Der eigene Bürgerkrieg ist der liebste Hintergrund der Amerikaner, wenn es um die Kreierung eines historischen Epos mit schier übermenschlich-tragischen Schicksalen geht, denn in der retrospektiven Glorifizierung gab es in den vier Jahren von 1861-1865 noch mehr Ehre als Grausamkeit zu bestaunen: Die Nordstaatler kämpften für die Freiheit aller, die Südstaatler für die Erhaltung ihres noblen Lebensstils, und so kann jeder mit erhobenem Haupt auf die geschlagenen Schlachten zurückblicken. Dass die Geschichte in Wahrheit etwas anders aussieht, interessiert nicht wirklich, dafür lässt sich vor diesem Hintergrund viel zu fabelhaft lieben, leiden, sterben und leben - nicht nur in "Vom Winde verweht". Durchaus verständlich also, dass sich jemand wie Anthony Minghella - seit seinem Oscar-überhäuften "Englischen Patient" in vorderster Front bei den ganz großen Gefühlen im Hollywood-Kino dabei - für seinen nächsten Anlauf auf den heißbegehrten Goldjungen einen Stoff wie Charles Fraziers Bürgerkriegs-Bestseller "Cold Mountain" aussucht. Schade nur, dass die filmische Umsetzung ausgerechnet an ihrem zentralen Handlungsmotiv krankt und deswegen berechtigterweise schon im Voraus aus dem großen Oscar-Rennen ausgeschlossen wurde.
"Unterwegs nach Cold Mountain", seiner Heimatstadt in North Carolina, ist hier der desertierte Südstaaten-Soldat Inman (Jude Law), der in den letzten Wirren des Bürgerkriegs die ebenso mühsame wie gefährliche Heimreise antritt, um in die Arme seiner geliebten Ada (Nicole Kidman) zurückzukehren. Die ist in der Zwischenzeit - neben sehnsuchtsvollem Darben nach dem Mann ihres Herzens - mit nacktem Überleben beschäftigt, nachdem ihr verstorbener Vater sie mit einer Farm zurückließ, die sie als wohlerzogene Lady nicht zu bewirtschaften weiß. Da kommt die burschikose Bauerntochter Ruby (Renée Zellweger) als Unterstützung gerade recht, und gemeinsam bilden die beiden ein Powerfrauen-Duo, das sich mutig den Widrigkeiten des Lebens im Bürgerkrieg stellt.
Das immanente Spannungsproblem wird hier wohl schon offensichtlich: "Unterwegs nach Cold Mountain" ist per se eine Liebesgeschichte, während der Er die ganze Zeit gen Heimat läuft, während Sie die ganze Zeit wartet. Das ist für sich genommen nicht sonderlich packend, und wird in seiner dürftigen Wirkung noch dadurch behindert, dass die alle Hindernisse überwindende Liebe zwischen Inman und Ada arge Überzeugungsprobleme hat. Ihre gemeinsamen Momente vor seinem Aufbruch in den Krieg beschränken sich auf drei kurze Begegnungen mit mehr verlegenem Schweigen als offenen Gefühlen, und so wirkt schon der leidenschaftliche Kuss zum Abschied etwas überspannt und unglaubwürdig. Dass dieser Sekundenflirt tatsächlich solch überschäumende Liebe auf den ersten Blick freigesetzt hat, um Ada und Inman Kraft und Ausdauer für alle folgenden Strapazen zu geben, ist der ebenso nötige wie gnadenlos durchschaubare Katalysator für die zentrale Storyline, die dementsprechend wenig überzeugen kann. Dass es einer vermeintlichen großen Lovestory auch nicht zuträglich ist, die Liebenden für fast zwei komplette Leinwandstunden von einander fernzuhalten, muss da kaum noch erwähnt werden.
Paradoxerweise ist so ausgerechnet die Hauptstory für das relative Scheitern eines Films verantwortlich, der ansonsten nicht viel Grund zum Klagen gibt. Abgesehen von seiner dürftigen Nutzung für die Liebesgeschichte wird "Unterwegs nach Cold Mountain" seinem Bürgerkriegsszenario durchaus gerecht: Großmut und Ehre wird in ähnlicher Menge verteilt wie Niedertracht und Boshaftigkeit; die Unmenschlichkeit, mit der die Amerikaner in diesem Krieg nicht nur fast eine ganze eigene Generation auslöschten, sondern auch die Zivilbevölkerung rücksichtslos leiden ließen, wird nicht ausgeblendet. In seiner Zeichnung des Kriegsalltags pendelt der Film dabei elegant und gekonnt zwischen dem Komischen und dem Tragischen, zwischen dem Persönlichen und dem Epischen, und erzählt eine Reihe kleiner, feiner Geschichten auf der Reiseroute Inmans, der wie sein offensichtliches Vorbild Odysseus viele harte Prüfungen bestehen muss auf dem Weg zurück in die Arme seiner Frau (bzw. Geliebten).
Diese zahlreichen Episoden auf Inmans Reise - und ähnlich während Adas und Rubys Überlebenskampf daheim - sind dann auch die größte Stärke von "Unterwegs nach Cold Mountain", schon allein weil hier eine famos agierende Truppe an Gaststars aufgefahren wird, die den Film mit vielen kleinen Höhepunkten spickt: Philip Seymour Hoffman als der Fleischeslust verfallener Priester; Natalie Portman als junge Kriegswitwe; Donald Sutherland als örtlicher Pfarrer und Vater von Ada; Giovanni Ribisi als verschlagener Farmer mit einem ganzen Rudel an rolligen "Ehefrauen"; Ray Winstone ("Sexy Beast") und Newcomer Charlie Hunnam ("Nicholas Nickleby") als lynchende Bürgerwehr, die mit Wonne Deserteure über den Haufen schießt; sowie Brendan Gleeson ("Gangs of New York"), Ethan Suplee ("Gegen jede Regel") und Jack White vom kongenialen Rockduo "White Stripes" (er komponierte auch einige der überaus gelungenen Folk-Songs auf dem Soundtrack) als lebensfrohe Vagabunden-Band. Sie alle liefern hervorragende Arbeit ab, werden jedoch allesamt überstrahlt von Renée Zellweger: Die bricht schon bei ihrem ersten Auftritt einem störrischen Hahn kurzerhand das Genick und stiehlt im weiteren Verlauf mit ähnlicher Vehemenz jede Szene, in der sie auftaucht. Mit ihrer direkten und vorlauten Art gleichzeitig auch ein willkommener Gegenpol zu dem etwas überdramatischen Herzschmerz von Jude Law und Nicole Kidman (die als Protagonisten ebenfalls zwei makellose Vorstellungen abliefern), macht sich die pausbäckige Zellweger zum gar nicht so heimlichen Star des Films, und ihre Favoritenrolle für den Nebendarstellerin-Oscar ist durchaus berechtigt: Zwar vielleicht nicht die beste Performance unter den Nominierten, aber auf jeden Fall die markanteste. Und ein bisschen Show hat bei den Oscars ja noch nie geschadet.
Diese durch und durch gelungene Besetzungsliste ist dann beinahe allein verantwortlich dafür, dass die etwas prätentiöse Handlung wesentlich besser zu schlucken ist, als ihre Konstruiertheit und die beizeiten bemüht dramatische Inszenierung Minghellas es eigentlich zugelassen hätten. Zu angestrengt versucht der Regisseur und Autor, den emotionalen Bilderbogen des "Englischen Patienten" zu wiederholen, und bleibt mit seiner Verbissenheit leider an der Oberfläche kleben.
Mit vielen gelungenen Episoden, aber einem weniger überzeugenden Gesamtergebnis erweist sich "Unterwegs nach Cold Mountain" so als Film, dessen Teile besser als ihre Summe sind, und für das angestrebte große Liebes- und Historienepos ist diese dramatische Zerfaserung leider zu wenig. Nichtsdestotrotz sorgen die abwechslungsreichen Einzelteile dafür, dass der Film trotz zweieinhalb Stunden Laufzeit nie langweilig wird, und als detailgetreues Panorama der Gräuel des amerikanischen Bürgerkriegs mit zeitweise exquisiter Kameraarbeit ist er allemal immer noch zu empfehlen. Kein Schuss in Schwarze, aber immerhin die Zielscheibe getroffen.
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