"Enron - The Smartest Guys in the Room" steht in einer
länger werdenden Reihe unabhängig produzierter Dokumentationen,
die in den letzten Jahren immer mehr Beachtung und Aufsehen finden.
Michael Moore war mit seinen agitatorischen "Bowling for Columbine"
und "Fahrenheit 9/11" sicher ein wichtiger Federführer
für die neue Popularität des Genres, doch Filme wie dieser
sind in der Lage, mit einem weitaus nüchterneren Tonfall ein
nicht minder großes Gefühl von Empörung und ohnmächtiger
Wut zu erzeugen, indem sie einen Job machen, der eigentlich den
großen Nachrichtenmedien obliegt - die Wahrheit zu berichten,
und zwar die ganze.
"Enron"
dokumentiert den spektakulären Aufstieg und noch spektakuläreren
Niedergang des gleichnamigen amerikanischen Energie-Unternehmens,
das sich Ende der 90er Jahre zu einem der erfolgreichsten Konzerne
der Welt aufschwang, um im Herbst 2001 innerhalb weniger Wochen
bankrott zu gehen. Über ein Jahrzehnt hatte die Firma mit ebenso
unglaublichen wie dreisten Tricks aus der Abteilung "kreative
Buchführung" ihre Geschäftszahlen so aufgehübscht,
dass der Börsenkurs permanent kletterte, alle Banken bei ihnen
investieren wollten und das Wirtschaftsmagazin "Fortune"
den Konzern sechsmal in Folge zum "innovativsten Unternehmen
Amerikas" kürte. Als der Schwindel schließlich aufflog,
machte die größte Firmenpleite in der US-Geschichte zehntausende
Menschen auf einen Schlag arbeitslos und zerstörte die Ersparnisse
und Pensions-Rücklagen von zahllosen Mitarbeitern und Kleinanlegern.
Die
Journalisten Peter Elkind und Bethany McLean (die im Februar 2001
mit dem ersten kritischen Artikel über das vermeintliche Muster-Unternehmen
den Stein ins Rollen brachte) fassten die Ereignisse in ihrem Buch
mit dem bitter-ironischen Titel "The Smartest Guys in the Room"
zusammen, und Dokumentarfilmer Alex Gibney ist das kleine Wunder
gelungen, den hochkomplexen Stoff auf 109 Filmminuten zu destillieren,
die dem Zuschauer zumindest ein grundlegendes Verständnis für
diesen verworrenen, hochspannenden Wirtschaftskrimi geben. "Enron"
ist aber weit mehr als eine meisterhaft komponierte und strukturierte
Chronik dieses Skandals, sondern bietet darüber hinaus eine
wahrlich beängstigende Reflexion über die Ausmaße,
die unkontrollierte Gewinnsucht in einem freien Markt annehmen und
was sie aus einem Menschen machen kann.
Der Film konzentriert sich auf die Männer an der Spitze, die
beiden Firmenchefs Kenneth Lay und Jeffrey Skilling sowie den Finanzvorstand
Andy Fastow, den maßgeblichen Designern des systematischen
Bilanzbetrugs, aber er lässt auch keinen Zweifel daran, dass
es sich hier nicht um die allein Schuldigen handelt (höchstens
die wichtigsten). Eine Unmenge von Banken, Investoren und Geschäftspartnern
haben an Enron mitverdient, und sie alle müssen - und daran
bleibt kein Zweifel - mehr oder weniger bewusst die Augen verschlossen
haben vor den Methoden, mit denen hier gearbeitet wurde. Ganz abgesehen
von den Leuten, deren alltäglicher Job es war, sich die Hände
schmutzig zu machen, damit die Gewinne stimmen. Sie alle wurden
angetrieben von purer Gier, der Aussicht auf schwindelerregende
Summen in den eigenen Taschen, die jede Skrupel verschwinden ließ.
Der
bizarrste und verstörendste Teil des Films behandelt die Energiekrise
des Staates Kalifornien im Jahr 2000. Unter anderem durch den politischen
Lobby-Einsatz von Enron waren die staatlichen Regulierungen für
den Energiemarkt gelockert worden, und der Konzern nutzte seine
Möglichkeiten schamlos aus, um den Strompreis hochzutreiben.
Mit zahlreichen manipulierten Netzstörungen und Versorgungsengpässen
bis hin zu kompletten Stromausfällen inszenierte Enron eine
künstliche Preissteigerung, die den Staat Kalifornien fast
ruinierte (und übrigens als direkte Konsequenz zur Abwahl des
amtierenden Gouverneurs Gray Davis und seiner Ablösung durch
Arnold Schwarzenegger führte). Gibney präsentiert dazu
Mitschnitte von Telefonaten zwischen Enron-Händlern, die in
diesen Tagen scheinbar nach Gutdünken ganz Kalifornien den
Saft abdrehen und durch Preistreiberei aberwitzige Millionen umsetzen
konnten. Wie diese Männer aufgegeilt durch ihre Macht und Kontrolle
die Bodenhaftung verlieren und jenseits jeden Hauchs von Mitgefühl
über die Millionen von Menschen Witze reißen, denen sie
gerade aktiv das Geld aus der Tasche ziehen, ist erschütternd
und beängstigend in der Direktheit, mit der es aufzeigt, wie
Profitgier aus Menschen echte Monster machen kann.
Auch
die psychologischen Untiefen, die sich in den Machenschaften der
Enron-Bosse und ihrer Art der Firmenführung andeuten, beleuchtet
Gibneys Film, ohne seine Subjekte jedoch zu verraten. Es wäre
ein Leichtes gewesen, Lay und Skilling als die großen Bösewichte
darzustellen, die gnadenlos absahnten und sich auf Abenteuerreisen
mit ihrer Führungscrew gerne ihre eigene Männlichkeit
bewiesen, als wäre auch die zur Perversion mutierte Welt der
Großfinanzen angetrieben durch einen immerwährenden Schwanzvergleich.
Doch Gibney schürft tiefer nach Motivationen und Antrieben,
will die Schuldigen verstehen, soweit das möglich ist, und
zeichnet somit unweigerlich ein Bild von außer Kontrolle geratenen
Philosophien und menschlicher Verführbarkeit, das die Grenzen
dieses konkreten Falls verlässt und einem ganz generell Angst
macht.
Und das liegt nicht nur an der Identifikation, die man als Zuschauer
ehemaligen Enron-Mitarbeitern entgegen bringt, die offen zugeben,
lieber weg gesehen und nicht genauer nachgefragt zu haben, sondern
auch an der Gewissheit, dass dies kein bloßes amerikanisches
Problem ist. Jede namhafte in den USA operierende Bank taucht in
der Liste der Geldinstitute auf, die sich bereitwillig an den fragwürdigen
Investmentplänen von Enron beteiligten, auch die Dresdner und
die Deutsche Bank. Gerade letztere hat ja kürzlich schon eindrucksvoll
bewiesen, dass Gewinnmaximierung bei ihr vor das Wohl der Mitarbeiter
geht.
So bleibt einem am Ende von "Enron - The Smartest Guys in
the Room" ähnlich wie bei Michael Moore nur diese ohnmächtige
Wut im Bauch, dass es am Schlimmsten immer die Unschuldigen trifft:
Über hunderttausend Menschen verloren durch die Nachwirkungen
der Enron-Pleite ihren Job, die meisten bei dem weltweit operierenden
Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen Arthur Anderson, das als eine
der fünf größten Firmen ihrer Art die Enron-Machenschaften
deckte und nach Aufdeckung des Skandals komplett kollabierte.
An diesem düsteren Fazit kann auch das nötige Postskriptum
nichts ändern, dass der in den USA bereits Ende 2005 veröffentlichte
(und 2006 für den Doku-Oscar nominierte) Film nicht mehr liefern
konnte: Der Betrugs-Prozess gegen Kenneth Lay und Jeffrey Skilling
wurde nach jahrelangen Recherchen im Januar 2006 eröffnet.
Gegen Skilling wurde schließlich eine Haftstrafe von 24 Jahren
und vier Monaten und eine Geldstrafe von 26 Millionen Dollar verhängt.
Der ebenfalls verurteilte Lay starb am 5. Juli 2006 im Alter von
64 Jahren, bevor sein Strafmaß festgelegt wurde.
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