27. Internationales Kurzfilm Festival Hamburg

von Margarete Prowe / 19. Juli 2011

 

Zeigte sich das Kurzfilmfestival 2009 zum 25. Geburtstag in voller Pracht mit herausragenden Filmen und dem filmhistorisch interessanten Länderschwerpunkt Rumänien, so verblasste das letztjährige Festival mit seinem Gastland Thailand schnell in der Erinnerung. 2011 jedoch gab es vom 07.06. bis zum 13.06.2011 in Hamburg keine bessere Party. Gefielen die Gewinnerfilme auch nicht allen, so waren Gesamtauswahl und Gastland Schweden aufregend und bildete das eigens angemietete Festivalcenter auf dem ehemaligen Gelände der Kolbenschmidt-Fabrik eine eigene kleine Kurzfilmstadt. Vom Keller (Horror) bis zum Obergeschoss (Schweden) und dem Hinterhof (Openair) schwelgte man in Kurzfilmen. Die Partys reichten von Schwedischer Nacht bis Datscha-Party, die belegten Toasts und Pizza wurden von immerhungrigen Filmemachern vernichtet, bis alle Nahrung ausgegangen war, und gegrillt wurde klassisch beim Openair-Kino.
Der Kurzfilm wird in der Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt: Nur wenige Kinos zeigen Kurzfilme als Vorfilme, obwohl es dafür sogar Förderung von staatlicher Seite gibt. Auch in der Fernsehlandschaft sind Kurzfilme seltene Gewächse, abgesehen von rühmlichen Senderausnahmen wie zum Beispiel Arte oder ZDFneo, die diese Gattung mit Preisen und Ausstrahlungen hegen und pflegen. Spannend ist an dieser Stelle, dass sich die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler bei der Eröffnung des Kurzfilmfestivals scharf an Intendanten und Kinobetreiber richtete, die dem Kurzfilm Platz einräumen könnten und es doch nicht tun. Kisseler (Germanistin, Pädagogin, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftlerin) ist nicht nur Fachfrau, sondern ihr Herz schlägt tatsächlich auch noch für den Kurzfilm. Und so zauberten ihre Anwesenheit bei der Auftaktveranstaltung und ihr Einsatz für diese Gattung Alexandra Gramatke, der Geschäftsführerin der KurzfilmAgentur, ein Lächeln ins Gesicht, das den Abend über nicht mehr wich.

Dieses Jahr bewies das Internationale Kurzfilmfestival Hamburg wieder, wie nah am Puls der Zeit es ist. Die derzeitigen Diskussionen um Filme im Netz und das 3D-Kino wurden ebenso integriert wie Wege der Finanzierung über Internet und Co. Es gab einen herausragenden Vortrag zur Geschichte des 3D-Films mit Filmbeispielen von 1900 bis 2005, gezeigt vom Filmhistoriker und Leiter des Münchener Filmmuseums Stefan Drößler, der dem Publikum vor Augen führte, dass 3D als Zukunft des Kinos zu preisen schon seit Jahrzehnten ein alter Hut ist, der immer mal wieder aus dem Schrank geholt wird, dann aber doch wieder schnell anstaubt. Im Rahmen von "Distribute! #3" überlegten Filmemacher mit der Freien Kunstakademie Nürtingen, der Kunststiftung Baden-Württemberg und der KurzfilmAgentur Hamburg, wo die Filmkunst am besten gezeigt werden kann und sollte: im Kino, im Museum oder im Internet. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein hingegen diskutierte mit Regisseuren über "Freestyle Financing". Und der französische Filmemacher und Globetrotter Vincent Moon kam für einen Abend und präsentierte einige Filme aus seiner Reihe "Petites Planètes." Seine Filme sind unentgeltlich anzuschauen, sind jedoch nur dann über das Internet abrufbar, wenn man sie einem Publikum zeigt (egal ob Familie oder Freunden oder einem vollen Gemeindehaus) und man sich ebenfalls verpflichtet, bei Weiterverwendung oder Vorführung kein Geld zu fordern, so dass sie weiterhin unentgeltlich bleiben.
Dass der abendfüllende Spielfilm auf dem Kurzfilm basiert, zeigte sich in der Reihe "Kurzfilme bekannter Langfilmer", in denen Frühwerke gezeigt wurden. Erkennbar ist bei diesen schon die Kreativität der Regisseure und manche wurden sogar zu ganzen Teilen bekannter Spielfilme, wie zum Beispiel Peter Thorwarths Kurzfilm "Was nicht passt, wird passend gemacht". Ebenfalls in der Reihe vertreten waren unter anderem Roman Polanski, Jean-Pierre Jeunet, Aki Kaurismäki und Thomas Vinterberg.

Mit den diversen Sonderprogrammen und Branchen-Veranstaltungen ist das Kurzfilmfestival erheblich mehr als nur ein Forum für Wettbewerbseinreichungen. Gewinner gab es natürlich trotzdem und die Siegerfilme wurden in einer kalten Hamburger Nacht drei Stunden lang einem frierenden Publikum im Hinterhof im Freien vorgeführt. Die Zuschauer blieben trotzdem, denn das Kurzfilmfestival hat nicht nur tolle Filme, sondern neben einem tollen Team aus weit über 100 freiwilligen Helfern (diesmal unter der Leitung von Birgit Glombitza und Sven Schwarz) auch ein tolles Publikum, das stets wiederkommt und sich auch von hanseatischen Temperaturen nicht schrecken lässt.

3D
Das filmische Highlight war ein Abend im Passage-Kino mit dem Filmhistoriker und Leiter des Filmmuseums München, Stefan Drößler, der fantastische 3D-Filmbeiträge zeigte. Die Zuschauer dieses Abends gehören nun zu den wenigen Lebenden weltweit, die 3D-Filme aus dem Jahr 1900 gesehen haben. Wer dachte, 3D sei noch nie so gut eingesetzt worden wie 2009 bei James Camerons' Blockbuster "Avatar", der lernt hier, dass das Zeitalter des 3D-Kinos schon oft angebrochen und jäh geendet ist: Schon die Pioniere Lumière, Méliès und Skladanowsky hatten mit 3D herumexperimentiert. So gibt es auch eine 3D-Version von Lumières berühmter Pionier-Aufnahme eines einfahrenden Zuges. In Moskau lief ein russischer 3D-Film von 1946 zwei Jahre lang durchgehend in einem einzigen Kino und hatte dabei über 100.000 Besucher. Sergej Eisenstein war sogar so begeistert von diesem "Robinson Kruzo" von Aleksandr Andriyevsky, dass er Mitte der 1940er allen um sich herum sofort mitteilte, das reguläre Kino hätte ausgedient und 3D sei ab nun die Zukunft.
Drößler verlieh seiner Enttäuschung über "Avatar" Ausdruck, der seiner Meinung nach keine 3D-Höhepunkte aufweist, von denen die Dramaturgie des Films abhängt. Ein Film, der dies meisterhaft tut, sei "Bei Anruf Mord" (1954) von Alfred Hitchcock, in dem die Gegenstände, die man in 3D in den Einstellungen vor den Schauspielern sieht, für die Handlung bedeutsam sind.
Doch wo liegt die Zukunft des 3D-Kinos? Die hängt laut Drößler davon ab, ob sich 3D auch in anderen Medien durchsetzt. Und dies nimmt dem Kino die neuen Zuschauer gleich wieder ab, die 3D nun auch zuhause auf dem Sofa erleben können. Die Studios sind schon zurückhaltender geworden: Sie wollen 3D nicht ohne 2D anbieten - und 3D auch nur bei "Premium-Produktionen", womit Animationsfilme und Special-Effects-Popcornspektakel gemeint sind. Es gibt zwar auch Dokumentationen in 3D (wie "Pina" von Wim Wenders), doch werden diese ebenfalls auch in 2D gezeigt. Einen Film nur in 3D herauszubringen, traut sich laut Drößler bisher kein Studio und so wird es erst einmal wohl auch bleiben.

Vincent Moon
Ein weiteres Highlight war der Abend mit Vincent Moon (geb. 1979), einem globetrottenden französischen Regisseur von Musikvideos und Dokus. Moon wurde bekannt durch seine sogenannten "Take-Away-Shorts", in denen er Bands in ungewohnten Umgebungen auftreten ließ, meist mit nur einem Take und in Dogma-Stil mit Umgebungsgeräuschen und den Mitteln, die sich gerade in der Nähe befinden. So ließ er Phoenix auf einem Doppeldecker-Touristenbus vor dem Eiffelturm "Lisztomania" spielen, Tom Jones hingegen a cappella "Green Green Grass of Home" in dessen New Yorker Hotelzimmer singen und steckte Arcade Fire für eine Performance mit zehn Leuten, Violinen, Xylophon, Gitarren und Co. in einen Aufzug, wo sie aus Platzgründen ohne Schlagzeug auskommen mussten und einfach Zeitschriftenseiten herausrissen und gegen die Fahrstuhldecke klopften. Unter Moons Fans ist Michael Stipe von REM, der ihn gleich mehrere Videos machen ließ.
Der Abend zeigt eine andere Form des Musikvideos, von dem es ja heißt, es sei vom Internet getötet worden: Die netzbasierte, kostenlos für alle einsehbare Take-Away-Show, frei verfügbar und doch bekanntmachend. Zu Beginn stellte Vincent an diesem Abend in Hamburg eines seiner schönsten Projekte vor, den berührenden Dokumentarfilm "An Island", in dem er die dänische Indie-Band Efterklang auf die Insel begleitet, auf der drei der Bandmitglieder aufwuchsen und sich in der Schule begegneten. In "An Island" spielen nicht nur ihre Eltern bei Konzerten mit, sondern insgesamt 200 der Inselbewohner inklusive der Grundschulkinder, die als Chor auftreten. Der Film war monatelang kostenlos aufführbar, sofern man ihn vor mindestens fünf Personen zeigte, ohne dafür Geld zu verlangen. Es fanden in dieser Zeit mehr als 1200 Screenings weltweit statt, deren Fotos man online findet. Mittlerweile ist der Film auf DVD zu kaufen, doch kann man immer noch selbst bestimmen, wie viel man dafür zahlen möchte.

Seit einiger Zeit widmet sich Moon jedoch mehr der örtlich verwurzelten Musik aus musik-medial eher wenig wahrgenommenen Ecken der Welt. Moon hat sich entschieden, als moderner Nomade zu leben und in aller Welt einfach bei seinen Freunden zu übernachten. Im Zuge dieser Wanderschaft entstehen unter dem Film- und Musiklabel "Petites Planètes" derzeitig wundervolle Kurzfilme aus Südamerika. Von diesen zeigte er auf dem Kurzfilmfestival eine von ihm zusammengestellte Auswahl - manche davon hatte er am gleichen Tag erst fertig geschnitten. Vincent Moon veröffentlicht seine Werke unter der Creative-Commons-Lizenz "by-nc-sa": by steht hierbei für die Nennung des Urhebers, nc für die nicht kommerzielle Verwendung (non-commercial), sa schließlich bedeutet, dass man das Werk zu den gleichen Bedingungen weiterverwenden darf (share alike).
Moon beeindruckt durch seine Begeisterungsfähigkeit. Er sagt von sich selbst, dass er nicht findet, dass er ein guter Regisseur ist, aber dass er einfach gut Dinge organisieren kann und so kreative Möglichkeiten schafft. Seine Musikbibliothek ist nach Ländern sortiert wie Benin, Bolivien und Bosnien und so allumfassend ist auch sein Interesse. In Buenos Aires filmte er die Singer-Songwriterin Marisel Ysasa im Park. Die ihn anderthalb Monate in Rio de Janeiro beherbergende Thalma de Freitas ließ er zwischen den Fischern am Kai mit Blick auf Rio singen, während ihr Vater, der bekannte Komponist und Pianist Laérzio de Freitas dazu Klavier spielt. In Bogota fragte er sich, warum alle Stadtführer und Straßenkarten ihm immer nur den Norden der Stadt anzeigten und ging in den verruchten Süden, wo er mit dem Gangster-Rapper Cejaz Negraz ein Konzert auf einem Berg mit Sicht auf den Rest der Stadt aufnahm. In einem anderen Film beginnt die Tecno-Brega singende "Beyoncé von Pará" Gaby Amarantos ein Konzert im Inneren ihrer Wohnung vor ihrem Kind und singt, bis sie ihren Balkon erreicht, von dem aus man die tobende und tanzende Menge auf der Straße sieht. Es war einer der Abende auf dem Kurzfilmfestival, an dem man nirgendwo anders lieber sein mochte und der Kurzfilm die Welt für einen Augenblick in Hamburg vereinte.

Suburbia
In einer eisigen Sommernacht lief die schöne Zusammenstellung "Suburbia", die mit dem Kurzfilm von Spike Jonze "Tales from the Suburbs" endete, der dieses Jahr auch schon auf der Berlinale im Kurzfilmprogramm gezeigt wurde. Interessant ist hierbei, dass kein einziger deutscher Film dabei war, was die Frage aufwirft, ob die deutsche Vorstadt nicht taugt als Spiegel der von Teenies so verhassten Idylle. Der Abend begann mit dem erfrischenden rumänischen Kurzspielfilm "Cind se stinge lumina (Wenn das Licht ausgeht) von Igor Cobileanski, der köstlich mit der Frage spielt, ob man eine Glühbirne wieder aus dem Mund bekommt, die man hineingesteckt hat. Bitte an dieser Stelle nicht nachmachen. "Cind se stinge lumina" ist ein wunderbar witziger und atmosphärischer Film.
Ian Clarks britischer "Def" war etwas schwächer, zehrte aber von einer guten Idee: Ein gehörloser Teenager träumt in der Vorstadt davon, Rapper zu werden. "Cubs" von Tom Harper ist ein aufrüttelnder kleiner Film über die Fuchsjagd aus untypischer Perspektive. Hier ist es nicht die Oberschicht, sondern sind es gelangweilte Jugendliche, die als Sport und Mutprobe Füchse jagen. Steve Sullivans walisischer "A Heap of Trouble" war eindeutig der amüsanteste Film des Abends. Hier laufen nackte Männer singend eine idyllische Vorstadtstraße entlang und sämtliche Herren am Straßenrand kämpfen dagegen an, sich ihnen sofort anzuschließen. Ken Wardrops "Bongo Bong" thematisiert unter Einsatz von Split Screens und weiten Einstellungen die Gerüchteküche der Vorstadt, die sofort zu kochen beginnt, als ein neuer Bewohner im Anzug nicht mit seinen Nachbarn redet, sondern still seinem Alltag nachgeht. Der Dokumentarfilm "Maturanti i plesaci" (Graduates and Dancers) vom kroatischen Vedran Samanovic zeigt die Entgleisung eines Schulabschlussballs, der ruhig und gesittet beginnt und nach sehr viel Alkohol immer chaotischer und wilder wird.
Doch der Film, auf den alle warteten, war Spike Jonzes halbstündiger "Scenes from the Suburbs", eine filmische Umsetzung des jüngsten, mit dem Grammy ausgezeichneten Arcade Fire-Albums "The Suburbs". In einer dystopischen Zukunft, in der Menschen vom Militär auf der Straße erschossen werden, verbringen einige Teenager einen Sommer, in dem sich alles verändern wird. Nicht alle Erwartungen des Publikums wurden jedoch erfüllt. "Scenes" ist von Kamera und Schnitt her natürlich fantastisch, das kann man von Jonze auch erwarten, und auch atmosphärisch sehr gelungen. Doch was sich hinter der Handlung eigentlich verbergen soll, bleibt schleierhaft. Denn gerade weil die Idee eines der Militärdiktatur unterliegenden Suburbia so fantastisch als Ausgangspunkt ist, hätte man wirklich gern mehr Handlung gesehen, die das Gerüst auch mit Sinn füllt. So ist "Scenes from the Suburbs" ein Film, der von den Bildern und natürlich seinem Soundtrack lebt, ansonsten aber zu den Vertretern des Kurzfilms gehört, die zwar Stimmung transportieren, aber sich wenig um eine stringente Handlung scheren.

Flotter Dreier: Thema "Deutsch"
Der Flotte Dreier, ein jedes Jahr hervorragend besuchtes Spektakel aus Filmen unter drei Minuten zu einem vorgegebenen Thema, widmete sich diesmal dem Stichwort "Deutsch" und so wurde von Sauerkraut und Hitler, Oktoberfest und Nationalhymne bis Bertolt Brecht und Tine Wittler wohl jedes Klischee in irgendeiner Form verwurstelt. Dass auch das Kurzfilmfestival so richtig schön klischee-deutsch sein kann, zeigten Sarah Adam und Swenja Thomsen vom Team mit ihrem Kurzspielfilm "Something Deutsch", in dem nichts anderes getan wird, als die Teilnahmebedingungen am "Flotten Dreier" vorzulesen und in ihrer Bedeutung hervorzuheben. Die Idee hinter der Animation "Das Translator" von Dorit Kiesewetter und Carsten Knoop ist so einfach wie genial: Die deutsche Nationalhymne wird durch den Google Translator gejagt mit Zwischenschritten über diverse Sprachen von türkisch über suaheli bis koreanisch und das Ergebnis wird mit den dazu passenden Bildern und Videos aus der Google-Bilder- und -Videosuche unterlegt. Herausgekommen ist ein Film, der es im "Flotten Dreier" immerhin auf Platz 2 der Zuschauergunst schaffte.
In René Schöttlers "Ganz leicht raus aus Deutschland" packt Tine Wittler einen Koffer. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, dafür aber umso witziger. Überraschend ist dafür der Blick auf Deutschland aus dem Iran, gezeigt in der Doku "Wir machen hier Deutsch" wo Deutsch-Studenten im Iran diverse deutsche Dichter und Denker aufzählen können, aber doch bemängeln müssen, dass die Deutschen nur so wenige persische Denker kennen. Kreativ wurde Sebastian Linke, der diverse Fantasiesprachen erfand für seine Doku "Quar trakt od mondar sed Germas? - Was denkt die Welt über die Deutschen?" und das Filmland mit Syldavien angab, wofür der Film in der Gunst der Zuschauer auf Platz 3 landete. Den Publikumspreis gewann schließlich der nur 43 Sekunden lange "Felix" von Anselm Belser, in dem es um Rache und Schadenfreude geht.

Filmland Schweden
Die Schweden-Specials zeigten zwar auch ein paar Klischees, überraschten jedoch jederzeit mit innovativen Ideen und schrägem Humor. In Johan Rencks hervorragend geschnittenem und gefilmtem Musikvideo "Pass this on" singt ein Transvestit in einem Gemeindesaal sehr sexy ein Lied. Das Publikum dort sieht so aus, als würde es sie gleich verprügeln, doch dann beginnen alle zu tanzen. Der finstere, experimentelle Animationsfilm "Sju dager i skogen" (Seven Days in the Woods) von Peter Larsson lief schon im Kurzfilmprogramm der Berlinale. Musik und Bilder erzeugen eine bedrohliche Atmosphäre, die im Verlauf des Filmes immer dichter wird. Peter brauchte Monate, die Sets zu bauen, doch von Idee bis Filmabschluss kostete ihn dieser kleine Sechs-Minüter ganze zwei Jahre. Der Kurzspielfilm "Picknick" von Henrik Andersson zeigt ein Picknick in schwedischer Idylle mit singenden Vögeln, blauem Himmel und Wald, in dem nicht alles so ist, wie es scheint. Monster und Blut sorgen für Verwirrung in Tommys und Monikas Paradies. Doch dann spielt man ihr Lied im Radio.

Hamburger Kurzfilmnacht
"Go Bash" von Stefan Eckel und Stefan Prehn ("Staplerfahrer Klaus - Der erste Arbeitstag") ist eine wunderbare Mockumentary, in der diverse Fernsehformate über eine neuen Jugendtrendsportart berichten: mit voller Wucht und Anlauf gegen eine Wand zu laufen. Die mediale Verwertungsmaschinerie wird hier optimal in Szene gesetzt mit Kamera, Schnitt und Einbindung gleich zwölf verschiedener Fernsehformate, die hier natürlich fiktive Titel tragen. Der bitterböse Einakter mit und nach Heinz Strunk, Lars Jessens "Trittschall im Kriechkeller" zeigt Strunk als mit kranker Mutter und Heuschreckenzucht zusammenlebenden Junggesellen, dessen Ziel es ist, ins Guinness Buch der Rekorde zu kommen mit einer absolut bekloppten Idee. Typisch skurril und in einem wunderbaren Ambiente - gefilmt wurde hier in einer echten Wohnung im trostlosen Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg. Und "Die Versager" treten als Apfelmusguerilla in "Hausgemacht" in Erscheinung. Sie sammeln im Kanal schwimmende Äpfel von einem selbstgebauten Styropor-Holzpaletten-Floß aus, um das damit selbstgemachte Apfelmus mit dem für 29 Cent gekauften Mus zu vergleichen. Auch dies ist ein großer anarchischer Spaß.
Der Gewinnerfilm des Hamburger Publikumspreises mit 1500 Euro Preisgeld, "Wie ein Fremder" von Lena Liberta, hingegen ist ein ernster Film über die über 200.000 in Deutschland geduldeten Ausländer ohne Papiere, die weder die Stadt verlassen noch heiraten dürfen - manchmal über Jahre hinweg. Elegant erzählt wird diese Geschichte über Azad aus dem Iran, dessen Freundin von Hamburg nach Berlin ziehen will und der keine Perspektive hat, solange seine Eltern keine Papiere vorzeigen können. Wenn sie allerdings welche haben sollten, so würden sie aus Deutschland abgeschoben. "Wie ein Fremder" wird übrigens am 09.07.2011 noch einmal in Hamburg als Vorfilm beim Rathausmarkt-Openairkino gezeigt.

Preisträger
Der Hamburger Kurzfilmpreis (EUR 3.000) im Internationalen Wettbewerb ging an den belgischen Kurzspielfilm "Pour toi je ferai bataille" (For You I Will Fight) von Rachel Lang aus dem Jahr 2010. Die Jury empfand ihn als runden und gut erzählten Debütfilm, der durch "Regie, Photographie und Schauspiel beeindruckt". Eine junge Frau geht nach dem Ende ihrer Beziehung zum Militär, stellt bei ihrer Rückkehr aber fest, dass auch die Armee die Leere in ihrem Inneren nicht füllen kann. Die Zuschauer vergaben den Publikumspreis an den wunderbar komischen Kurzspielfilm "Las Palmas" (Johannes Nyholm, Schweden 2011). Darin ist eine Frau mittleren Alters in Las Palmas im Urlaub, wo sie versucht, neue Freunde zu gewinnen. Die Dame wird von der einjährigen Tochter des Filmemachers gespielt, alle anderen Figuren sind Marionetten. Herrlich böse ist hier der Blick auf Urlaubspeinlichkeiten nach zu viel Alkohol. Dass im Jahr, in dem der Länderschwerpunkt Schweden ist, ein schwedischer Film diesen Preis gewonnen hat, ist natürlich ein schöner Zufall. Nyholm zeigte im Schweden-Programm auch ein etwas sperriges, noch skurrileres Werk namens "Dockpojken" (Puppet Boy), in dem der Filmemacher eine ungesunde Identifikation mit seiner animierten Knetfigur Puppet Boy entwickelt.

Das Kurzfilmfestival in Hamburg begann mit dem Wettbewerb NoBudget, wo alles erlaubt war, Kategorien neu erfunden werden mussten, Experimentelles bis heute gern gesehen ist und prinzipiell alles landet, was sich nicht in Schubladen stecken lässt und meist kaum Geld kostete. Unter dem Motto "Maximale Wirkung mit minimalen Mitteln" war auch diesmal viel Schräges dabei. Die Jury vergab den NoBudget Jurypreis an den serbischen dokumentarischen Kurzspielfilm "Monkey Spa" von Dragan Zivancevic, Dragan Matic und Zeljko Piskoric, in dem man die in unfassbare Affenkostüme gesteckten Regisseure durch Schnee, Nebel und Wasser ihrer Heimat trapsen sieht. Visuell außergewöhnlich hätten es auch weniger als 20 Minuten Länge getan, doch die Jury lobte den gesellschafts- und energiepolitischen Hintergrund und nannte ihn einen "No-Budget-Film par excellence". Einer der vier No-Budget-Filme, die eine lobende Erwähnung erhielten, bekam als angeblich nervigster Film des Festivals die lustigste Jury-Begründung für seine Auszeichnung: "Vielleicht wollen wir diesen Film nie wieder sehen, aber wir werden ihn nie vergessen: Trash für Fortgeschrittene. Zäh, sperrig und mit einem ellenlangen, mantraartigen Monolog mit nur einem Wort: Mama. Konsequent bis zur Qual."
Den NoBudget Publikumspreis namens "Der optimistische Durchblick" (EUR 1.500) teilen sich 2011 zwei Filme: Die experimentelle Animation "The Streets of the Invisibles" vom Österreicher Remo Rauscher, eine Google-Street-View-Fassung von "Die Straßen von San Francisco" - ganz ohne Menschen, aber mit Originaldialog - und der Experimentalfilm "Die Fliegen (The Birds II)" von Susann Maria Hempel. "Die Fliegen" ist die Fortsetzung von Hitchcocks "Die Vögel" aufgenommen mit einer High-Speed-Kamera in Greiz, dem Geburtsort von Oskar Sala, von dem die Musik und das Sounddesign des Hitchcock-Films stammten.
Der Jurypreis des Deutschen Wettbewerbs (EUR 2000) ging an den Chemnitzer Kurzspielfilm "Daheim" von Olaf Held, einen Film über das Thema Heimat, in dem der Bauernsohn Heiko in die Stadt zieht, weil er auf dem Land keine Arbeit findet. Doch auch in der Stadt ist nicht alles rosig und Heiko sehr einsam. Der arte-Kurzfilmpreis (EUR 6.000) wird wettbewerbsübergreifend an einen Beitrag aus dem Internationalen und Deutschen Wettbewerb verliehen und der Gewinnerfilm bei arte ausgestrahlt. Er ging dieses Jahr an das deutsche Kriegsheimkehrerdrama "Warisover" von Carlos Morelli. Der ZDFneo-Preis für den besten dokumentarischen Kurzfilm wurde vergeben an den deutschen Kurzspielfilm "Manolo" von Robert Bohrer, dessen Film nun auf ZDFneo ausgestrahlt wird. Die Arschbombenkönige-Geschichte aus dem Freibad ist ein ansehnlicher Coming-of-Age-Film mit gut eingesetzter Kamera und herrlichem Soundtrack.

13. Mo&Friese KinderKurzFilmFestival
Das 13. Mo&Friese KinderKurzFilmFestival fand wie immer im Rahmen des Internationalen Kurzfilmfestivals statt. Die Kinderjury vergibt zwei Preise, jeweils mit 1250 Euro dotiert: den Friese-Preis für Filme aus den Programmen ab 4 und ab 6 Jahre, und den Mo-Preis für die Filme aus den Programmen ab 9 und ab 12 Jahre, ausgewählt aus einem Gesamtprogramm aus 50 Kurzfilmen aus 25 Ländern. Der Friese-Preis ging 2011 an die deutsche Bilderbuchverfilmung "Ente, Tod und Tulpe" von Matthias Bruhn (Deutschland 2010), einen wunderschönen Animationsfilm über das Leben und das Sterben, gesprochen von Harry Rowohlt und Anna Thalbach. Der Mo-Preis hingegen wurde vergeben an den Kurzspielfilm "Kreide (Chalk)" von Martina Amati (Großbritannien 2010), in dem die Freundschaft zweier Turnerinnen auf eine harte Probe gestellt wird, als Teilnehmer für die Meisterschaften ausgewählt werden sollen.

Mehr Informationen unter festival.shortfilm.com


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