Life in a Day - Ein Tag auf unserer Erde

Originaltitel
Life in a Day
Jahr
2011
Laufzeit
95 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Margarete Prowe / 18. Juli 2011

"Life in a Day" ist wohl das Emotionalste, was Crowdsourcing bisher erschaffen hat: Einen Film über einen Tag im Leben unseres Planeten zu machen. Gefilmt innerhalb von 24 Stunden am Samstag, 24.07.2010, von Personen rund um den Erdball, erlaubt "Life in a Day" einen einzigartig intimen Blick auf diese Welt. Gesprochen wird alles, von Japanisch über Masai und Bengali bis Quechua. Eine Kuh wird geschlachtet und ein New Yorker hat sein Coming-Out gegenüber seiner Großmutter. Eine Ziegenherde wird von Hirten getrieben. Ein japanischer Vater besucht mit seinem kleinen Sohn morgens den Altar für seine verstorbene Ehefrau. Ein Teenager unternimmt seine erste Rasur. Die Welt wacht auf, die Welt geht schlafen. Nicht weniger als eine Zeitkapsel der Menschheit liegt hier vor, berührend, emotional und immer geprägt vom Gefühl der Schönheit und Fülle des Lebens. Dabei ist "Life in a Day" nicht nur global, sondern gleichzeitig so regional, dass er bis ins heimische Bett reicht.

Anfang Juli 2010 riefen Ridley ("Alien", "Gladiator") und Tony Scott ("Spy Game", "Staatsfeind Nr. 1") die YouTube-Gemeinschaft dazu auf, am 24.07.2010 Videos über ihr Leben an diesem Tag zu drehen und diese dann innerhalb der kommenden sieben Tage auf Youtube hochzuladen. Es gab keine Vorschriften zur Länge des eingesendeten Materials, nur die Regel, dass alle Filme am 24.07. gedreht werden mussten. Im Englischen ist 24/7 der Ausdruck für 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche - also immer. Und so sollte das Material auch alles wiedergeben, was gleichzeitig und durchgängig an so einem Tag passiert - wie geschlafen, gefrühstückt, geheiratet, geboren wird. Des Weiteren wurden die Teilnehmer gebeten, einige Fragen in ihrem Beitrag zu beantworten. Was ist deine Geschichte? Was liebst du? Wovor hast du Angst? Was ist in deinen Taschen? Die Beantwortung besonders der Frage nach der Angst erlaubt es dem Publikum, mit den Charakteren zu fühlen: Es sagt ein Kind: "Vor Monstern", ein afghanischer Mann hingegen: "Davor, aus dem Haus zu gehen".
Regisseur Kevin Macdonalds ("The Last King of Scotland", "State of Play") Inspiration für "Life in a Day" war der britische Filmemacher und Künstler Humphrey Jennings, der zu einer Gruppe namens "Mass Observation" gehörte, die in den 30er Jahren Freiwillige ihren Lebensalltag dokumentieren ließen. Diese mussten Fragen beantworten, wie etwa: "Was steht auf Ihrem Kaminsims". Die Künstler wollten damit die Schönheit und Besonderheit im ganz normalen Alltag dokumentieren.
"Life in a Day" beginnt und endet um Mitternacht (zufällig ist an diesem Tag sogar Vollmond). Als Zuschauer rätselt man eine Weile herum, was man selbst an diesem Samstag im Juli machte. Dann sieht man die Sequenzen der tödlichen Massenpanik auf der Loveparade in Duisburg und plötzlich steht einem der Tag wieder vor Augen und man weiß wieder genau, wo man war, als man von dem Unglück hörte. Es ist ein tragischer Zufall, dass diese Katastrophe ausgerechnet an diesem Tag geschah und so überhaupt Teil von "Life in a Day" wurde. Zugleich ist dieser plötzliche Einfall des Tragischen aber auch ein prägender Aspekt des Lebens, ohne den dieser Film nicht vollständig gewesen wäre.

"Life in a Day" spielt zwar nur an einem Tag, die Bearbeitung dauerte jedoch sieben Monate. Gerechnet wurde mit bis zu 15.000 Einsendungen mit vielleicht 1.000 Stunden Spielzeit - doch dann kamen 81.000 mit einer länger von 4.500 Stunden. Der Cutter Joe Walker sagt über seine Motivation, sich an dieses Projekt zu wagen: "Größenwahn wahrscheinlich. Ich wollte sehen, ob ich es mit einer solch monströsen Menge an Rohmaterial aufnehmen kann." Zwei Monate lang sichteten Filmstudenten und Dokumentarfilmer alle Clips und verschlagworteten diese mit so lustigen Kategorien wie "mybeautifulgirlfriend" oder "Wassermelonen". Daraus wurde dann Material geschnitten, zusammengesetzt, geändert, anderes Material genommen und wieder neue Anschlüsse gebastelt.
In Hülle und Fülle gab es von allem, das Problem war die Auswahl. Man hätte wohl 100 andere Filme aus diesem Material schneiden können. Es ist das große Verdienst der Macher, dass "Life in a Day" nicht todlangweilig wurde und weder repetitiv noch planlos wirkt. Regisseur Kevin Macdonald wollte die Rolle des Internets als Erzeuger von Verbundenheit zeigen. So wird nicht einmal eingeblendet, wo oder wann genau man sich gerade befindet. Die Gruppierung nach chronologischen Elementen (Aufwachen, Frühstücken, Mittag etc.) und inhaltlich verwandten Motiven wie Geburt und Krankheit erlaubt es dem Zuschauer auf wunderbare Weise, Unterschiede und Gemeinsamkeiten all dieser unterschiedlichen Kulturen wahrzunehmen. Die emotional berührende Musik von Harry Gregson-Williams und Matthew Herbert und der von der britischen Singer-Songwriterin Ellie Goulding gesungene Titelsong "A day at a time" tragen ihren Teil dazu bei, dass hier das ganz große Gefühl aufwallt.

Das Internet-Videoportal Youtube gibt es seit 2005. 2006 wurde es von Google für 1,31 Milliarden Euro in Aktien gekauft - Gewinn bringt Youtube bis heute nicht ein und so ist "Life in a Day" auch ein Versuch herauszufinden, wie der anarchische Kanal, auf dem die höchsten Rankings öfter mal süße Kätzchen und Amateursänger enthalten, auch einmal Geld generieren kann. Trotzdem gab es auch kostenlose Screenings von "Life in a Day" auf Youtube, als der Film zum Beispiel in Sundance Premiere feierte.
In der Panorama-Reihe der Berlinale wurde er vom Publikum gefeiert, das herzlich lachte und dann wieder in Tränen ausbrach. Manche der berührendsten Sequenzen zeigen einen koreanischen Radfahrer in Kathmandu, der seit zehn Jahren um die Welt fährt. Er ist eine Metapher für die globale Reise des Zuschauers in diesen 95 Minuten und erlaubt einen Blick auf die Heimat aus der Ferne. So weltumspannend man den Film und Youtube hierzulande auch empfindet, so gibt es doch viele Gegenden, wo man dazu keinen Zugang hat: In China zum Beispiel ist Youtube gesperrt - mit der Begründung, private Videoportale könnten pornografisches Material verbreiten. Bei "Life in a Day" gab es unter 81.000 Einsendungen einfach alles - eine Sexszene war laut den Machern indes nicht dabei.

"Life in a Day" ist wohl die schönste Zeitkapsel, die es jemals gab. Sie steht nicht nur für einen Tag, sondern für das Leben so vieler in unserer Zeit. Was bleibt, ist das Gefühl, dass jeder Tag besonders ist und nie wieder wiederholt werden kann. Auch wenn einfach mal gar nichts geschehen ist. Und wer von diesem filmischen Experiment nicht genug bekommen kann, sollte sich den Life-in-a-Day-Kanal bei Youtube anschauen: Dort sind alle eingesendeten Videos zu finden. Falls jemand 4.500 Stunden Zeit hat.


Danke für den Beitrag. Diesen Film werde ich mir auf jeden Fall anschauen. Ohne Ihre kritik hätte ich vielleicht nie etwas davon gehört.

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7
7/10

Bin mit Skepsis in diesen Film gegangen, denn vor der Kamera lebt es sich anders als ohne. Trotzdem hat mich "Life in a day" sehr schnell für sich eingenommen. Die vielen unterschiedlichen Eindrücke werden gekonnt aneinander gereiht und teilweise miteinander verbunden. Ein angenehm anzuschauendes Bilderbuch mit vielen bunten Seiten und einer guten Portion positiver Energie - genau das Richtige für einen entspannten Kinoabend.

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