Schwer
zu glauben, aber kaum ein Film des Kinowinters 2009 wurde innerhalb
der Filmszene-Redaktion so gespannt erwartet wie dieser. Der Grund
ist einfach: Die Tradition, an welche die Disney Animationsstudios
hier wieder anknöpfen wollen, ist für die meisten von
uns essentieller Bestandteil unserer Kindheits- und Jugend-Kinoerinnerungen.
"Arielle", "Aladdin", "Die Schöne
und das Biest" und "Der
König der Löwen" trugen ihren Teil dazu bei,
uns ans Wunderwerk Film und seine besondere Magie heranzuführen,
und die Vehemenz, mit der die Macher von "Küss den Frosch"
eben diese Ära immer wieder als Vorbild und Referenzgröße
angaben, machte auch uns nachhaltig neugierig.
Dabei schien diese Zeit unwiederbringlich vorbei zu sein, nachdem
es die Animations-Innovationsführer von Pixar geschafft hatten,
binnen knapp zehn Jahren die Disney-Animation quasi von innen zu
kapern. Das "zweite goldene Zeitalter" der Disney-Animation
(nach den einst von Walt persönlich angeführten Sternstunden
mit "Schneewittchen", "Dschungelbuch" und "Peter
Pan") erreichte seinen
Zenith 1994 mit dem "König der Löwen", ein Jahr
später lief Pixars Debüt "Toy Story" an und
besiegelte den Anfang vom Ende: Computeranimation hieß der
Weg der Zukunft, und während Pixar sich zu immer neuen Erfolgen
aufschwang und bald Nachahmer fand ("Shrek", "Ice
Age"), verlor man sich bei Disney in immer formelhafterer Wiederkäuung
des bisherigen Erfolgsmusters: Lose adaptierte, halbwegs bekannte
Mythen angereichert mit "verrückten" Sidekick-Figuren
und unterlegt mit einem eingängigen Pop-Soundtrack mit Chart-Potential
- das wurde zusehends uninspiriert und auch zusehends erfolglos.
"Der Glöckner von Notre Dame", "Hercules",
"Tarzan", "Pocahontas", "Mulan" -
keiner davon hatte das Zeug zum Klassiker.
Als man bei Disney schließlich versuchte, verlorenes Terrain
aufzuholen und doch noch eine eigene Computeranimations-Schmiede
auf die Beine zu stellen, war der Zug schon lange abgefahren. Die
selbstproduzierten Filme der neuen Art ("Himmel
und Huhn", "Triff die
Robinsons") waren relative Flops, so dass man nur noch
einen Ausweg sah: Die Pixar Studios, die dabei waren, sich von Disney
als Vertriebspartner zu lösen, nicht gehen lassen, sondern
gleich ganz aufkaufen. Im Zuge dessen wurde Pixar-Gründer Jon
Lasseter zum obersten Kreativkopf der gesamten Animationssparte
ernannt - und sorgte quasi als erste Amtshandlung für die Wiedereröffnung
der zuvor dichtgemachten Abteilung für klassische 2D-Handanimation.
Dass Disney nun wieder versucht, original Disney zu sein, ist also
eigentlich auch Pixar zu verdanken. Und wie bei allem, was Lasseter
anfasst - es funktioniert. Gott sei Dank. "Küss den Frosch"
hat sicher nicht ganz die überragende Klasse einer "Arielle"
oder eines "König der Löwen", dennoch kann man
erleichtert festhalten: Die Rückbesinnung auf die alten Stärken
klappt, und auch der alte Zauber ist wieder da.
In
traditioneller Manier knöpft man sich hier ein populäres
Märchen vor und adaptiert es sehr lose, um eine neue Geschichte
heraus zu bekommen. Jeder, der den Trailer von "Küss den
Frosch" gesehen hat, weiß, dass hier signifikant vom
eigentlichen Märchen um den "Froschkönig" abgewichen
wird - und das aus gutem Grund, denn die afroamerikanische Schönheit,
die den Frosch hier küsst, ist alles andere als eine Prinzessin.
Die Handlung ist angesiedelt im jazzigen New Orleans der 1930er
Jahre, und die Heldin Tiana ist eine Tochter aus einfachsten Verhältnissen,
welche die schöne Welt der Reichen nur kennt, weil ihre Mutter
Hausmädchen beim Quasi-König der Stadt war. Tiana spart
jeden müden Cent, um irgendwann einmal ihr eigenes Restaurant
eröffnen zu können. Darum lässt sie es auch nicht
unversucht, als eines Tages ein schleimiger Frosch auftaucht und
sich als verwunschener Prinz vorstellt - der sie für einen
befreienden Kuss reich belohnen wird.
Warum dieser Frosch zwar ein Prinz, aber kein sehr reicher ist,
warum er Tiana für eine Prinzessin hält und warum der
folgende Kuss nicht die angepeilten Folgen hat - diese Detailfragen
darf man gern persönlich bei einem Kinobesuch klären.
Fest steht: Die folgende Abenteuerreise von Tiana und Prinz Naveen
durch die Bayou-Sümpfe rund um New Orleans hat alles, was ein
großartiges,
klassisches Disney-Vergnügen ausmacht: Tempo, Humor, einen
wohl dosierten Schuss Romantik, und jede Menge tolle Musik. Denn
auch zu diesem Teil der großen Disney-Tradition kehrt man
hier zurück: In "Küss den Frosch" wird wieder
ausgiebig gesungen. Und das richtig gut und schön, was nicht
nur an der Besetzung der Sprecherrollen mit echten Gesangstalenten
liegt (was auch für die deutsche Version gilt), sondern auch
an der Wahl des Komponisten. Denn anstelle der Mainstream-Popper
wie Elton John, Phil Collins oder Sting, die Ende der 90er noch
die Songs komponieren und dafür den obligatorischen Oscar einstreichen
durften, vertraut man hier dem alten Haudegen Randy Newman. Und
der ist nicht nur eine gute Idee, weil er schon diverse Pixar-Erfolge
musikalisch aufgepeppt hat, sondern auch, weil er bekannt ist für
seinen feinen Sinn für Ironie, wegen dem man bei Newman-Songs
auch immer ein bisschen Schmunzeln und Augenzwinkern kann (was bei
Collins oder Sting ganz sicher nicht geht).
Das passt stilistisch ganz hervorragend zum sanft überdrehten
Erzählton, der hier par excellence ausgeführt wird, und
zwar nicht nur in Person des hormonübersteuerten High Society-Blondchens
Charlotte (quasi die "echte" Prinzessin in diesem Szenario),
deren jeder Auftritt ein wahrer Brüller ist. Für mächtig
Spaß sorgen - erwartungsgemäß - auch die beiden
zentralen Vertreter aus der Abteilung "lustige Sidekicks".
Und die sind die mit Abstand gelungensten Vertreter dieser Disney-Gattung
seit Timon und Pumbaa. Weil nämlich sowohl das swingende, Trompeten
spielende Krokodil Lou (eine Art "Balou of the Bayou")
als auch der Cajun-Glühwurm Raymond nicht "bloß"
herrlich gelungene und vor Witz sprühende Spaßgranaten
sind, sondern auch eigenständige
Charaktere mit jeweils eigenem Erzählbogen. Das verleiht ihnen
nicht nur Konturen, sondern auch eine für diese traditionellen
Witzbringer ungewohnte Gefühlstiefe. Der emotionale Höhepunkt
von "Küss den Frosch" gehört jedenfalls ganz
klar Raymond, dem Glühwürmchen. Da kann jedes tränenrührige
Happy End gegen einpacken.
Klar könnte man jetzt Spaßbremse spielen und darauf
beharren, dass hier doch wieder dieselben, althergebrachten Stilelemente
verwurstet werden, deren ideenlose Formalisierung schon vor zehn
Jahren zum Kreativtod der Disney-Animation geführt hat. Aber:
Im Vergleich zu den mauen Werken jener Tage hat man bei "Küss
den Frosch" nicht mehr das Gefühl, dass hier lustlos eine
Formel abgespult wird, sondern dass die Macher wieder echte Freude
daran hatten, sich im Rahmen ihrer eigenen Traditionen richtig auszutoben.
Da sprießt und spritzt es kunterbunt über die Leinwand
in den fast psychedelisch angehauchten "Musical"-Sequenzen,
dass man sich wohlig an "Dumbo" oder "Fantasia"
erinnert fühlt. Da stopft man in jede Szene, die irgendwie
einen leicht abgedrehten Gag dulden kann, mindestens drei rein.
Und da swingt man authentisch mit echter Musik im Blut, anstatt
schon halb auf die potentielle Hitparaden-Platzierung zu schielen.
Es gibt hier keinen garantierten Schmuse-Instant-Klassiker wie "Can
you feel the love tonight" oder "A whole new world",
trotzdem ist das hier der beste Disney-Soundtrack seit (auch auf
die Gefahr der Wiederholung hin) dem "König der Löwen".
Also: Mission accomplished. Die große Disney-Retro-Offensive
geht - zumindest künstlerisch - voll auf. Jetzt bleibt nur
zu hoffen, dass sie sich auch an der Kinokasse als erfolgreich erweist
und Jon Lasseters Überzeugung untermauert, dass die klassische
2D-Handanimation noch lange nicht tot ist. Dies ist endlich mal
wieder ein Film, auf dem ganz groß Disney drauf steht, und
auch ganz viel Disney drin ist.
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