Past Lives

Land
Jahr
2023
Laufzeit
105 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
10
10/10
von Matthias Kastl / 17. August 2023

Es gibt Filme, da sitzt man noch Minuten nach dem Abspann versunken im Stuhl bevor einem auffällt, dass neben einem das Kinopersonal bereits missmutig die Getränkeflaschen einsammelt. Man selbst lächelt derweil liebestrunken vor sich hin, um dann eher widerwillig den Ort zu verlassen, der einem gerade wieder den Glauben an die emotionale Kraft des Mediums Film zurückgegeben hat. Hatte man ja schon fast wieder vergessen, warum man sich einst so in dieses verliebt hat. "Past Lives" erinnert einen daran, indem er erfolgreich nicht nur Herz als auch Kopf im Sturm erobert und dabei einen scheinbar unmöglichen Spagat hinlegt.

Celine Songs Spielfilmdebüt ist ein Liebesfilm, der unglaublich romantisch ist, ohne dafür auch nur einen einzigen Kuss zwischen seinen beiden Hauptfiguren zu benötigen. Der Film ist gleichzeitig aber auch im klassischen Sinne unromantisch, da er sich einem zu blumigen Blick auf die Liebe verwehrt, ohne dafür aber auf künstlich injiziertes Drama oder gar einen echten Antagonisten zurückgreifen zu müssen. Vor allem aber ist "Past Lives" ein Film, der mit einer schier unglaublichen Reife und Wärme Begriffe wie Liebe, Sehnsucht und klassische "Was wäre, wenn"-Gedanken wundervoll einfühlsam auf der Leinwand zum Leben erweckt. Und daraus ganz großes Kino macht.

Was wäre, wenn meine Jugendliebe damals nicht als Kind in die USA gezogen wäre? Mit diesen Gedanken setzt sich 20 Jahre später der Koreaner Jung Hae Sung (Teo Yoo) in den Flieger nach New York, um dort für ein paar Tage seinen Kindheitsschwarm Nora (Greta Lee) zu treffen. Trotz der langen Zeit ist auch für Nora dieser Besuch etwas ganz Besonderes, schließlich verbindet sie mit Jung Hae ebenfalls viele schöne emotionale Erinnerungen – auch an ihre alte Heimat, die sie einst zurücklassen musste. Ein wenig unsicher ist Nora aber über das Motiv ihres Gastes, schließlich ahnt sie von Jung Haes Gefühlen für sie, ist aber inzwischen glücklich mit dem Amerikaner Arthur (John Magaro, "The Big Short") verheiratet. Eine Unsicherheit, die sich wiederum auch auf Arthur überträgt, den das emotionale Gepäck dieses Besuchs dann auch über seine eigene Beziehung mit Nora reflektieren lässt.


"Past Lives" ist ein Film, der unglaublich viele gute Entscheidungen trifft. Eine der besten davon gleich zu Beginn, als der Film sich fast eine Dreivierteilstunde Zeit nimmt, um uns die Vorgeschichte von Nora und Jung Hae näherzubringen. Auch wenn die Jugendzeit der beiden nett und liebevoll umgesetzt ist, das eigentliche Highlight dieses Abschnitts ist das kurzzeitige Aufflammen alter Gefühle und Sehnsüchte zwölf Jahre später, als Nora und Jung Hae sich online wiederentdecken. Jeder, der einmal in einer Fernbeziehung war, dürfte sich hier ein paar mal ordentlich ertappt fühlen angesichts der Tatsache, wie einfühlsam und realistisch diese Passage im Film geschildert wird.

Und das nicht nur, weil hier auch so unromantischen Widrigkeiten wie verpassten Calls, unterschiedlichen Zeitzonen und schlechten Internetverbindungen Raum gegeben wird. Wirklich beeindruckend ist vor allem, wie der Film erst das romantische Potential zwischen den beiden Protagonisten gekonnt immer stärker herausarbeitet, nur um dann (ebenso brillant) deren Frust über die Distanz und die damit verbundene Aussichtslosigkeit, dieses Potential je einlösen zu können, ganz schleichend immer weiter ansteigen lässt – bis dieser schließlich alle Luftschlösser zum Einstürzen bringt. Es mag nicht cineastisch wirken, aber im echten Leben braucht es eben nicht immer das große Drama, um Träume zerplatzen zu lassen. Manchmal genügen auch viele kleine Nadelstiche.

Dieses Vorspiel sorgt für einen unglaublich starken emotionalen Unterbau, wenn Nora und Jung Hae sich acht Jahre später dann tatsächlich im echten Leben treffen. Ein Treffen, bei dem man die damit verbundenen unterschiedlichen Erwartungen und Unsicherheiten der Figuren nun sehr gut nachvollziehen kann und so mindestens genauso angespannt und neugierig deren Wiedersehen entgegenfiebert. Die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht, was auch an zwei wundervollen Hauptdarstellern liegt, welche die Mischung aus kindlicher Freude und erwachsener Unsicherheit bei dem Treffen und auch im späteren Verlauf einfach großartig auf die Leinwand bringen. Auch hier sind es nicht große Reden, sondern eher Kleinigkeiten, wie das nachdenkliche Innehalten von oder schüchterne Pausen zwischen den Figuren, welche Nora und Jung Hae so real wirken und uns ans Herz wachsen lassen.  


Unterstützt werden die zwei von einer Inszenierung, bei der man kaum glauben kann, dass es sich hierbei um das Spielfilmdebüt der Regisseurin handelt. Die Ruhe und Sicherheit, mit der Celine Song hier die Fäden in der Hand hält, ist beeindruckend, vor allem weil sie es schnell schafft eine wundervolle romantisch-melancholische Grundstimmung aufzubauen, die gleichzeitig unglaublich warm aber eben auch mindestens genauso nachdenklich wirkt.

Das klingt jetzt nach so einer typisch unkonkreten aber eloquent klingenden Kritikerbeschreibung, darum wollen wir mal ein praktisches Beispiel dafür liefern, wie Song hier Stimmung erzeugt. Beim ersten Treffen von Nora und Jung Hae lässt sie die Kamera immer wieder von einer zur anderen Person schwenken, so dass man als Zuschauer immer kurzzeitig eine der Figuren "verliert" und sich selbst so ständig fragt, wie denn jetzt gerade die andere Person in diesem Moment reagiert. Song lässt einen hier immer kurz zappeln, nur um dann endlich zur anderen Figur zu schwenken, wobei man dann aber wieder die erstere aus den Augen verliert. Ein cleverer kleiner Trick, der die Unsicherheit von Nora und Jung Hae bezüglich der Reaktion des jeweils anderen wundervoll direkt auf das Publikum überträgt.

All das würde schon locker für eine wundervolle kleine Filmperle reichen. Aber wie gesagt, dieser Film hat einfach so viele tolle Ideen. Wie den Einfall, mit Noras Ehemann Arthur einen scheinbar klassischen Antagonisten einzubauen, den aber dann so gar nicht in die Rolle des Bösewichtes stecken zu wollen. Stattdessen ist selbst Arthur berührt von der besonderen Beziehung seiner Frau zu Jung Hae und beginnt eher an sich selbst zu zweifeln als quer zu schießen. Was dann mehrmals zu Momenten führt, in denen unser Ehemann liebevoll Verständnis für das Treffen zwischen seiner Frau und deren Jugendliebe äußert, obwohl auch er die Gefahr sieht, dabei vom Schicksal möglicherweise aufs Abstellgleis verfrachtet zu werden.

Auch hier achtet Song behutsam darauf Arthur genug Zeit einzuräumen und findet wundervolle Bilder für dessen inneren Zwiespalt, wenn dieser zum Beispiel angespannt in der Wohnung auf die Rückkehr von Nora und Jung Hae wartet. Es ist einfach unglaublich erfrischend solch eine Figur auf der Leinwand zu sehen, bei der wohl jeder knallharte Hollywoodproduzent angesichts des "verschenkten" Konfliktpotenzials die Hände über den Kopf zusammenschlagen würde. Dabei sorgt genau dieser Kniff für noch viel mehr Tiefe und Emotionen, da man als Zuschauer mit allen Beteiligten mitfiebert und eigentlich alle "siegen" sehen möchte – was aber natürlich nicht passieren kann.


Wie es sich für ein solch cineastisches Juwel gehört, und nichts anderes ist "Past Lives", präsentiert man uns zum Höhepunkt des Films dann auch noch eine der einfühlsamsten, ehrlichsten und emotionalsten Szenen dieses Kinojahres. In einer Bar kommt es zur Aussprache zwischen den drei Figuren, in der alles und doch wieder nichts gesagt wird, und man angesichts der unzähligen verschiedenen emotionalen Schichten, die hier behutsam abgetragen werden, innerlich zutiefst gerührt im Kinosessel versinkt.

Jeder, der schon mal einer unerfüllten Beziehung nachgetrauert hat (und da muss man schon als emotionaler Eisschrank durchs Leben gegangen sein, wenn dem nicht der Fall ist), wird sich in "Past Lives" wiedererkennen und verstanden fühlen. So oft hört man davon, dass Kino immer dann am stärksten ist, wenn es das echte Leben auf die Leinwand bringt. Es sind Filme wie "Past Lives", die einem zeigen, dass dies nicht einfach nur eine hohle Phrase ist.

Bilder: Copyright

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