In Presseheften geht es meist ziemlich vollmundig zu. Das neuste Vehikel für Teenie-Star Jimi Blue Ochsenknecht (aus derselben Produktionsschmiede wie "Die wilden Kerle 1-5" und "Sommer") ist da kein Unterschied. Nicht weniger als "die Wiederbelebung eines Genres" leiste man mit diesem Film, und führt gewichtige Vorbilder wie "West Side Story", "Die Outsider" oder "Boyz'n the Hood" an. Jegliche Hoffnung, dass hier nun tatsächlich (zumindest in Ansätzen) ein beinhart-realistisches, packendes Jugenddrama warten könnte, zerschlagen sich allerdings schon in den ersten Filmminuten dieses "Gang-Films".
Da sieht man den jungen Draufgänger Flo (Jimi Blue Ochsenknecht) auf seinem Motocross-Bike auf dem Hinterrad den Bürgersteig langflitzen, worauf er von seinem Gangkollegen Jan mit einem bewundernden "Cool!" begrüßt wird. Anschließend treffen diese beiden Mitglieder der "Rox" in einem Linienbus auf ihre Konkurrenz-Gang, die "78er" - bestehend aus jungen Asiaten in Pseudo-Ghetto-Chic für Mittelschichts-Hiphop-Fans. Gerettet werden sie von ihren "Rox"-Gefährten Nuri und Rambo, in Begleitung des Gang-Hundes "Eisen" - natürlich ein Pitbull, der allerdings nicht beißt, sondern nur den Schwanz einzieht. Waffen irgendeiner Form gibt's dabei keine zu sehen, man droht sich nur gegenseitig Kloppe an, bevor die wirklich bösen Jungs auftauchen: Der fiese Rico nebst Begleitern, alle komplett in weiß als kämen sie gerade von einer "Matrix"-Fanconvention. Alle Jungs gefrieren ehrfürchtig und Rambo darf für den Zuschauer erklären: "Das sind die Killaz. Die haben schon mal einen umgebracht".
Diese ersten paar Minuten sind bezeichnend dafür, auf was für einem erzählerischen Niveau man sich hier bewegt. Mit den herbeizitierten Gang-Filmen amerikanischer Prägung und einem entsprechenden Realismus hat das wirklich überhaupt gar nichts zu tun, eher wandelt man hier auf der Komplexitäts-Ebene von Bravo-Fotoromanen und TKKG-Abenteuern. So braucht man als Zuschauer auch gar nicht erst zu versuchen, die erzählte Geschichte irgendwie ernst zu nehmen.
Die "Rox" nehmen ihren Anführer, Flos älteren Bruder Chris (Wilson Gonzales Ochsenknecht) in Empfang, der aus dem Gefängnis entlassen wird, nachdem er (Zitat) "als Drogenkurier erwischt" worden ist. Näher wird darauf nicht eingegangen, und wie sich die "Rox" ihren Lebensunterhalt und Statussymbole finanzieren (ein Ami-Straßenkreuzer, fünf erstklassige Motorräder und ein Gang-Hauptquartier - natürlich in einer alten Lagerhalle - mit allem von Boxsack bis Kickertisch), bleibt auch ungeklärt. Und erneut kriminell wird der arme Chris dann auch nur, weil der fiese Rico von ihm den Gegenwert des hopsgenommenen Stoffs ersetzt haben will. Der gute Flo hingegen scheint ein gänzlich braver, süßer Bursche zu sein, der genau wie seine Freunde nicht raucht, nicht trinkt und keine Drogen nimmt, der aber eine Lederjacke trägt und deswegen verwegen und cool ist. Weshalb die gutbürgerliche Ballett-Maus Sofie (Emilia Schüle) sich auch auf den ersten Blick in ihn verliebt.
Diese Lovestory ist denn auch das eigentliche Verkaufsargument von "Gangs", dessen Zielpublikum eindeutig weiblich und nicht älter als 13 ist, und am besten auch nicht in einer Großstadt wohnt. Dann glaubt man vielleicht noch, dass ein weichäugiger Hänfling wie Jimi Blue Ochsenknecht sich als "hartes" Lederjacken-Gangmitglied ausgeben könnte, kann vor allem aber ganz naiv und unschuldig davon träumen, so wie die knuffige Sofie diesen süßen, "wilden" Boy zu zähmen und ihn zum eigenen, unfassbar coolen Freund zu machen, mit dem man dann Händchen halten kann.
"Gangs" ist die jungfräuliche Provinzmädchen-Fantasie eines "Gang-Films", in der alles gerade noch so cool und "hart" und außergewöhnlich genug ist, um aufregend zu sein, alles wirklich drastische, verstörende, gefährliche aber vollständig ausgeblendet wird. Augenscheinliches Beispiel: "Dort, wo die Hauptstadt am gefährlichsten ist, befindet sich das Revier der Rox" (Zitat Presseheft). Den Drehorten des Films nach zu urteilen ist der gefährlichste Teil der Hauptstadt dann im bildungsbürgerlichen, von schmucken Altbauten gesäumten Berlin-Schöneberg gelegen. Aha. Mit den zitierten Vorbildern und Genre-Traditionen, die man hier angeblich wiederbelebt, hat das jedenfalls nichts zu tun. Das hier ist spießige Sozialromantik, die bloß niemanden erschrecken soll; ganz sicher ist es kein beinhart realistisches Sozialdrama, in dem es wirklich um etwas geht. Als eine echte "Gang" kann man die "Rox" jedenfalls keine Sekunde ernst nehmen, eher erscheinen sie wie die etwas älteren Brüder der "Pygmäen", jener harmlosen und mit netten Mädchen befreundeten Jungs-Bande aus den "Die wilden Hühner"-Filmen.
Mit denen hat man ja auch die Kernzielgruppe gemein, und letztlich kann man auch diesem Film nicht vorhalten, dass er sich so komplett und ausschließlich an eben diese anbiedert. Was man ihm allerdings vorhalten kann, ist dass er dabei nicht mal versucht, auch nur den kleinsten "Mehrwert" herauszuholen. Die Geschichte ist so dermaßen platt und vorhersehbar, dass hier weder Überraschungen noch irgendwelche Aussagen lauern. Mehr noch: Selbst da, wo man etwas vermitteln könnte, tun man sein Bestes, um es zu vermeiden. Sofie weckt in Flo den Traum des Ausbruchs in die große, weite Welt, als er ihre Ausgabe von "Unterwegs" zu lesen bekommt - die legendäre Roadtrip-Geschichte des Beatnik-Autoren Jack Kerouac, einer der bedeutendsten amerikanischen Romane des 20. Jahrhunderts. Darüber wird im Film allerdings kein Wort verloren und das Buch jenseits seines programmatischen Titels immer so ins Bild gerückt, dass der Name des Autors nie zu erkennen ist und auch nicht genannt wird. Gott bewahre, dass eine der Zuschauerinnen sich nach dem Film ernsthaft dafür interessieren und das Buch lesen könnte!
So wandelt sich "Gangs" immer mehr zu einem Ärgernis, das seine (aufgrund der selbst gesteckten Beschränkungen) begrenzten Möglichkeiten, etwas Interessantes zu erzählen, mutwillig vergibt, und mit seiner Kleinmädchenfantasie der hauptstädtischen Gang-Welt ständig Gefahr läuft, unfreiwillig komisch zu sein. Daran haben leider auch die Jung-Darsteller erheblichen Anteil, die durch die Bank mit so hölzernen, aufgesetzten Mienen brav ihre Texte rezitieren, dass die wenigen Auftritte von Marie-Lou Sellem als Sofies Mutter geradezu wie Fremdkörper wirken - so dermaßen fällt das überzeugende Spiel dieser echten Aktrice im Gegensatz zu ihren jungen Anspielpartnern heraus.
Bei den Zugpferden dieses Films, den beiden Ochsenknecht-Brüdern, muss man konstatieren, dass sie trotz der Erfahrung von einem halben Dutzend Spielfilmen und der ständigen Präsenz von Schauspielcoaches immer noch keine nennenswerten Fortschritte in dieser Kunst machen. Drastischstes Beispiel: Wie der gute Wilson Gonzales als oberharter Gang-Boss Chris versucht, den folgenden Satz überzeugend rüberzubringen: "Wer schwach ist, wird fertig gemacht. Und mich wird nie wieder jemand fertig machen!". In die Fußstapfen ihres Vaters werden diese beiden Jungs wohl nicht treten - eine jahrzehntelange Karriere als einer der versiertesten deutschen Schauspieler steht jedenfalls weder Jimi Blue noch Wilson Gonzalez ins Haus.
Ob es im "Teeniemädchen-Traumboy"-Bereich für sie noch weiter geht, wird auch das Einspiel von "Gangs" mitbestimmen. Ob sich dann noch ein "Genre" findet, von dem man Jimi Blue eine deutsche Version auf den Leib schneidern kann, wird sich zeigen. Vielleicht wird man dem dann auch eher gerecht als dem "Gang-Film". Ob das überhaupt ein Genre ist, darüber lässt sich sicherlich streiten, aber wenn, dann gehört "Gangs" ganz sicher nicht mit dazu. Denn ein Gang-Film, in dem niemand stirbt und es am Ende reicht, einfach die Polizei zu rufen, ist keiner.
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