An seinem Startwochenende nahm "Piranha" in den USA gerade mal etwas mehr als zehn Millionen Dollar ein, was einem ziemlichen Flop gleich kommt. Umgehend wurde der Film als nächstes und bestes Beispiel dafür genommen, dass der 3D-Trend so schnell wieder vorbei ist, wie er gekommen war. Dabei ist diese Argumentation gerade in Bezug auf "Piranha" gleich dreifach ungerecht. Zum einen, weil dieser Film zu spät zu seiner eigenen Party erscheint, denn schon vor Jahren - lange vor "Avatar" und den durch ihn so richtig losgetretenen Trend - sprach Alexandre Aja davon, eine Neuversion von "Piranha" in 3D drehen zu wollen. Zweitens, weil dieser Film eben deswegen nicht zu den qualitativ minderwertigen Schnellschüssen wie "Kampf der Titanen" oder "Die Legende von Aang" gehört, die nachträglich und nachlässig konvertiert wurden und mit ihrer grenzwertigen Optik vielen den 3-D Trend madig machten, was der schon immer als 3D-Film geplante "Piranha" jetzt ausbaden muss. Und drittens, weil "Piranha" wesentlich besser als jene genannten Filme ist und sowohl inhaltlich als auch in der Umsetzung seiner 3D zu den besten Filmen gehört, die es seit James Camerons Ökoschlümpfen auf die Leinwand geschafft haben.
Jetzt scheint es erstmal vermessen, so offensichtliche Genreware wie "Piranha" hier als Meisterwerk der 3D-Technik oder gar der Filmgeschichte zu preisen, und ganz so weit wollen wir auch gar nicht gehen. Aber "Piranha" ist genau der Film, den man erwarten darf und vielleicht sogar ein bisschen mehr. Und gerade dieses kleine bisschen mehr macht den Unterschied. Ein bisschen mehr gibt es hier nämlich von allem: den Titten und Ärschen, die zur Freude des männlichen Zielpublikums hier in rauen Mengen geschwungen werden, dem Blut- und Splatterfaktor, den Aja mit Genuss in so wohl seit Peter Jacksons "Braindead" in Kinos nicht mehr gesehene Höhen treibt. Und eben auch ein bisschen mehr an satirischem Spaß, der die anfängliche Tittenparade und spätere Blutorgie immer wieder mit einigen netten Schmunzlern auffrischt. Der Film macht also all das, was sich der verkappte PG-13-Horror à la "Prom Night" verkniff und der Folterporno à la "Saw" nicht zu leisten vermochte. Und damit macht er vor allem eins: Laune.
Die Geschichte ist dabei schnell erzählt - und wird dankbarerweise in knackigen 85 Minuten auch schnell erzählt - und genreüblich auch eher schmal gehalten. Prähistorischen und sehr hungrigen Piranhas wird leicht bis gar nicht bekleidetes amerikanisches Jungvolk, das in Lake Victoria in Arizona seine Spring Break-Ferien feiert, zum Fraß vorgeworfen. So weit, so einfach. Und überhaupt scheint Aja mit seinem Werk das Horrorgenre auf seine Essenz reduzieren zu wollen: Blut und Brüste. Damit wird "Piranha" jetzt nicht gleich zum dekonstruktivistischen Meta-Horrorfilm, aber die Extreme, die er sowohl in seiner Fleischparade als auch im späteren Zerlegen dieses Fleisches an den Tag legt, zeigen: Hier hat einer nicht nur Fangoria gelesen, sondern auch die Mechanismen des niedrigsten Nenners des Horrorgenres verstanden und macht sich mit der völlig überzogenen Umsetzung dieser Genrestandards zumindest ein bisschen über sie lustig. Wer sich sagt: "Die Leute wollen nackte Mädels, warum dann nicht gleich ein nacktes Unterwasserballett zu klassischer Musik", der ist ein ziemlich cleveres Kerlchen.
Überhaupt gibt es einen ganz klaren satirischen Unterton, der so ziemlich der einzige Berührungspunkt mit Joe Dantes Original aus dem Jahr 1978 ist. Jener übrigens von der späteren Indie-Ikone John Sayles (der damals mit satirisch-subversiv gefärbten Scripts für Roger Cormans B-Monsterfilme seine Karriere begann) geschriebene Streifen war eine klare Parodie auf den "weißen Hai", angereichert mit schwarzem Humor und Insiderjokes, wie sie Dante von da an in jeden seiner Filme einfließen ließ. Aja ist da weniger offensichtlich witzig, zumindest eine Figur ist aber ein satirischer Geniestreich: Der von Jerry O'Connell genial größenwahnsinnig dargestellte Derrick Jones ist eine so offensichtliche Parodie auf Joe Francis, den Begründer des "Girls Gone Wild"-Imperiums (wo betrunkene College-Girls für ein T-Shirt überredet werden, ihre Brüste und mehr zu zeigen), dass das Original gleich mal eine Unterlassungsklage gegen den Film androhte. So genüsslich wie zutreffend wird Francis hier als arroganter Drecksack und Schleimbeutel durch den Kakao (oder eher: das Blutwasser) gezogen, dass es eine wahre Freude ist. Besonders schön die Szene, als der von ihm angeheuerte Jake (Steven R. McQueen) ihm mitteilt, dass seine Mutter (Eilzabeth Shue) der örtliche Sheriff ist, worauf sich O'Connell schnell und verschämt das Koks von der Nase wischt und auf einmal ganz kinderfreundlich und hilfsbereit daherkommt.
Die Besetzung ist für ein vermeintliches Billigmonsterfilmchen geradezu überqualifiziert, neben Shue und O'Connell sind auch noch Christopher Lloyd und Ving Rhames zu sehen, wobei letzterer sich in einer Doppelhommage an "Braindead" und Samuel L. "Motherfuckin' Snakes" Jackson als Piranha-Rasenmähermann betätigen darf (okay, es ist ein Bootmotor, aber das klingt nur halb so gut). Und in der Anfangssequenz gibt Richard Dreyfuss ein Cameo, das wiederum parodistisch den "weißen Hai", den Urgroßvater dieses Subgenres, zitiert. Zwar heißt sein Charakter (wohl aufgrund des Copyrights) etwas anders, die gleichen Klamotten und das Liedchen, das er mehr schlecht als recht singt, identifizieren ihn aber eindeutig als dieselbe Figur, die im "weißen Hai" Jagd auf das Ungetüm gemacht habt. In einer Verneigung vor den grandios-absurden Gründen für Zombie-Epidemien und andere Unglücke in den Fun-Splatterfilmen der 1980er ist es hier übrigens eine von seinem Boot versehentlich ins Wasser gefallene Bierflasche, die das Unterwassererdbeben auslöst und die Steinzeitpiranhas freilässt.
Überhaupt ist Aja mit seinem Spektakel wesentlich näher an diesen Filmen, als an den doch eher ernsten Ökohorrorstreifen der 1970er. Hier ist alles grell, vulgär und am Rande des guten Geschmacks. Also genau da, wo ein Monsterfilm mit Brüsten, Biestern und Blut hingehört. Zarte Seelen aller Couleur sollten sich vor Ansicht des Films daher eine Frage stellen: Will oder muss ich einen Film sehen, in dem mir ein abgebissener und dann halb verdauter menschlicher Penis von einem Piranha ins Gesicht gespuckt wird? Wer jetzt "Aber klar!" ruft, ist hier genau richtig. Die Splatterszenen gehören zum Derbsten, was seit langer Zeit auf der Leinwand zu sehen war, da haben die Ikonen dieser Art von Make-Up, Greg Nicotero und Howard Berger, nochmal richtige Arbeit geleistet. Das Blutbad rund um die Einstundenmarke ist so dermaßen im Grand Guignol-Stil gehalten, dass der enorme Blutgehalt durch die Absurdität der Szenen um einiges abgemildert wird.
Natürlich ist "Piranha" trotz all dieser positiven Punkte kein richtig guter Film im klassischen Sinne, aber eben eine Genreübung, die genau weiß, was sie macht und an wen sie sich wendet. Somit ist "Piranha" auch für Aja nach dem doch eher enttäuschenden "Mirrors" wieder ein Schritt in die richtige Richtung. Lobend erwähnen muss man hier auch noch das 3D-Verfahren, das im Gegensatz zu den nachträglich umgemodelten Mogelpackungen ausdrücklich zum Konzept gehört, was man dem Film auch zu jedem Zeitpunkt ansieht. Fast über die gesamte Laufzeit wird die Dreidimensionalität mal mehr, mal weniger offensichtlich - nie jedoch zu albern oder dämlich - benutzt. Ein weiterer Pluspunkt auf einer trotz der Blutlachen ziemlich weißen Weste dieses kleinen feinen Horrorstreifens.
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