Toni Erdmann

Jahr
2016
Laufzeit
162 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Maximilian Schröter / 30. Juni 2016

Sandra Hüller & Peter Simonischek„Toni Erdmann“ ist ein Phänomen. Als erster deutscher Film im Hauptwettbewerb der Filmfestspiele von Cannes seit acht Jahren begeisterte der Film von Maren Ade dieses Jahr dort Kritiker wie Publikum gleichermaßen und wurde von vielen als Favorit auf die Goldene Palme gehandelt. Als der Film bei der Preisverleihung dann komplett übergangen wurde, war die Empörung nicht nur der deutschen Kritiker groß. Aber ist „Toni Erdmann“ denn wirklich so gut und preiswürdig?

Im Mittelpunkt von Maren Ades drittem Spielfilm steht eine Vater-Tochter-Beziehung: Winfried Conradi (Peter Simonischek) ist Mitte Sechzig und Musiklehrer. Seine Tochter Ines (Sandra Hüller) arbeitet äußerst erfolgreich in einer Unternehmensberatung und lebt zurzeit in Bukarest. Nachdem Winfrieds Hund gestorben ist, schaut er auf einen Überraschungsbesuch bei seiner Tochter vorbei, die davon allerdings überhaupt nicht begeistert ist. Alle Versuche Winfrieds, in Gesprächen zu seiner Tochter vorzudringen und die längst abgekühlte Beziehung zu ihr wieder emotional zu vertiefen, scheitern. Ines lebt vor allem für ihren Job, der Besuch ihres Vaters stört da nur. Also reist Winfried wieder ab, ohne dass es zu einer Aussprache oder auch nur Annäherung zwischen Vater und Tochter gekommen ist. Doch er gibt nicht auf, ganz im Gegenteil, und kehrt schließlich zurück – nicht als er selbst, sondern als sein Alter Ego "Toni Erdmann". Mit schiefen Zähnen, Langhaarperücke und schlecht sitzenden Anzügen rückt er Ines immer wieder in unpassenden Momenten auf die Pelle, zum Beispiel wenn diese mit Freundinnen essen geht oder auf der Dachterrasse des Firmengebäudes im Gespräch mit Kollegen ist. Ines, die noch nicht bereit ist, sich wirklich mit ihrem Vater auseinanderzusetzen, ist gezwungen, dieses Spiel mitzuspielen und den peinlichen, alten Herrn Erdmann in ihr Leben zu lassen. Das führt zu einigen haarsträubend witzigen, aber auch äußerst emotionalen Szenen. Und allmählich kommen sich Vater und Tochter über den Umweg „Toni Erdmann“ tatsächlich wieder näher.

Toni ErdmannEine der großen Stärken des Films ist es, dass er sich nur schwer in Kategorien und Genres einordnen lässt. Vordergründig mag er als Komödie erscheinen und ist immer wieder auch zum Brüllen komisch, doch dieser Humor entsteht stets auf der Basis der dramatischen und emotional lebensechten Elemente des Films. Maren Ade erweist sich nach „Alle Anderen“ erneut als eine äußerst präzise Beobachterin der menschlichen Gesellschaft, und zwar im großen Ganzen ebenso wie in Details. Das zeigt sich unter anderem darin, dass im Mittelpunkt von „Toni Erdmann“ zwar die Beziehung zwischen Ines und ihrem Vater steht, der Film aber darüber hinaus auch zahlreiche weitere gesellschaftlich relevante Themen abarbeitet. Da wäre zum Beispiel das Arbeiten allein um des Erfolges Willen, wie es sich in der Besessenheit zeigt, mit der Ines ihre Karriere verfolgt. Von Work-Life-Balance kann da keine Rede mehr sein, denn Ines‘ Job ist ihr Leben. Und wenn sie ihrem Vater – und großen Teilen des Kinopublikums – erklären muss, was eine Unternehmensberatung denn eigentlich so macht, dann mischen sich sozialkritische Elemente in den Film. Denn an dieser Stelle kommt man nicht umhin sich darüber zu wundern, wie es denn so weit kommen konnte, dass es Firmen gibt, deren Existenzberechtigung allein in der „Beratung“ anderer Firmen liegt und ob es denn erstrebenswert und erfüllend sein kann, für solche Firmen zu arbeiten.

Michael WittenbornEin weiteres Thema, das der Film anspricht, ist das Aufeinandertreffen von Menschen verschiedener Schichten und Kulturen. Oder manchmal eben auch das Nicht-Aufeinandertreffen, denn Ines und ihre Kollegen, die aus zahlreichen verschiedenen Ländern stammen, arbeiten zwar in Bukarest, bleiben aber meist unter sich und kommen mit der Kultur und den Menschen Rumäniens kaum in Kontakt (auch dies ändert sich als Toni Erdmann in Ines' Leben tritt). Toni Erdmanns Hereinbrechen in den Kollegen- und Bekanntenkreis seiner Tochter kann dabei als eine Art soziologisches Krisenexperiment gesehen werden. Unter Missachtung zahlreicher sozialer Konventionen bringt er die geordneten Verhältnisse durcheinander und sorgt mit seiner derben Art und seinem Furzkissen-Humor für hochgezogene Augenbrauen. Auch auf gesellschaftlicher Ebene wird das Eindringen des Fremden im Film diskutiert: Kann sich Rumänien angesichts von ins Land drängenden ausländischen Firmen und Investoren in Zeiten der Globalisierung seine Identität bewahren?

Nicht zuletzt ist „Toni Erdmann“ natürlich auch ein Film über das Schauspiel, über die Lust in eine andere Figur zu schlüpfen, und damit zumindest ein bisschen auch ein Film über das Kino selbst (was in der Filmindustrie ja immer gut ankommt). Der verspielte Winfried wählt in seiner Verzweiflung das Schauspiel als letzten Ausweg, um seiner Tochter näher zu kommen. Er muss erst zu jemand anderem werden, bevor Ines ihn wieder ins Herz schließen kann. Dabei zwingt er sie quasi mehrmals zur Teilnahme an einer Art Improvisationstheater, in der Ines auch an sich selbst neue oder lang vergessen geglaubte Seiten ihrer Persönlichkeit entdeckt.

Sandra HüllerDer eine oder andere Leser mag sich nun vielleicht denken, „Globalisierung, Krisenexperimente, Schauspiel-Metaübung – klingt wie schwere Kost, taugt denn der Film auch etwas?“. Ja, er taugt etwas, und zwar eine ganze Menge. Denn die Bearbeitung all der genannten persönlichen und gesellschaftlichen Themen wäre natürlich nur wenig wert, wenn der Film nicht eine im Kern berührende und in der Ausführung exzellente Geschichte erzählen würde. Das ist nämlich die vielleicht größte Stärke des Films: dass Maren Ade es schafft, all die hier aufgezählten Dinge in der Geschichte um die Annäherung zwischen Vater und Tochter zu vereinigen, ohne dass der Film dabei ausfranst und von dieser zentralen Handlung weggleitet. Im Kern ist „Toni Erdmann“ die Geschichte von Ines und Winfried/Toni und bleibt stets bei einer dieser Figuren.

Dabei sind die Leistungen der beiden Hauptdarsteller von einer entwaffnenden Natürlichkeit, die ihre Figuren von Anfang an glaubwürdig macht und auch niemals in Rührseligkeit abdriften lässt. Natürlich speist sich der Unterhaltungswert des Films zu einem Großteil aus den seltsamen Einfällen, mit denen Toni immer wieder für Peinlichkeiten sorgt. Doch diese Situationen sind nicht zum Selbstzweck Teil des Films, sondern eben Teil der Entwicklung, die Winfried/Toni und die Beziehung mit seiner Tochter durchmachen. Dementsprechend legen es die beiden Darsteller Peter Simonischek und Sandra Hüller auch nie darauf an, komisch zu sein. Die Komik ergibt sich hier von ganz allein und ist dadurch umso wirkungsvoller. Man muss sich nur einmal ausmalen, wie die gleiche Geschichte vielleicht in einer Hollywood-Komödie ausgesehen hätte und spätestens dann weiß man die Zurückhaltung zu schätzen, die Ade und ihre Darsteller hier an denSimonischek Tag legen.

Das Ende des Films mag für manche Zuschauer interpretationsbedürftig sein, aber auch hier macht sich diese Zurückhaltung positiv bemerkbar: Ade widersetzt sich so mancher Erwartung und bringt die Geschichte zwar zu einem Abschluss, klärt aber nicht alles auf (um hier einmal vage zu bleiben). Dadurch – und durch das intelligente Drehbuch und die natürlichen, lebensecht wirkenden Schauspielleistungen – können die Figuren als Projektionsflächen für die Zuschauer wirken. Tatsächlich kann man in „Toni Erdmann“ viel aus dem eigenen Leben wiederfinden, auch wenn man selbst weder Vater noch Tochter ist. Und so fühlt man sich nach dem Kinobesuch nicht nur sehr gut und geistreich unterhalten, sondern erhält auch so manchen Denkanstoß. Zum Beispiel den, dass wir alle hin und wieder ein wenig wie Toni Erdmann sein sollten.

Bilder: Copyright

9
9/10

Warum dieser Film gut ist:
1) Endlich mal eine Regisseurin, die drauf hält - keine Millisekundencuts im Stakkatostechschritt. Einfach Kamera an und drauf halten. Und das auch mal 3 Minuten (Sergio Leone lässt grüßen).
2) Kein moralischer Zeigefinger.
3) Mehrperspektivische Figuren durch die Bank.
4) 162 gut gefüllte Minuten ohne Superhelden, geisteskranke Bösewichte, fliegende Irgendetwas oder sonstiger Gehirn-Käse.
5) Vollkommen authentische Schauspieler.
6) Schwierige Themen - leicht aufbereitet.

Danke hierfür.

Warum kein Löwe?
Vielleicht hätten 12 Minuten weniger dem Film gut getan.

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9
9/10

Ein Film über dessen gesammten Abspann „Plainsong“ von „The Cure“ wummert, kann an sich schon kein gänzlich schlechter Film sein. Umso erfreulicher, wenn dies tatsächlich nur das Sahnehäubchen und der Schlußpunkt eines rundum gelungenen und erfrischendem Films ist.

Wahrlich ein Film, nicht wie alle anderen. Und sicherlich einer, der unter den Wettbewerbsfilmen in Cannes heraus geragt hat – eben, weil es nicht der soundsovielte Aufguß der Stilelemente eines Regiealtmeisters ist, sondern etwas Frisches, Belebendes, Unerwartbares hat. Toni Erdmann ist eine Filmfigur, die man nicht wieder vergißt. Simonischek spielt ihn ganz wunderbar, mit einer großen Präsenz – irgendwie loriothaft – mit einem Schuß Horst Schlämmer. Und Sandra Hüller ist eh eine Bank – in ihrer „Doppelrolle“ als Frau Schnuck. Simonischek und Hüller sind wirklich perfekt besetzt und entwickeln eine ganz besondere Chemie untereinander den ganzen Film über.

So macht Kino wieder Spaß.

Nicht nur in diesem Forum schwingt ja bei Vielen eine igitt-bäh-Einstellung mit, was den aktuellen deutschen Film angeht. Vielleicht wäre „Toni Erdmann“ hier geeignet, die ollen Vorurteile zu überwinden. Mich freut es jedenfalls, daß Maren Ades Werk immerhin in der Top-5 der aktuellen deutschen Kinocharts gelandet ist. Vielleicht findet der Film ja doch sein Publikum und versauert nicht mit einer handvoll Zuschauer, wie sonst so oft. Verdient hätte er es allemal.

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4
4/10

Kühl und trocken

Toni Erdmann beginnt leise und unaufgeregt und geht auch leise und unaufgeregt dem Ende zu. Der Film folgt einem entsetzlichem Minimal-Tempo, ohne Höhen und ohne Tiefen. Die Story ist wie eine Kette aus Gläsern, die mit unterschiedlichen Mineralwässern gefüllt sind: Ein Wasser schmeckt wie das andere. Dabei wird man schon zu Anfang das Gefühl nicht los, dass es sich hierbei womöglich um eine TV-Reportage über einen alten, einsamen und komischen Kauz und seiner bitter ernsten, spießigen und karieresüchtigen Tochter handelt.

Regisseurin und Autorin Maren Ade verstand es weder die humoristischen, noch die dramatischen Momente wirksam umzusetzen. Die Figuren wirken sehr steril, abgewandt und unsympathisch und sind voneinander genau so weit distanziert, wie zum Zuschauer (ja, ich weiß, dass ist auch teilweise so gewollt und auch ungewollt).

Dazu kommt, dass Maren Ade wohl keinerlei Rhythmusgefühl im Schneideraum hatte. Sie war nicht in der Lage, Wichtiges vom Unwichtigen zu trennen. Kameraführung und Schnitt in dieser Kombination, wie sie der Film zeigt, laden daher zum einschlafen ein.

Wen interessieren denn mega lange Szenen, in denen kaum etwas passiert und die teils unverständliche Flüsterdialoge, die diese lahme Atmosphäre noch weiter verstärken - und das alles auch noch in Überlänge!

Ok, die Message des Films ist klar, aber wurde leider so was von langweilig umgesetzt, dass man gewillt ist die Augen zu schließen und am nächsten Tag weiter zu gucken.

Wenn man konsequent diesen Film zurecht schneidet, bleibt nur noch ein drittel übrig. Dafür würde dann das Tempo stimmen. Aber dann wäre das ein Kurzfilm und der bringt nicht so viel Geld ein.

Vier Sterne für einige wenige gelungene Momente (Nacktparty) und die Gesellschaftskritik - aber das war es leider auch schon.

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1
1/10

Das schlimmste was ich je sehen musste im Deutsch Unterricht völliger Mist und nur weil ein Film schlecht und mit ganz viel Nacktheit arbeitet soll der wichtig für den Deutschunterricht sein das ist doch nicht zu fassen so ein schlechter Film nicht zu empfehlen

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Die Botschaften dieses Films kann man verstehen. Schauspielerische Leistung super.
Jedoch ist dieser Film absolut nicht sehenswert,peinlicher geht es nicht mehr. Das hätte man professioneller produzieren können, wenn einem die Botschaft wichtig wäre.

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