Zynisch ist die Welt, in der wir leben. Wer sich davon überzeugen will, der braucht nur durchs Fernsehen zappen oder mal genau beobachten, wie gleichgültig und ignorant die Menschen im Supermarkt oder an der Bushaltestelle miteinander umgehen. Da braucht es von Zeit zu Zeit eine Reinigung. Und das Kino ist häufig der richtige Ort dafür. Insbesondere wenn man die Möglichkeit bekommt, einen zutiefst humanen Film zu sehen, der seine Figuren mit einer sensiblen Würde ausstattet und sie niemals vorführt. Mike Leigh hat mit "Another Year" genau so einen Film gedreht. Es ist jetzt schon einer der besten des Jahres. Im Mittelpunkt steht ein älteres Ehepaar mit den lustigen Namen Tom (Jim Broadbent) und Gerri (Ruth Sheen). Sie führen seit vielen Jahren eine harmonisch entspannte Ehe. Die beiden haben ihr Leben rund um ein kleines Häuschen mit Garten in der Nähe von London organisiert. Dort säen und ernten sie ihr Gemüse und essen mit ihren Freunden. Damit wird das Haus von Tom und Gerri zum Zentrum von großen und kleinen Dramen des Alltags. Aus der rudimentären Beschreibung wird bereits ersichtlich, dass "Another Year" kein Film ist, der stringent eine bestimmte Geschichte erzählt. Mike Leigh ("Happy Go Lucky", "Secrets and Lies") organisiert seine Erzählung eher lose und episodenhaft. Das ist auch das Ergebnis der ganz besonderen Arbeitsweise des Regisseurs. Leigh hat vor den Dreharbeiten nie ein fertiges Drehbuch parat. Meist hat er nur eine Idee und die Vorstellung von den Schauspielern. Dann beginnt eine lange und intensive Probephase in der die Figuren des Films entwickelt werden. Erst langsam entstehen so die Dialoge und der eigentliche Verlauf des Films. Da gibt es Mary (grandios: Lesley Manville). Die Freundin von Tom und Gerri ist regelmäßiger Gast in diesem gemütlichen Haus. Wenn Mary zum Essen kommt, dann redet sie drauflos wie ein Wasserfall. Die Quasselstrippe kann einem schon auf die Nerven gehen und selbst Tom rollt hin und wieder mit den Augen. Doch Mary spricht nicht so viel, weil sie eitel ist und sich gerne reden hört. Nein, diese Frau ist einfach nur einsam. Sie hat niemanden und wird immer älter. Das Ehepaar ist ihr einziger sozialer Rückhalt. Die Jahreszeiten, die Leigh in wunderbar sehnsuchtsvolle Bilder packt, sind die wahren Rhythmusgeber dieser Geschichte. Erbarmungslos sind sie die Boten der vergehenden Zeit. Und dennoch ist dies ein helles und leichtfüßiges Werk. Ein intelligenter Film, der Hoffnung macht. Ein Film, der vom Alter und vom Altern erzählt ohne in Kitsch und Klischees zu verfallen. Das ist selten im Kino. Dafür muss man Leigh danken. Am besten mit einem Kinobesuch. |
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