Der Patriot

MOH (8): 2. Oscars 1930 - "Der Patriot"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 10. Oktober 2023

Im April 1930 wurden zum zweiten Mal die Academy Awards verliehen, die sich in diesem Fall Filmreleases zwischen dem 1. August 1928 und 31. Juli 1929 widmeten. Dabei waren die Organisatoren immer noch ein wenig in der Findungsphase und so gab es im Vergleich zum Vorjahr gleich mehrere größere Anpassungen. Die Kategorien wurden von zwölf auf sieben gekürzt und die Unterteilung in populäre und künstlerisch wertvolle Filme aus der ersten Verleihung, in der “Flügel aus Stahl“ und “Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ die begehrten Preise gewannen, aufgehoben. Von nun an gab es nur noch die Kategorie “Outstanding Picture“ und die Gewinner und Gewinnerinnen wurden ab jetzt auch nicht mehr im Vorfeld bekanntgegeben.

Einmalig war die Tatsache, dass es bei dieser Verleihung keine offiziellen Nominierungen für den besten Film des Jahres gab. Allerdings entdeckte man bei späteren Recherchen eine Art inoffizielle Nominierungsliste, an der wir uns hier nun auch orientieren. Die Verleihung selbst erfolgte wiederum zu einer der spannendsten Zeiten Hollywoods, nämlich der Ablösung des Stummfilms durch die sogenannten Talkies (Filme mit Tonspur). Bevor wir einen Blick auf unseren ersten nominierten Film des Jahres werfen, gibt es dazu aber erst einmal noch eine kleine Dosis Hintergrundwissen.

 

Hintergrund: Die Talkies kommen

Im Gegensatz zum Jahr davor waren bei den zweiten Academy Awards bis auf eine Ausnahme alle der Nominierten in der Kategorie “Outstanding Picture“ nun Tonfilme. Welche Mühe dieser Wandel der Branche bereitete, sieht man sehr gut an dem wirklich erschreckenden Qualitätsabfall der nominierten Filme im Vergleich zum Vorjahr. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Wer in alten Interviews von ehemaligen Stummfilmstars stöbert, hört immer wieder, welche Angst bei vielen Darstellern angesichts der neuen Herausforderungen und einem möglicherweise drohenden Jobverlust herrschte. Schließlich war es früher egal gewesen, ob man als Schauspieler oder Schauspielerin eine angenehme und publikumstaugliche Stimme hatte.

Die neuen Abläufe am Set sorgten für weitere Verunsicherung und dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass gerade in der Anfangszeit der Talkies viele Schauspielleistungen etwas steif und ungelenk wirken. Oft ist in Szenen spürbar, dass alle vor der Kamera sehr darauf bedacht waren möglichst wenig Nebengeräusche zu produzieren und den Fokus vor allem darauf setzten, sehr deutlich in Richtung Mikrofon zu sprechen. Und trotz all der Mühe treten bei den nun nominierten Filmen immer wieder Passagen auf, die aufgrund des noch nicht wirklich ausgereiften Sounds wirklich schwierig zu verstehen sind.
 

Filmset mit Kamerabox im Film “Babylon“ von Damien Chazelle (© Paramount)


Die damals sehr starre neue Technik (für besseren Sound wurden Kameras samt Kameraleuten in kleinen schallschützenden Boxen untergebracht) engte aber auch die künstlerischen Möglichkeiten bei der Kameraarbeit stark ein (übrigens sehr schön eingefangen in Damien Chazelles "Babylon" oder dem Klassiker “Singin' in the Rain“). Der Stummfilm war in dem Bereich ja gerade in den letzten Jahren immer mutiger geworden und hatte vor allem viel mit der Beweglichkeit der Kameras gespielt. Das war aufgrund der neuen Einschränkungen jetzt erst mal nicht mehr möglich, und so wirken viele frühen Talkies in Sachen Inszenierung unglaublich steif und behäbig.

Auch inhaltlich war das mit der Kreativität so eine Sache. Angesichts der neuen Möglichkeiten waren sich viele Studiobosse einig, dass man die neue Technik vor allem für Musikdarbietungen nutzen sollte. Und so beginnen bei fast allen der hier besprochenen Nominierten irgendwann die Leute auf einmal zu singen und man sieht auch garantiert irgendwann ein paar Damen zu flotter Musik das Tanzbein schwingen. Egal, ob das jetzt inhaltlich Sinn macht oder nicht.

Mit “The Hollywood Revue of 1929“ ist sogar eine einfach von der Bühne abgefilmte Musik- und Comedy-Revue im zweiten Jahr nominiert – ironischerweise aber noch der erträglichste aller Beiträge. Man muss also vorwarnen, gerade für Freunde guter Geschichten sind die Nominierten in diesem Jahr wahrlich kein Freudenfest. Ein solch deutlicher Qualitätsabfall zwischen zwei Oscar-Verleihungen dürfte in der Geschichte der Academy Awards wohl einmalig sein – hofft zumindest der Rezensent mit Blick auf die Zukunft dieser Reihe inständig.

Nominiert für die Kategorie “Outstanding Picture“ waren 1930 das Musical und der spätere Gewinner "The Broadway Melody", "Alibi", "In Old Arizona", "The Hollywood Revue of 1929" und "Der Patriot". Letzterer war dabei der einzig nominierte Stummfilm des Teilnehmerfelds. Die Hoffnung, dass zumindest das Drama des deutschen Regisseurs Ernst Lubitsch für etwas Qualität sorgen kann, müssen wir aber leider direkt nehmen. Das wird nämlich vermutlich nie geklärt werden können, denn die Filmrollen zu "Der Patriot" sind leider für immer verschollen. Und so sprechen wir heute nur über das, was hätte sein können...


Der Patriot

Originaltitel
The Patriot
Land
Jahr
1928
Laufzeit
113 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Picture"
Bewertung

Als einziger Stummfilm (mit nur vereinzelt und nachträglich eingefügten Sprach- und Soundelementen) war “Der Patriot“ sowas wie ein Schatten vergangener Zeiten bei der Verleihung. Die Story, die sich rund um Mord und Intrigen am Hof des grausamen russischen Zaren Paul I. abspielt, klingt dabei deutlich spannender als die Handlungsstränge aller anderen nominierten Filme zusammen. Was vielleicht auch daran liegt, dass hier wohl keine Gefahr besteht, dass jemand plötzlich unmotiviert beginnt ein Liedchen zu trällern. Ohne die technischen Restriktionen der Tontechnik und mit einem deutschen Stummfilm-Altmeister hinter (Ernst Lubitsch) und einem vor (Emil Jannings) der Kamera eigentlich gute Vorraussetzungen, um aus diesem blutleeren Kreis der restlichen nominierten Filme herauszustechen.

Ob das dem Film wirklich gelungen wäre können wir heute leider nicht mehr beurteilen. Bis heute sind nur wenige Fragmente des Filmes wieder aufgetaucht, der Rest ist wohl für immer verloren. Immerhin ein Trailer (weiter unten zu finden) ist uns erhalten geblieben. Hier bleibt dann nur noch Spekulation, aber zumindest in Sachen Inszenierung und Bildgestaltung wirken die dortigen Aufnahmen deutlich interessanter als das was uns bei der Konkurrenz in den kommenden Folgen so erwartet.
 


Alte Filmkritiken loben auf jeden Fall den Look und die monumentalen Sets von “Der Patriot“, sowie vor allem einen triumphal aufspielenden Hauptdarsteller Emil Jannings. Dessen intensives Spiel ist auch im Trailer mehr als nur zu erahnen. Wobei Jannings dann auch eines der vielen “Schauspiel-Opfer“ bei der Einführung des Tonfilms wurde. Im Vorjahr hatte er noch den Oscar für den besten Hauptdarsteller errungen, doch ein erfolgreicher Übergang zu den Talkies sollte ihm in den USA nicht gelingen. Sein starker deutscher Akzent und seine sehr ausdrucksstarke Spielweise passten für die Produzenten nicht mehr ins Bild des moderneren amerikanischen Tonfilms. Zumindest in Deutschland war Jennings aber an der Seite von Marlene Dietrich in "Der blaue Engel" noch ein erfolgreiches Tonfilmdebüt vergönnt. 

Wer weiß, vielleicht entdeckt eines Tages noch irgendjemand auf seinem Speicher die alten Filmrollen von Jannings letztem großen Hollywoodfilm. Bis dahin ist "Der Patriot" aber das einzige für den besten Film nominierte Werk der Oscar-Geschichte, das so gut wie komplett verschollen ist.
 

Trailer zu "Der Patriot"


Ausblick
In unserer nächsten Folge steigen wir dann ein in die Welt des Tonfilms und schwingen gemeinsam mit Hollywood das Tanzbein in “The Hollywood Revue of 1929“.


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