Spotlight: DESIGN OF A DECADE - Filme der Neunziger

1996......  "William Shakespeare's Romeo und Julia": Aus alt mach neu und aus Leo einen Star

Das Jahr 1996 hatte zwei Gesichter. Für Kritiker und Freunde des anspruchsvollen Films war es ein nicht enden wollender Albtraum. Für den gemeinen Kinogänger und Actionfreak war es das Nirvana. Im wohl größten und lautesten Action-Sommer der Filmgeschichte folgten vier Streifen kurz aufeinander, die sich gegenseitig an Stumpfsinn und Dämlichkeit, aber auch an Budget und Einspielergebnis überboten. Schwarzenegger in "Eraser", Cruise in "Mission: Impossible", Tornados in "Twister" und schließlich und endlich die dümmsten Aliens der Filmgeschichte in "Independence Day". Das Publikum johlte, die Kritik stöhnte. Als der Sommer dann endlich vorbei war, wartete mit "Der englische Patient" schon der nächste Schrecken. Es war schon sehr bezeichnend für den Mist, den die Majors in diesem Jahr produzierten, daß diese Wüstenschmonzette so einfach zum Oscarreigen gehypt werden konnte. Überhaupt waren es die Independent-Filme, die das einzige Licht ins Dunkel dieses Jahres brachten. Die Coen-Brüder schufen ihr Meisterwerk "Fargo", die Wachowski-Brüder brachten mit "Bound" eine postwendende Hommage heraus, und Danny Boyle kreierte den ersten Kultfilm aus Schottland, "Trainspotting".
Und was, von all dem, blieb wirklich hängen? Auf was konnten sich sowohl Kritiker als auch Publikum aufmerksamkeitsmäßig einigen? Am Ende bleibt nur noch einer übrig: Baz Luhrmanns ultra-moderne Adaption von "William Shakespeare's Romeo und Julia". Während die Kritik das Werk sehr gespalten aufnahm, war das Publikum nicht mehr zu halten. Vor allem die Teenager dieser Welt bevölkerten die Kinosäle wie nichts Gutes und sorgten für die einzige handfeste Überraschung des Jahres. Shakespeare war auf einmal mega-in. Und Leonardo di Caprio, vorher ein vielversprechender Jungschauspieler, war auf einmal ein Megastar, der neue Traumboy junger Mädchen von 10-20. Und warum jetzt der ganze Hajopei?
Baz Luhrmann, relativ unbekannter Regisseur aus Australien mit einer gewissen Nase für den Trend, hatte eine gar nicht so schlechte Idee: Eine Adaption der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt, mit dem Style der Neunziger, aber der Sprache von Shakespeare. Visuelle, aber nicht textliche Modernisierung. Hörte sich zumindest faszinierend an. Das Ergebnis schwankte schließlich heftig zwischen genial und lächerlich. Die ersten fünf Minuten gehörten zum wildesten, was die Filmwelt je gesehen hat. Die Schnittgeschwindigkeit hätte jedem MTV-Trailer alle Ehre gemacht. Doch die Vermischung von jungen Straßenrowdies mit Shakespeare's Versen wirkte einfach zu albern, um ernst genommen zu werden. Zum Glück für Luhrmann sank mit dem Schnittempo auch die Lächerlichkeit, so daß sich der Film schließlich in eine akzeptable Modernisierung wandelte.
Während das Jungvolk sich gar nicht mehr beruhigen konnte ob des ach so süßen Leonardos und die Kritiker sich nicht ganz einig waren, ob das ganze jetzt eigentlich genial oder völlig mißlungen war, schrien die wahren Shakespeare-Freunde auf vor Schmerzen. Wenn Luhrmann eins nicht konnte, dann ein Stück zusammenstreichen. Der Originaltext wäre natürlich viel zu lang gewesen, aber was Luhrmann davon übrig ließ, ähnelte streckenweise einer "Greatest Hits"-Sammlung: Die berühmten Nummern waren alle da, es fehlte nur die Verbindung. Man hatte teilweise den Eindruck, als würden die beiden Liebenden im Gefühlstaumel aneinander vorbei reden, und die Verstümmelung der Rollen der Eltern bis auf totale Wortlosigkeit ließ den alten William wahrscheinlich im Grabe rotieren.
Es war Luhrmanns Glück, daß diejenigen, die der Film begeisterte und ihn dementsprechend weiter empfahlen, vom eigentlichen Stück so gut wie keine Ahnung hatten. Sonst hätte die wirklich lächerliche Umschreibung der Sterbeszene sicher mehr Entrüstung hervorgerufen. So aber mußte man davon ausgehen, daß das Publikum des Films noch nicht einmal wußte, daß es am Schluß kein Happy End geben würde.
"William Shakespeare's Romeo und Julia" war letztendlich kein weltbewegendes Ereignis. Er zog (glücklicherweise) nur einen weiteren Modernisierungsversuch nach sich, eine Adaption von Dickens' "Große Erwartungen", die ordentlich floppte. Die beachtliche Masse an Shakespeare-Verfilmungen, die in den nächsten Jahren entstand, hing zwar möglicherweise mit dem Erfolg dieses Streifens zusammen, konzeptionell gab es allerdings keine Gemeinsamkeiten mehr. Die wirklich wichtigen Auswirkungen des Films hatten mit dem Werk selber wenig zu tun: Zum einen zeigte er, daß die jüngste Generation der Kinozuschauer inzwischen sehr wohl in der Lage war, ganz allein einen Film zum Megahit zu machen, zum anderen machte er aus Leonardo di Caprio einen Publikumsmagneten, dessen wahre Dimensionen sich erst knapp eineinhalb Jahre später zeigen sollten. Aber das ist eine andere Geschichte, und soll ein anderes Mal erzählt werden.


....und Claire Danes war auch gar nicht mal *so* übel. Für die Jungs gibt´s immer auch was zu sehen