother"-Knast der Grenzdebilen haben ihre Spuren hinterlassen. Ausnahmen wie der auch in Deutschland enorme Erfolg von "Grey's Anatomy" täuschen da nicht drüber hinweg, dass deutsche Sender oft mit herausragendem aber schwierigem Material wie etwa "The Shield" nichts anfangen können. Das wurde damals ohne Werbung auf miesem Sendeplatz verheizt und fand wenig verwunderlich nie ein richtiges Publikum. Und selbst eine Ausnahmeerscheinung wie "Lost" kämpft hierzulande schon in der zweiten Staffel mit zu niedrigen Quoten.

Es ist schon eine Misere, in die man zwangsläufig hineinschliddern musste, auch aufgrund der veränderten Sehgewohnheiten. Denn gerade weil heute Serienfans ihre Lieblinge lieber komplett und ohne Werbepausen im Paket genießen oder doch gleich im Internet schauen, war ja der Impuls der Autorengewerkschaft so richtig wie letztlich fatal. Natürlich müssen sie in Anbetracht der immer größeren Alternativmärkte außerhalb des TV ihre Rechte und Interessen auf diesen Gebieten wahren. Aber dadurch schwächen sie zeitgleich ihre Position im immer noch Hauptbeschäftigungsgebiet TV. Sicherlich liegt ein Teil der Zukunft im Internet und in Video on Demand-Angeboten exklusiv fürs Netz, anstatt im starren Programmschema der Fernsehsender. Aber eins ist auch klar: Das klassische Fernsehen werden die neuen Medien in der nahen Zukunft nicht verdrängen, und entsprechende Budgets für anspruchsvolle Ware gibt es vorerst auch weiterhin nur dort. Verdrängt werden dafür aber bald einige der Schreiber und ihre Kreationen. Und das ist wahrlich kein Grund, die Sektgläser klingen zu lassen. (23.02.2008)


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