"Nirgendwo sonst habe ich solch tapfere Löwen gesehen, die von solchen Lämmern angeführt wurden." Dieses Zitat über den bewundernswerten Mut der britischen Front-Soldaten und die Dummheit der Heerführer, die sie in den sicheren Tod schickten, stammt aus den Aufzeichnungen eines unbekannten deutschen Armeeangehörigen aus dem Ersten Weltkrieg und ist die Inspiration für den Titel des neuen Films von Robert Redford. "Von Löwen und Lämmern" wirft einen kritischen Blick auf den aktuellen Zustand der amerikanischen Politik, ihre hilflosen aber mit viel Bravado vorgetragenen außenpolitischen Manöver und die weit verbreitete Apathie in der amerikanischen Bevölkerung, die das alles akzeptiert, weil sie glaubt, es sowieso nicht ändern zu können. Was sich thematisch packend und höchst relevant anhört, entpuppt sich aber leider als höhepunktarmes, 90-minütiges Rededuell mit Kammerspiel-Charakter, das vielleicht auf einer intellektuellen Ebene zu reizen weiß, ansonsten aber kalt lässt und kaum zu fesseln weiß.
Der gesamte Film besteht im Prinzip aus drei parallel ablaufenden Zwei-Personen-Situationen, die zunächst keine Verbindung zu haben scheinen: Der alternde Uni-Professor Stephen Malley (Robert Redford) will seinen motivationslosen Studenten Todd Hayes (Andrew Garfield) zu mehr Engagement anregen, weil er in dem verzogenen Sohn aus reichem Hause echtes Potential erkennt. Zeitgleich will der republikanische Senator Jasper Irving (Tom Cruise) die erfahrene TV-Journalistin Janine Roth (Meryl Streep) mit einer exklusiven Story zu Berichterstattung in seinem Sinne manipulieren. Und die beiden jungen Soldaten Arian (Derek Luke, "Catch a Fire") und Ernest (Michael Peña, "World Trade Center", "L.A. Crash") geraten bei einem Kampfeinsatz in Afghanistan in einen Hinterhalt, so dass sie verletzt und schutzlos auf einem Berggipfel auf Rettung warten müssen, von nahenden Taliban-Kämpfern umgeben.
Wie sich heraus stellt ist der fehlgeschlagene Einsatz, bei dem Arian und Ernest aus ihrem Hubschrauber auf den Berg stürzen, der Auftakt zu eben jener neuen Militärstrategie für die "Befriedung" Afghanistans, die Senator Irving der Journalistin Roth als revolutionäres Allheilmittel für diesen Teil des Krieges gegen den Terror anpreist. Außerdem sind Arian und Ernest ehemalige Studenten von Malley, und ihr tatsächliches Engagement und die daraufhin gefällten Entscheidungen sind es, die Malley dazu bewegt haben, nun dem desinteressierten Todd ins Gewissen zu reden. Das war's dann aber auch schon an Querverbindungen, auch wenn sich der Pressetext zum Film noch so sehr mit Behauptungen bemüht, die Schicksale der Figuren würden sich ganz entscheidend gegenseitig beeinflussen.
Dementsprechend fühlen sich die drei Handlungsstränge bis zum Ende wenig zusammenhängend an, und die unspektakuläre Auflösung tut ihr Übriges, um das Gefühl für eine in sich geschlossene Geschichte noch mehr vermissen zu lassen. Spannung gibt es hier auch kaum, denn an den drei Szenarien ändert sich bis kurz vor Schluss des Films nichts: Malley und Todd sowie Irving und Roth sitzen in zwei Büros und diskutieren miteinander. Arian und Ernest liegen verletzt auf dem Berg und hoffen auf ihre Rettung. Woran es hier massiv fehlt, ist Aktion, zumal sich selbst die Wendepunkte in den Diskussionen als so fein erweisen, dass in dem jeweiligen Hin und Her in beiden Fällen kein klarer Sieger zu erkennen ist.
Das hat natürlich schon seinen Reiz, und der Film erweist sich als durchaus stark in seinem eigentlichen Zentrum, der politischen Debatte, die hier facettenreich, clever, taktisch und wortgewandt geführt wird. Hier hat der Film erwartungsgemäß seine größten Momente, begründet in der Konstellation der Charaktere: In Professor Malley ebenso wie in der Journalistin Roth schwingt die Resignation der Rebellen-Generation der 1960er mit, jene ehemaligen Aktivisten, die in ihrer Jugend an Veränderung durch Protest geglaubt haben und dann mit ansehen mussten, wie sich ihre Errungenschaften und Ideale nach und nach auflösten. So ist "Wenn ihr es damals versucht und nicht geschafft habt, warum soll meine Generation sich jetzt den Arsch dafür aufreißen, wenn es eh nichts bringt?" auch ein wichtiger Punkt in Malleys Diskussion mit dem verwöhnten Todd. Und Janine Roth wird im Gespräch mit Irving erst richtig misstrauisch, als sie in seiner "neuen" Strategie eine Kopie einer fatalen amerikanischen Taktik seiner Parteigenossen aus dem Vietnam-Krieg erkennt.
Wenn man nicht bereit ist, sich für seine Überzeugungen einzusetzen, was bleibt einem dann noch? So ungefähr lautet die Frage, um die sich hier alles drehen soll, und die mahnende Anklage gegen eine Gesellschaft von spaßorientierten Individualisten mit dahinvegetierendem Gemeinschaftsgefühl ist offensichtlich. Hier wird politisches Engagement und Stellungnahme von Jedermann gefordert, damit die Typen da oben nicht schalten und walten können, wie sie wollen. Genauer: Engagement von den richtigen Leuten. Die in den wichtigen Positionen (Medien) und mit den finanziellen Freiheiten, es sich leisten zu können (die reichen Schnösel). Denn auch das suggeriert der Film auf eigentümliche Weise: In den USA hast du als Armer keine Chance, etwas zu ändern. Arian und Ernest, ein Afro-Amerikaner und ein Latino, haben sich bei der Armee verpflichtet, um danach auf Staatskosten ihr Studium beenden und die Grundlagen für ein politisches Engagement legen zu können. Anders geht es angeblich nicht.
Eine Argumentation, der man erstmal folgen muss, was nicht nur an dieser Stelle etwas schwer fällt, da "Von Löwen und Lämmern" fast ausschließlich spezifisch amerikanische Probleme diskutiert, und man die ganze Zeit ohnehin nichts anderes tut als Wortduellen und Argumenten zu lauschen, die es fleißig zu reflektieren gilt. Zumindest hätte das der Film gerne. Einzig, er leistet dem Publikum keinerlei Hilfe, das alles angemessen verdauen zu können, weil es unablässig und in viel zu großen Portionen serviert wird.
Das Bemerkenswerteste an "Von Löwen und Lämmern" sind - wie fast zu Erwarten - die schauspielerischen Leistungen. Natürlich, wo 90 Minuten lang so hitzig und verflochten debattiert wird, da kann man als Darsteller richtig glänzen. So ist dann wohl auch die Teilnahme von Tom Cruise und Meryl Streep an diesem Projekt zu erklären, denn die beiden brennen hier zusammen ein Feuerwerk ab, neben dem die anderen beiden Stränge (und ihre Darsteller - trotz redlicher Mühen) zu bloßem Beiwerk verkommen. Cruise legt wie immer ein bisschen zu sehr auf, wenn er eine wirklich komplexe Figur spielen kann, aber kniet sich mit sichtlichem Vergnügen in die teuflischen Manöver und Manipulationsversuche des Machtmenschen Irving. Unterdessen zeigt Meryl Streep auf der anderen Seite des Schreibtischs eine Vorstellung, bei der man sofort nach Oscar-Nominierung schreien würde - wenn das bei ihren bereits 14 Nominierungen und zwei Siegen nicht etwas langweilig wäre. Es ist halt so: Streep ist die wohl beste amerikanische Schauspielerin, und auch hier verleiht sie ihrem Spiel ein Facetten- und Detailreichtum, das beizeiten so unglaublich gut ist, dass man Szenenapplaus spendieren möchte.
Das rettet "Von Löwen und Lämmern" allerdings nicht davor, ein insgesamt zäher und unbefriedigender Film zu sein. Auch wenn er für alle drei Handlungsstränge am Ende wenigstens einen Abschluss suggeriert, bleiben die Aussagen, die damit getroffen werden sollen, doch arg schwammig. Und mit der alten Frage "Was will uns der Künstler damit sagen?" aus dem Kino zu gehen, ist nicht wirklich zufrieden stellend. Kurz gesagt: Was sich auf den ersten Blick wie ein erster Anwärter fürs diesjährige Oscar-Rennen las, erweist sich als eindeutig schwächster Film in Robert Redfords Regie-Karriere.
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