Imitation of Life

MOH (50): 7. Oscars 1935 - "Imitation of Life"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 9. April 2024

In der letzten Folge konnte man mit unseren trinkfesten Protagonisten in “Der dünne Mann“ einfach nur entspannt Spaß haben, die 1934er Version von “Imitation of Life“ sorgt heute dagegen für jede Menge nachdenkliche Blicke. Glücklicherweise aber im positiven Sinne auch wenn es ein paar Zeilen braucht um diese Meinung hier mit den nötigen Argumenten zu unterfüttern.

Imitation of Life

Land
Jahr
1934
Laufzeit
111 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

Mit “Imitation of Life“ treffen wir auf den vermutlich diskussionswürdigsten aber darum auch für mich faszinierendsten Film dieses Oscar-Jahrgangs. Eigentlich gilt das gleichnamige Remake von Regisseur Douglas Sirk, dem sogenannten König der Melodramen, aus dem Jahr 1959 als bekannteste Umsetzung der Geschichte. Doch die Version von 1934 muss sich davor wahrlich nicht verstecken, ist sie doch ein richtig gut gemachtes Drama und vor allem auch spannender Zeitzeuge des (sehr langsamen) gesellschaftlichen Fortschritts in den USA. Und dabei auch eine Herausforderung für jeden Rezensenten, denn gerade wie der Film das Thema Rassismus behandelt ist ein in sich zerrissener Ausdruck alter und neuer Weltanschauungen. Mit anderen Worten, es kommt jetzt sehr viel Text.

Auf der Suche nach einem Job als Haushälterin erlangt die alleinerziehende Afroamerikanerin Delilah (Louise Beavers) in “Imitation of Life“ gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Peola Arbeit in der Wohnung von Beatrice (Claudette Colbert, “Cleopatra“). Die weiße Mutter zieht dort ihre Tochter Jesse nach dem Tod ihres Ehemanns ebenfalls alleine auf und kommt dabei gerade so über die Runden. Als Beatrice aber Delilahs leckeres Pfannkuchenrezept probiert wittert sie eine Business-Chance und schlägt Delilah vor gemeinsam ein Pfannkuchenhaus zu eröffnen. Gesagt, getan. Nach ein paar Jahren läuft das Geschäft schließlich so gut, dass sogar das passende Mehl dazu in Serie produziert und verkauft werden kann. Und als erfolgreiche Business-Frau kann Beatrice bald vergnügliche High-Society Parties schmeißen, auf denen sie eines Tages den charmanten Stephen (Warren William. “Lady für einen Tag“, “Cleopatra“) kennen und lieben lernt.


Deutlich weniger glamourös ist hingegen die Situation von Delilah. Deren Konterfei prangert zwar auf dem Markenlogo des Produkts und sie ist auch finanziell an dessen Erfolg beteiligt, doch für Geld und Ruhm hat sie nichts übrig. Stattdessen arbeitet sie lieber weiter als treue Haushälterin für Beatrice und nutzt die Zeit, um die Beziehung zu ihrer eigenen und inzwischen erwachsenen Tochter Peola (Fredi Washington) zu pflegen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn der sehr hellhäutigen Peola ist es schon seit ihrer Kindheit peinlich, wegen ihrer dunkelhäutigen Mutter als Schwarze identifiziert zu werden. Doch dies wird nicht die einzige kriselnde Mutter-Tochter-Beziehung in dem Haus bleiben. Als die inzwischen erwachsene Jessie (Rochelle Hudson) während ihrer College-Ferien kurzzeitig zu ihrer Mutter zurückkehrt wird auch deren Verbundenheit auf eine harte Probe gestellt.  

Fassen wir mal kurz zusammen: Zwei alleinerziehende Mütter unterschiedlicher Hautfarbe starten gemeinsam ein erfolgreiches Business. Eigentlich gibt es dutzende Gründe warum ein Film mit solch einer Handlung in den USA anno 1934 gar nicht erst das Licht der Welt erblicken sollte. Und als ob einem der gesellschaftliche Mainstream komplett egal sei packt man hier auch noch einen Nebenplot über die Identitätskrise einer hellhäutigen Afroamerikanerin obendrauf. Wohlgemerkt, “Imitation of Life“ war keine obskure Produktion, sondern hatte mit Claudette Colbert und Warren William zwei (natürlich weiße) Stars auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zu bieten. Da möchte man doch gleich mehrmals den Hut ziehen angesichts soviel Mutes hier inhaltlich derart abenteuerlich außerhalb der gesellschaftlichen Komfortzone zu agieren.  


Am Ende ist aber auch “Imitation of Life“ natürlich trotzdem Gefangener seiner Zeit und wer mit heutigen modernen Gesellschaftsvorstellungen den Film betrachtet wird den Hut vermutlich schnell wieder aufsetzen wollen. Denn die Geschichte entpuppt sich bei genauem Blick als ein eher möglichst Vorsichtiges aus dem Fenster lehnen – bei dem man weiterhin genug vertrauten Boden unter den Füßen lässt, um das Publikum nicht völlig zu verschrecken. So war es natürlich für damalige Verhältnisse ungewöhnlich und mutig einer schwarzen Schauspielerin wie Louise Beavers eine so zentrale Rolle in einer großen Produktion zu geben. Gleichzeitig wurde aber darauf geachtet, dass diese auch nicht zu arg aus der ihr von der weißen Gesellschaft zugewiesenen “Rolle“ fällt.

So ist es natürlich Beatrice, welche hier stets den Ton angibt und als Business-Frau durchstartet. Delilah agiert dagegen meist passiv und stimmt fast allem zu. Ablehnen tut sie dagegen all das, was sie auf ein Level mit Beatrice stellen würde. Stattdessen möchte sie lieber weiter die Rolle der gutmütig-unterwürfigen Haushälterin einnehmen – eine der wenigen Rollen, in denen Afroamerikaner in dieser Zeit im US-Kino akzeptiert wurden (meist aber eben nur in kleinen Nebenrollen). Selbst die von Beatrice vorgeschlagene Beteiligung von 20 Prozent an dem Unternehmen lehnt Delilah erst ab, bevor sie dann gönnerhaft von Beatrice doch noch dazu überredet wird diese anzunehmen.


Das Ungleichgewicht dieser Protagonisten wird nirgends so gut deutlich wie in einer Szene, in der Beatrice nach einem harten Arbeitstag nach Hause kommt und ihre “Businesspartnerin“ Delilah ihr auf der Couch die Füße massiert. Anschließend macht sich Beatrice sogar (liebevoll) über Delilah lustig, da diese mit dem exotischen Berufsnamen von Stephen (er ist Ichthyologe, also Fischkundler) nichts anfangen kann. Hier die clevere weiße Powerfrau, dort die etwas begriffsstutzige aber nette schwarze Haushälterin – modern ist das nicht. So wartet dieser Erzählstrang mit einer sehr widersprüchlichen Botschaft auf, da man auf der einen Seite neue Wege geht und dabei doch wieder schlimme alte Muster bedient.

Nun geht aber bekanntlich auch gesellschaftlicher Fortschritt oft nur in Babyschritten voran, doch das ist nicht der einzige Grund, warum man diesem Film manche dieser rassistisch geprägten Klischees verzeihen kann. Man wird nämlich das Gefühl nicht los, dass die Macher sich diesen Vorurteilen zu Teilen sehr wohl bewusst waren und diese zumindest ganz vorsichtig immer wieder hinterfragen. Bestes Beispiel hierfür ist eben genau diese Couchszene, nach der sich Beatrice und Delilah in ihre Zimmer verabschieden. Während Beatrice im Licht die Treppe nach oben steigt, geht Delilah im Schatten in den Keller. Natürlich neigt man öfters bei Filmen zur Überinterpretation, aber die Art und Weise wie dieser Moment inszeniert ist lässt den Schluss zu, dass man diese gesellschaftlichen Unterschiede bewusst im Bild nochmal hervorheben wollte. Für Weiße hat das Leben luftige Höhen parat, unserer Haushälterin bleibt der Weg nach oben dagegen verwehrt. Überhaupt ist “Imitation of Life“ so souverän und elegant von Regisseur John M. Stahl in Szene gesetzt, dass man sich sicher ist, dass hier wirklich jede Einstellung genau und mit Bedacht umgesetzt wurde. So wird in vielen Momenten erfreulicherweise statt auf großes Drama lieber auf leise Töne gesetzt und immer wieder Dinge nicht ausgesprochen sondern lieber nur subtil angedeutet.


Genauer hinschauen und hinhören lohnt sich bei diesem Film also und wer das tut findet noch weitere Momente, die aufhorchen lassen. Nachdem sich der Film scheinbar klischeehaft in der Couchszene über die mangelnde Intelligenz von Delilah lustig gemacht hat, revidiert sich der Eindruck in einer späteren Szene etwas. Dort wird nun Jessie ebenfalls mit dem Begriff des Ichthyologen konfrontiert, doch im Gegensatz zu Delilah wird ihr direkt geglaubt, als sie meint den Begriff zu kennen. Kurz darauf lässt der Film sie aber heimlich panisch im Wörterbuch blättern und zieht ihr damit den Boden unter den Füßen weg. Jessie und Delilah haben beide gleichermaßen keine Ahnung, ihre Aussagen werden aber wegen ihrer Hautfarbe anders wahrgenommen.

Ein weiteres Argument die Motive der Filmemacher in einem positiveren Licht zu sehen ergibt auch eine Hintergrundrecherche zur Produktion des Filmes. So war ursprünglich im Skript zu “Imitation of Life“ eine Szene angedacht, in der ein schwarzer Junge eine weiße Frau anspricht und dafür fast gelyncht wird. Diese Szene war der amerikanischen Zensur ein Dorn im Auge und musste entfernt werden – schließlich hätte dies ein zu starkes negatives Licht auf Weiße geworfen. Ebenfalls auffällig ist die Entscheidung der Produktion, die Rolle der hellhäutigen Peola nicht, wie sonst üblich, mit einer namhaften weißen Schauspielerin zu besetzen. Stattdessen entschied man sich für Fredi Washington, die afroamerikanischer Herkunft war und im Gegensatz zu der von ihr gespielten Figur diesen Fakt auch mit Stolz annahm. Einige Jahre später sollte Washington die Negro Actors Guild of America gründen, die sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen afroamerikanischer Schauspieler und Schauspielerinnen einsetzte.


Zusammen mit dem Hintergrundwissen, dass die Autorin der Buchvorlage Fannie Hurst sich auch privat für die Rechte der Afroamerikaner einsetzte ergibt sich so, trotz aller noch im Film vorhandenen rassistischen Klischees, ein spannendes Bild einer Produktion, die nicht so aus ihrer Haut konnte wie sie vermutlich eigentlich wollte. Noch heute scheiden sich aber die Geister daran, wie fortschrittlich “Imitation of Life“ nun tatsächlich war oder sein wollte. Warum das so ist zeigt auch der Strang rund um die Figur der hellhäutigen Peola. Auf der einen Seite war “Imitation of Life“ einer der wenigen Filme seiner Zeit, der hier überhaupt einmal andeutete, dass es in den USA ein Rassismusproblem gab. So wünscht sich Peola den ganzen Film über als Weiße zu gelten, um es so einfacher im Leben zu haben – solch ein Thema aufzugreifen hatte sich bis dahin keine Großproduktionen getraut. Gleichzeitig war man aber auch hier vorsichtig diesen Rassismus offen anzusprechen. So wird nie explizit gezeigt, dass Peola tatsächlich wegen ihrer Herkunft schlecht von Weißen behandelt wird. Geschweige denn ausgesprochen, dass Afroamerikaner wie Weiße behandelt werden sollten.


Ausschnitt: Der jungen Peola ist der Besuch ihrer Mutter in der Schule peinlich

Genau solche klaren Aussagen vermisst man natürlich als moderner Zuschauer bei dem Film. Aber deswegen sollte man “Imitation of Life“ nicht gleich verteufeln. Stattdessen ist es ein faszinierendes Werk, in dem es soviel zu entdecken gibt und das gerade im zeitlichen Kontext gesehen viele spannende Fragen aufwirft. Abgesehen davon, dass es einfach auch ein wirklich unterhaltsamer Film ist. Das liegt auch an vielen der Darsteller und Darstellerinnen, die gerade auch in Sachen Subtilität der Regie in nichts nachstehen. Gerade Claude Colbert ist großartig, auch wenn ihr Strang im späteren Verlauf zwar dominanter aber nicht unbedingt interessanter wird. Doch der Film lebt von der Energie, der Wärme und dem Charme, mit dem sie ihre selbstbewusste Figur auf die Leinwand bringt. Auch diese Figur ist im Kontext ihrer Zeit gesehen in einigen Aspekten erfrischend modern angelegt und bekommt glücklicherweise auch noch ein Ende serviert, dass ihre Integrität intakt lässt. Gleichzeitig vermeiden das Drehbuch und Colbert es die meiste Zeit erfolgreich die Figur in den Szenen mit Delilah zu arrogant wirken zu lassen. Stattdessen lässt man Beatrice dort meist liebevolle und spielerische Wärme ausstrahlen, auch wenn diese mit einer eigentlich unverdienten und auf rassistischen Strukturen basierenden Machtposition daherkommt.

Am Ende wird jeder sein eigenes Urteil über den Film fällen müssen. Selbst die afroamerikanische Community war bei der Veröffentlichung 1934 damals in ihren Reaktionen gespalten. Während die eine Seite die überraschend zentralen Rollen zweier Afroamerikanerinnen in einer großen Hollywoodproduktion als Fortschritt ansahen, kritisierten andere die weitere Festigung von Klischees. Die Antwort liegt irgendwo dazwischen, doch zumindest eine Sache ist sicher: “Imitation of Life“ ist einer der interessantesten Filme der 1930er Jahre.

"Imitation of Life" ist aktuell als DVD und Blu-Ray auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf der Webseite des Internet Archive kostenlos abrufbar. 

 

Trailer des Films

 


Ausblick
In unserer nächsten Folge wird es thematisch nun wirklich nicht einfacher, stoßen wir schließlich dort auf das Thema der Judenverfolgung und jede Menge düstere Vorahnungen.


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