Sábado - Das Hochzeitstape

Originaltitel
Sábado - Una película en tiempo real
Land
Jahr
2003
Laufzeit
65 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Anna Sola / 17. März 2011

 

"What a difference a day makes" sang einst Dinah Washington. Für Blanca reicht schon eine Stunde am Morgen ihrer Hochzeit, in der sie erfährt, dass ihr Verlobter sie nicht nur betrogen, sondern auch ihre Freundin Antonia geschwängert hat.
Mit dem Gespräch der beiden als Ausgangspunkt zeigt Regisseur Matías Bize seinen Film in "Echtzeit" (siehe den mal wieder schlecht übersetzten Originaltitel). "Sábado" ist stark inspiriert von Reality TV, erinnert aber zugleich an Alfred Hitchcock, der in seinem Film "Cocktail für eine Leiche" (bzw. "Rope", wo wir gerade bei Originaltiteln waren) ebenfalls das Gefühl von Echtzeit vermitteln wollte. Um die Kontinuität zu bewahren, fährt bei Hitchcock die Kamera circa alle 10 Minuten hinter den Rücken einer Person - ein Manöver, mit dem er seine Schnitte und das notwendige Wechseln der Filmrolle kaschierte. Dank der filmtechnischen Entwicklung von 40 Jahren und der Erfindung der Digicam hat Bize mit solchen Beschränkungen nicht zu kämpfen - sein Film hat tatsächlich nur einen einzigen Schnitt. Die wackelige Handkamera vermittelt ein Gefühl von Realität und Unmittelbarkeit. Durch das gewollte Nicht-weg-lassen besonders von den Momenten, in denen die Figuren sich mit der Präsenz der Kamera auseinandersetzen, kommen sowohl Regisseur als auch Zuschauer den Figuren so viel näher - eine Taktik, die schon Jean Rouch und andere Begründer des Cinéma vérité (eine filmtheoretische Bewegung, die Ereignisse in ihrer ungekünstelten Wahrhaftigkeit einfangen möchte) gerne benutzten.
Dies nun wieder verlangt den Schauspielern große Disziplin und Improvisationsvermögen ab. Eine Schwierigkeit, die diese hier jedoch mit Leichtigkeit meistern. Im Stil von Doku-Dramas und Reality Shows entscheidet sich Blanca, ihren Verlobten zur Rede zu stellen - jedoch nicht unter zwei Augen, sondern vor laufender Kamera. Da die Hochzeit für sie geplatzt ist, beschließt sie, eben ein Hochzeitsvideo der anderen Art zu drehen: nicht mit schönen, sondern mit schrecklichen Erinnerungen. Dass sie immer noch ihr weißes Hochzeitskleid trägt, macht das ganze nur pikanter.

Die Qualität des Films liegt vor allem darin begründet, dass Bize klammheimlich der Gesellschaft einen Spiegel vorhält, während sie sein Produkt konsumiert und genießt. Hieß es früher noch lahm "ich rede nicht ohne meinen Anwalt", heißt es heute "nicht ohne Kamera". Oder man bespricht seine Probleme am Besten gleich live im Fernsehen. So wird heutzutage George Orwells Alptraum von der ständigen Überwachung konterkariert, weil er geradezu von den Menschen verlangt wird. Wie absurd und menschenunwürdig zum Beispiel das früher radikale aber nun mehr viel zu oft kopierte "Big Brother"-Konzept ist, zeigt sich in der Konfrontation zwischen Blanca und ihrem Verlobten: Die wird mitten auf dem Gehweg ausgetragen, er nur in ein Simpsons-Handtuch gehüllt.

"Sabado" ist ein sehr kurzer Film, der es aber sowohl stilistisch als auch inhaltlich in sich hat - auch wenn der Oscar für den besten Schnitt sicherlich nicht für ihn in Frage kommt. Da der Regisseur erst 26 ist (!), werden wir hoffentlich bald seinen nächsten Film zu sehen bekommen. Sein Debüt ist auf jeden Fall sehr beeindruckend.

Bilder: Copyright

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