X-Men: Der letzte Widerstand

Originaltitel
X-Men: The last stand
Land
Jahr
2006
Laufzeit
107 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 30. Mai 2010

Knapp drei Jahre ist es jetzt her, dass sich die X-Men in ihrem letzten Abenteuer auf der Leinwand tummelten, und wer sich nicht genau erinnert: Am Ende des Kampfes gegen den Mutantenhasser Stryker musste Jean Grey (Famke Janssen) ihr Leben lassen, um die Kollegen zu retten. Die letzte Einstellung von "X-Men 2", bei der man ein merkwürdiges Objekt unter der Wasseroberfläche von Jeans nassem Grab sah, ließ X-Men-Fans bereits vermuten, wohin die Reise mit dem dritten und angeblich auch letzten Teil gehen wird: Es handelt sich um eine lose Adaption der "Dark Phoenix"-Saga aus der Comic-Vorlage, in der Jean nach ihrem scheinbaren Tod als ihr dunkles Alter Ego Phoenix zurückkehrt, die ihre übermächtigen telekinetischen Kräfte nicht mehr für das Gute gebraucht, sondern Tod und Zerstörung bringt. Da haben die Kollegen wie der mehr oder weniger offen in Jean verliebte Wolverine (Hugh Jackman), die nominelle Anführerin Storm (Halle Berry) und natürlich Professor X (Patrick Stewart) einiges zu tun. Zu dumm, dass ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ein Mittel erfunden wird, dass Mutanten ‚heilen', sprich: ihre Mutantenkräfte permanent unterdrücken kann. Diese beiden Ereignisse will Bösewicht Magneto (Ian McKellen) ausnutzen. Sein Plan: Sich die Kräfte von Jean/Phoenix zu Nutze machen, das Heilmittel für Mutanten stehlen und dabei noch einen Krieg anzetteln, der die "normale" Menschheit auslöschen soll. Nun liegt es an den X-Men, den letzten Widerstand gegen Magnetos teuflischen Plan zu leisten…

Ausgangspunkt des von vielen Hindernissen geplagten Drehs dieses Films war eine denkwürdige Rochade auf dem Regiestuhl. Das war nämlich so: Bryan Singer arbeitete brav an dem dritten Teil "seiner" X-Men-Reihe, während drüben bei Warner Brothers für das Mammutprojekt "Superman Returns" ausgerechnet Brett Ratner verpflichtet wurde, der sich mit bisherigen Werken wie "Rush Hour", "Roter Drache" oder "After The Sunset" allenfalls als biederer Auftragsregisseur mehr oder weniger hervorgetan hatte. Weil Ratners Besetzungsideen und die der Produzenten aber deutlich auseinander gingen und Ratner das ohnehin schon stattliche 200 Millionen Dollar-Budget nochmals um unbescheidene 80 Millionen ausdehnen wollte, war er seinen Job trotz ausgedehnter Vorproduktion schon ziemlich bald wieder los.
Woraufhin dann Bryan Singer seine Mutanten relativ schmählich im Stich ließ und gleich im doppelten Sinne zur Konkurrenz überlief (von 20th Century Fox zu Warner Brothers und von Marvel-Superhelden zu denen von DC). Nachfolger von Singer bei den neuen Abenteuern der X-Men sollte dann eigentlich der Brite Matthew Vaughn ("Layer Cake") werden, dieser schmiss aber schon nach zwei Wochen das Handtuch, die vermeintlichen Gründe reichen von Heimweh Vaughns bis hin zu den üblichen ‚kreativen Differenzen'. Tja - und wer fand sich am Ende des sich drehenden Regisseur-Karussells dann auf einmal als Meister der X-Men wieder? Genau, Herr Ratner. Nun sorgte dies aufgrund der bisherigen Filmographie dieses Herren für enorme Bestürzung bei den treuen X-Men-Fans. Ausgerechnet dieser blasse Handwerker sollte Singers sich durch differenzierte Psychologie auszeichnende Serie übernehmen?

Daher gleich vorweg: Ratner hat seine Sache gut gemacht. Und zwar hauptsächlich, in dem er nichts gravierend falsch macht. Denn wenn er schon nicht wahnsinnig kreativ ist, eins kann Ratner gut: den Stil anderer Regisseure kopieren. Und so mimt er hier stilistisch den Singer und das gar nicht so schlecht. Ein stilistischer Bruch zu den ersten beiden Teilen ist jedenfalls nicht auszumachen, und dass Ratner durchaus knallige Actionszenen inszenieren kann, war ja ohnehin bekannt.
Diese gehören auch gleich mal zum Besten, was die Reihe zu bieten hat, und genügen problemlos den Ansprüchen des modernen Blockbusters. CGI wird hier zwar logischerweise reichlich aufgeboten, erweist sich aber nie als Fremdkörper oder überzogen. Von der Zerlegung eines Hauses durch Gedankenkraft bis hin zum Showdown mit diversen Duellen Mutant gegen Mutant halten die großen set pieces durchgehend das, was man sich von ihnen versprochen hat.

Nun war aber die Action in dieser Franchise immer nur ein kleiner Teil, dem mindestens gleichberechtigt Geschichte und Figuren gegenüberstanden. Und um es auch hier vorwegzunehmen: Trotz kleiner Schwächen hat man sich äußerst achtbar aus der Affäre gezogen. Wichtige Frage, die auch schon beim zweiten Teil zurecht gestellt wurde: Wie klappt die Integration von abermals einem Dutzend mehr oder weniger wichtiger, neuer Mutanten? Und die Antwort ist wieder: mittelmäßig. Denn während sich Singer bei der komplizierten und mit neuem Personal schon ziemlich vollgestopften Nummer Zwei deutlich über zwei Stunden Zeit ließ, ist der Abschluss der Mutantensaga nach etwas mehr als anderthalb Stunden auch schon wieder vorbei.
Und da fallen dann doch einige wichtige Charaktere ziemlich ab: So hat Angel (Ben Foster) als prominentester der neuen X-Men zwar einen Premiumplatz auf dem Filmplakat, im fertigen Film aber gerade mal fünf Minuten Leinwandzeit. Verschenkt. Ähnliches gilt auch für Mystique (Rebecca Romijn), einen der faszinierendsten Charaktere der Vorgängerfilme, aus deren Storyline man hier so gut wie nichts macht. Bei James Marsden alias Cyclops spielten bei seiner erneut sehr geringen Rollengröße wohl auch Terminkonflikte mit dem zeitgleich gedrehten "Superman Returns" eine Rolle. Und zugut(oder schlecht-)erletzt hat auch die gute Rogue (Anna Paquin) - im ersten Teil immerhin noch zweite Hauptfigur - hier nichts anderes mehr zu tun, als Seifenopern-Konflikte auszufechten. Dafür wird der Starbonus von Halle Berry deutlich, die sich wohl nur unter der Zusicherung einer größeren Rolle zu einem dritten Teil überreden ließ und folglich mit einer deutlich aktiveren und prominenteren Storm aufwartet. Dass die coolsten Auftritte und der Großteil der Leinwandzeit wieder mal Hugh Jackmans Wolverine gehören, versteht sich von selbst.

Von den Neuzugängen hinterlässt "The Beast" Hank McCoy bei den X-Men den besten Eindruck, und die vormals ungläubig belächelte Besetzung mit ausgerechnet "Frasier" Kelsey Grammer als blauhaarige Intelligenz-Bestie ist tatsächlich gelungen. Auf Bösewichtseite ist Vinnie Jones als Juggernaut wenigstens nicht so peinlich wie befürchtet, Magnetos andere Helfer wie Callisto (Dania Ramirez) oder Kid Omega (Ken Leung) wirken recht cool, haben aber zuwenig Leinwandzeit, um wirklich Eindruck zu hinterlassen. Dafür sorgt das Duell zwischen "Iceman" Bobby (Shawn Ashmore) und "Pyro" John (Aaron Stamford) für eine gelungene Fortführung des im letzten Teil eingeführten Konfliktes.
Die vom neuen Schreiberteam ersonnene Geschichte versteht es dabei geschickt, Details aus den Vorgängerfilmen einzuflechten und so eine recht runde Geschichte zu erzählen. Allerdings merkt man auch hier den Zeitmangel beziehungsweise ziemliches Geschnetzeltes im Schneideraum. Denn die eigentlich faszinierende Idee der Heilmethode für Mutanten wird viel zu schnell und etwas oberflächlich abgehandelt. Diese Idee schreit förmlich nach einiger ethischer Diskussion, wird aber lediglich als Plotaufhänger benutzt. Schade, da hätte man mehr draus machen können.

Ähnlich wie zum Beispiel "Die Bourne Verschwörung" versteht sich auch der dritte Teil der X-Men als Teil einer Serie, die aufmerksame Fans verfolgt haben. Dementsprechend gibt es hier weder eine nochmalige Einführung der Figuren, noch eine gesonderte Erwähnung der Ereignisse aus den Vorgängerfilmen - beides wird als bekannt vorausgesetzt. Soll heißen: Dies ist kein Film, der für sich alleine steht, und der Zuschauer sollte die Vorgänger - zumindest aber den zweiten Teil der Serie - vorher gesehen haben.
Das gilt auch insofern, da der dritte Teil noch etwas Weiteres beim Publikum voraussetzt: Kenntnis von und Identifikation mit den Figuren. Wer also Wolverine und Co. in den ersten Filmen nicht schon kennen (und lieben oder hassen) gelernt hat, der kommt hier aufgrund Zeitmangels kaum dazu, sich eine Meinung zu bilden. Knapp umrissen werden die Figuren und ihre Motivationen, und dann wird auch flugs losgewetzt zur nächsten Handlungswendung. Allerdings wäre es jetzt ungerecht und falsch, diesem Film jegliche Charakterentwicklung abzusprechen, sie wirkt halt nur etwas gehetzt.
Zugute kommt dem Film auch ein ausgezeichnet besetztes Nebendarsteller-Ensemble, in dem Könner wie Bill Duke, Shohreh Aghdashloo oder Robert Altman-Spezi Michael Murphy ihren kleinen Rollen einen Hauch von Klasse verleihen. Geschickt darf man auch das Casting von dem als verhasster Psychiater aus "Das Schweigen der Lämmer" bekannten Anthony Heald als FBI-Verhörbeamter nennen.

Im Grunde genommen ist "X-Men - Der letzte Widerstand" wie seine Vorgänger ein Film mit Stärken und Schwächen, bei denen die Stärken die Schwächen dann aber doch recht deutlich ausstechen. Ganz großes Kino ist es demnach vielleicht nicht, aber immerhin ein Blockbuster, der neben dem üblichen Krawall auch Herz und Verstand hat, was auch schon selten genug ist. Zu erwarten war das so nicht, und daher kann man "X-Men - Der Letzte Widerstand" nicht nur als positive Überraschung werten, sondern auch als gelungenen Abschluss von Marvels Mutantenmär. Und das haben sich alle verdient: der Zuschauer, der der Serie zurecht die Treue halten darf; Bryan Singer, dessen wertvolle Arbeit überraschend gut von Brett Ratner zu Ende gebracht wird; und letztlich die Figuren selbst, die ihr letztes Leinwand-Hurra durchaus in einen Höhepunkt verwandeln. Jetzt muss man nur abwarten, ob die Evolution (und das Einspielergebnis) nicht doch noch für Mutationen sorgt, die dann irgendwann als vierter Teil über die Leinwände schlurfen.

PS.: Ein verstecktes Hintertürchen in diese Richtung hat man ohnehin offen gelassen, daher sei es unseren Lesern hier ausdrücklich empfohlen, bis zum Ende des Abspanns im Kinosessel sitzen zu bleiben.


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