Sind wir nicht alle ein bisschen Gangsta?

von Simon Staake / 18. Juli 2010

Montag, 22.11.2005 - Das muss man sich schon fragen, angesichts der geballten Gaunerpower, die in den letzten Monaten nicht nur musikalisch auf uns niederprasselte, sondern demnächst auch auf der Leinwand überlebensgroß über uns herfällt. "Hustle and Flow" läuft dieser Tage an, die wenig verhüllte Starbiographie "Get Rich Or Die Tryin'" von Mega-Über-Super-Gangsta 50 Cent folgt demnächst. Und das Handy spielt dazu neben 473 weiteren coolen Klingeltönen aus dem Monatspaket immer noch "In dem Candy Shop von mein Block spielt neue deutsche Welle, Homie!".

Gerade "Get Rich Or Die Tryin'", der nach 50 Cents Debütalbum benannte Film, verursacht dabei schon im Voraus ziemliche Wellen. Der Titel scheint nicht nur reine Provokation, sondern - oh weh - für manchen auch Inspiration zu sein. Was das wandelnde Wechselgeld auch noch unterstützt, im Namen des keeping it real. Dabei wirkt der Mann, der sein Leben in der Gosse begann, wie das absolute Gegenteil seiner Vita, nämlich wie ein künstlich gezüchtetes Monster Frankensteinscher Prägung, ein von findigen Casting-Produzenten in heimlichen Laboren zusammengebauter Übergangsta. Guck mal, unser Gangsta hat Muskeln wie Berglandschaften! Guck mal, unserm Gangsta wurde auch schon ins Gesicht geschossen! Den Produzenten und Entdeckern Dr. Dre und Eminem muss das auch schon aufgefallen sein, beginnt 50 Cents erstes Video "In da Club" doch in einem heimlichen Versuchslabor für - genau - Super-Rapper. Einzig die Frage ist, ob die studierten Posen, das ganze "Bling-Bling & Bitches"-Gehabe, und die fragwürdigen Weisheiten des Curtis "50 Cent" Jackson auch auf reflektierfähige Augen und Ohren stoßen. Mittlerweile lebt man ja in der Postmoderne, in der nix originell und noch weniger original ist, und anders kann man sich so was wie 50 Cent auch kaum erklären. Denn ein Kunstprodukt…äh, Entschuldigung, authentisches Straßenprodukt natürlich, wie Herr halber Dollar, in all seiner hohlen Durchsichtigkeit, das kann und sollte man nicht ernst nehmen.

Aber ignorieren kann man es auch nicht, dafür sind des Herrn Kleingelds unreflektierte Einsichten in das fröhliche Gangsterleben, bei all der Freude über das Zurücklassen der gefährlichen Straßenexistenz, denn doch ein wenig zu unreflektiert. "Ich sterbe lieber wie ein Mann, als wie ein Feigling zu leben" röhrt sein Leinwandego in "Get Rich or Die Tryin'", und es ist genau diese Art von Botschaft, die bei den Halbstarken und den Heranwachsenden, oder den geistig nie aus dem Alter Herausgekommenen, auf unberechenbaren Boden fällt. Denn wo Imponiergehabe wichtig ist und Waffen verfügbar, da ist die von 50 Cent und Co. vertretene Ästhetik gefährlich. Weswegen auch jede Menge schwarze Interessensverbände in den USA schon im Vorfeld gegen "Get Rich Or Die Tryin'" ins Feld zogen und das erste Filmposter erfolgreich verbannt sahen, dass Schusswaffen ein wenig zu cool aussehen ließ. Boykottaufrufe blieben gegenüber dem Film ebenfalls nicht aus, da viele der Interessensgruppen den Einfluss des Films auf die eigenen Junioren fürchteten, die den Versuchungen von schnellem Geld mit allen Mitteln, auch und gerade gewalttätigen, ohnehin ausgesetzt sind. Dafür braucht man eigentlich keine Anweisung eines Multimillionendollar-50 Cent mehr, der das ja jetzt alles hinter sich hat, aber mit denkwürdigem Stolz und Sentiment auf die Gangsta-Vergangenheit zurückblickt.

Get Rich or Die Tryin'. Oder: Sei dumm, bleib dumm und werde wenn du Glück hast noch mit einer Karriere belohnt dafür, und wenn du Pech hast gleich begraben. Nur ärgerlich, dass sich ersteres - das halbe Dollarmodell - kaum durchgesetzt hat, während letzteres grad wieder bestätigt wird. Die Kunst - hier als Begriff großzügig ausgelegt - imitiert das Leben, aber das Leben schlägt zurück: In den US-Kinos, die den Film zeigen, nahmen einige offenbar genauso brillant denkende Nachahmer die Karrierevorschläge ihres Vordenkers 50 etwas zu genau, resultierend in Schlägereien, gezückten Messern und anderswo in einer Schießerei mit Todesfolge. Das Opfer hat sich offenbar nur die falsche Hälfte des Titels zu Herzen genommen und als Konsequenz davon die Kugel gleich mit.

Sind wir nicht alle ein bisschen Gangsta? Nein, das sind wir eben verdammt noch mal nicht!


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