Sie küssen und sie schlagen uns

von Patrick Wellinski / 12. Juli 2011

03.09.2008 - Großartig! Überragend! Bombastisch! Das müssten so in etwa die Adjektive sein, die sich Deutschlands erfolgreichster Filmproduzent Bernd Eichinger samt seiner Firma Constantin Film für ihr neustes Megaprojekt "Der Baader-Meinhof-Komplex" wohl von Publikum und natürlich auch von den Journalisten wünschen. Um dem möglicherweise anders lautenden Echo von vorzeitig erscheinenden Filmkritiken oder anderen Formen von kritischer Berichterstattung vorzuwirken, scheint dem Verleiher mittlerweile jedes Mittel recht. In diesem Zusammenhang kam es in München zum Eklat. Mitte August sollte einer kleinen Gruppe von Journalisten (allen voran den Kollegen des SZ-Magazins) eine vorläufige Rohschnittfassung des Films "Baader-Meinhof-Komlex" gezeigt werden. Aufgrund früher redaktioneller Deadlines müssen einige Print-Medien Filme früh genug sehen, um in den zum Starttermin aktuellen Ausgaben darüber berichten zu können, weshalb diese Magazine oft vor dem Rest der Medien-Meute zu gesonderten Pressevorführungen geladen werden. So weit nichts Ungewöhnliches. Und vielleicht wäre auch nie etwas an die Öffentlichkeit geraten, wenn diese kleine Gruppe von Journalisten nicht eine knallharte "Einverständniserklärung" vorgesetzt bekommen hätte, die umgehend in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wurde.

Baader Meinhof


Der Inhalt ist eigentlich ein Skandal. Die Besucher der Sondervorführung sollten sich durch ihre Unterschrift verpflichten "den Inhalt absolut vertraulich zu behandeln" und Interviews und Kritiken nicht vor dem 17.09.08 (eine Woche vor dem Bundesstart) zu veröffentlichen. Bei einer früheren Veröffentlichung von Interview oder Filmkritik sollten Medium wie auch der berichtende Journalist (!) jeweils 50.000 Euro (!!) an die Constantin Film Verleih GmbH zahlen. Die Veröffentlichung dieses Knebelvertrages rief beim Deutschen Journalisten Verband (DJV) verständlicherweise große Empörung hervor. "Diese Strafandrohung ist völlig inakzeptabel", sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken und forderte alle Journalisten auf, die ähnliche Forderungen vorgesetzt bekommen, den Film zu boykottieren. Die Kollegen der Süddeutschen Zeitung haben konsequenterweise sofort die geplante Berichterstattung über den Film eingestellt (unter anderem war ein großes Porträt der Hauptdarstellerin Martina Gedeck geplant).

Einen ähnlichen Skandal gab es vor einigen Jahren, als die Pressevorstellungen von Steven Spielbergs "Krieg der Welten" bevorstanden. Die Einverständniserklärung, die die Journalisten unterzeichnen mussten, wenn sie den Film sehen wollten, forderte (unter Androhung rechtlicher Schritte) Rezensionen frühestens einen Tag vor dem geplanten Starttermin zu veröffentlichen. Schon damals regte sich der DJV auf. Neben dem Knebelvertrag war die absurde und erniedrigende Kontrolle vor den Vorführungen empörend. Man hat sich als Filmkritiker inzwischen schon an einiges gewöhnt: Ergiebige Taschenkontrollen (wenn man überhaupt welche mit in den Saal nehmen darf) und Handy-Abgabezwang sind inzwischen genauso Usus wie der anschließende Gang durch einen Metalldetektor und die Abtastung durch einen völlig in schwarz gekleideten, bulligen Security-Mitarbeiter. Doch bei der Pressevorstellung von "Krieg der Welten" erreichte dieser paranoide Sicherheitswahn zur Vermeidung von verbotenen Mitschnitten einen neue Höhepunkt, als die Brillen tragenden Journalisten sogar ihre Sehhilfen abgeben mussten. In den Gestellen hätten ja Aufnahmegeräte integriert sein können. Einige kurzsichtige Kollegen verstanden die Welt nicht mehr - und den Film zum Gutteil dann leider auch nicht mehr, weil sie ihn kaum sehen konnten.

So skandalös diese Methoden und paranoiden Sicherheitsvorkehrungen in ihren Ausmaßen auch sind, sie gehören mittlerweile schon zum Alltag in der Filmberichterstattung. Restriktionen, Verbote und harsche Unterweisungen sind leider an der Tagesordnung. Wer bei Interviews aus der Reihe tanzt und sich traut einen Star mal eine frechere Frage zu stellen, wird beim nächsten Mal garantiert nicht mehr eingeladen. Man könnte auch über Verleiher berichten, die sich durch kleine oder auch größere Geschenke erhoffen, dass ihr Film in den Medien groß und prominent besprochen wird. Bestechung? Ach Quatsch, das geschieht doch alles nur im Sinne guter public relations. Und genau diese beiden Zauberwörter sind der Schlüssel für dieses Dilemma.
Der Fall "Baader Meinhof Komplex" ist nur das jüngste prominente Symptom eines viel tiefer greifenden Problems. Die großen Verleiher versuchen, die sich immer noch als frei und unabhängig verstehenden Filmjournalisten in den längst viel zu groß gewachsenen PR-Apparat zu integrieren. Da soll doch bitte alles nach Verleihlinie laufen. Unvorstellbar, dass Filme negativ besprochen oder gar verrissen werden. Unvorstellbar auch eine längerfristige Diskussion über einen Film, der noch nicht angelaufen ist. Das reguläre Publikum könnte ja so die unverschämte Chance erhalten, den eigenen Blick zu schärfen und würde plötzlich nicht mehr jeden Müll vorbehaltlos schlucken, der ihnen auf der Leinwand präsentiert wird. Bloß nicht! Viel besser ist es da, wenn Kritiken zu netten Werbebotschaften verkommen (am besten gleich aus dem Presseheft abgeschrieben).
Sicherlich sind auch die Filmberichterstatter zum Teil selber an dieser Misere schuld. Schweigend werden die zunehmend dreisteren Einschneidungen durch und Zugeständnisse an die Verleiher akzeptiert. So ist die Filmberichterstattung schon längst ein Teil der großen PR-Maschinerie geworden. Bunte Bilder von Premieren und Klatsch und Tratsch aus der schillernden Welt der Stars werden immer öfter (auch von seriösen Medien) kritischen Beiträgen vorgezogen. Verkauft sich halt besser. Man lässt es mit sich machen, denn schließlich muss man auch an das eigene Einkommen denken. Das ist verständlich und kann nicht ignoriert werden. Aber es muss auch irgendwo Grenzen geben. Seinen unvoreingenommen Geist völlig an die Gesetze großer Verleiher zu verkaufen bringt der Filmkultur nichts. Man muss Arbeitsverhältnisse öffentlich ansprechen dürfen. Und dazu gehört auch, den Stuhl anzusägen, auf dem man sitzt. Ansonsten bleiben die Filmjournalisten still und leise sitzen und lassen sich von den willkürlichen Reglements der Verleiher küssen und schlagen - schließlich hackt man nicht die Hand ab, die einen füttert.              

Vielleicht sollte man anfangen und den Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" boykottieren? So wie es die Kollegen der Süddeutschen Zeitung angekündigt haben. Ob sie es aber auch wirklich durchhalten werden? Spätestens am 25. September sind wir schlauer.

P. Wellinski

 


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