Die Mitte

Jahr
2004
Laufzeit
85 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Kai Kollenberg / 5. März 2011
 

 

Man kann nicht sagen, dass sich Stanislaw Mucha in seinen Filmen mit einfachen Fragestellungen beschäftigt: Versuchte er vor zwei Jahren in "Absolut Warhola" zu beweisen, dass Andy Warhol die Einfälle für seine Kunst aus dem Herkunftsland seiner Familie, der Slowakei, bezog, so geht er in seinem neuesten Film der Frage nach, wo die Mitte Europas liegt.
Zwei Jahre Arbeit stecken in diesem Film, für den sich Mucha mit seiner Kamerafrau Susanna Schüle in zahlreiche Länder (z. B. Deutschland, Österreich, Litauen, Polen etc.) begab und die Orte besuchte, die alle für sich beanspruchen, dass allein sie die "wahre Mitte" Europas sind. Und so steht Mucha im Laufe dieses Filmes vor unzähligen Denkmälern, die entweder den geographischen Mittelpunkt, oder den ideellen markieren, und auch in ihrer Form sehr unterschiedlich sind. Mal markiert ein einfacher Stein den Mittelpunkt, mal ein riesiger Stern, mal befindet sich der Mittelpunkt mitten auf einem Feld, mal am Rand einer Schnellstraße.
Mucha schafft es in seinem Film geschickt, die Absurditäten dieser Mittelpunkt-Diskussion auszuloten: Wenn ihm ein hessischer Kleingärtner, der in seinem Garten umringt von Gartenzwergen steht, erklärt, dies sei die Mitte Europas, oder ein einfacher Pfarrer in der Slowakei ihm auf den Kirchturm seiner Kapelle führt und ihm versichert, dies sei die Mitte Europas, hat das schon echten komödiantischen Charakter.
Mucha geht es aber anscheinend um mehr, vor allem im zweiten Teil des Filmes: Er will verdeutlichen, wie sehr die Bewohner der einzelnen Mittelpunkte Europas schon in dessen Mitte angekommen sind, wie sehr sie sich damit identifizieren. Kurz: wie die soziale Situation der Leute mitten in Europa ist. Solange diese Frage noch einen Europabezug hat, gelingt dies vortrefflich. So schafft es Mucha, einen Slowaken in einen Dialog über ein Eurowahlplakat zu verwickeln, der mehr über die Ängste und Mentalitäten der Menschen ausdrückt, als man es hätte erwarten können.
Doch irgendwann überspannt Mucha den Bogen, und man kann einen Zusammenhang zu seinem Hauptthema nicht mehr wirklich ausmachen. Verkauft er mit einer Kioskbesitzerin in der Ukraine in deren Kiosk Zeitungen oder beobachtet einen LKW-Fahrer, wie er seinen Reifen wechselt, ist die Relevanz für die Zielsetzung des Filmes nicht klar, und es scheint, als wolle Mucha mit der moralischen Keule dem Zuschauer einbläuen: Seht her, anderen geht es noch schlechter! Dass ihm aber dies im eigenen Film viel subtiler und leiser gelang, etwa bei dem verzweifelten Versuch eines polnischen Arbeiters in Litauen, polnisches Fernsehen mit einer improvisierten Antenne zu empfangen, verliert er selbst aus den Augen.
Und noch etwas ist festzustellen: Dem allgemeinem Trend der letzten Zeit, dass der Dokumentarfilmer selbst Objekt seines Filmes wird, mit seinen Akteuren in einen Dialog vor der Kamera tritt, um diesen ironisch zu unterlaufen, komödiantisch zu füttern und sich selbst so zum Hauptdarsteller seines Filmes zu machen, unterliegt auch Mucha. Wie Michael Moore drängt er immer in entscheidenden Momenten ins Bild, verliert aber dadurch seine eigene anfängliche Intention aus den Augen. Wenn Mucha sich bei einem Wunderheiler in der Ukraine einer Behandlung unterzieht, und immer wenn der alte Mann sich umdreht, ein Grinsen auf den Lippen hat, ist nicht deutlich, was das dem Zuschauer über die Mitte Europas oder die Mentalität der Einwohner sagen soll. So geht es Mucha im zweiten Teil seines Filmes so wie den beiden Schweizern, die er auf der Suche nach der Mitte Europas mit einem GPS-Gerät bewaffnet zeigt. Auch sie stapfen ziellos durch den Wald.

Warum gibt es trotzdem eine Wertung von sieben Augen? Weil der Film trotz dieser Schwächen die Zuschauer über seine Laufzeit nie gänzlich langweilt und vor allem die erste Hälfte des Filmes bestens unterhält. So relativiert sich der zweite Teil und man kann dem Regisseur seine kleinen Schwächen verzeihen. Aber für den nächsten Film sollte sich Stanislaw Mucha schon entscheiden, worauf er hinaus will: Auf Satire oder auf Sozialkritik.

 


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