Kill Bill - Volume 1

Originaltitel
Kill Bill Vol. 1
Land
Jahr
2003
Laufzeit
90 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Simon Staake / 11. Juni 2010

 

Wäre Quentin Tarantino ein Zocker, er wäre immer der Mann mit dem Ass im Ärmel, der das Spiel im letzten Moment gewinnt. Was "Kill Bill" betraf, standen die Chancen auf einen neuen Geniestreich nach allen verfügbaren Informationen eher schlecht. Zum einen ist da die heftig diskutierte Entscheidung von Miramax und Tarantino, "Kill Bill" als zwei separate Teile in einem Abstand von vier Monaten ins Kino zu bringen (ähnlich dem Vorgehen bei "Matrix Reloaded" und "Matrix Revolutions"). Denn dies konnte nicht mehr als eine Verlegenheitslösung sein, war "Kill Bill" doch eindeutig als ein Film geplant worden. Und so sehr die beiden dicken Weinsteins von Miramax, in der Branche eh als Mafiosi verschrien, auch beteuerten, sie wollten damit "Tarantinos künstlerische Vision wahren" (dafür gehören gleich ein paar ganz große Scheine ins Phrasenschwein) und Tarantino dies heftig nickend bestätigte, so ganz wollte man sich dem Eindruck einer Abzocke und eines Betrugs am Zuschauer nicht erwehren. Zum anderen war da die Tatsache, dass Tarantino mittlerweile sechs Jahre missing in action ist, und das nach dem für seine Verhältnisse auch eher mittelmäßigen "Jackie Brown". Da stellte sich schon die Frage, ob Tarantino es überhaupt noch drauf hat, ob ihn seine Nachahmer und Nachfolger nicht vielleicht zwischenzeitlich überholt haben...

Alle diese Fragen beantwortet "Kill Bill Vol. 1", und zwar in beeindruckendster Weise, nämlich mit einem kräftigen Schwerthieb quer über die gedämpften Erwartungen, gleichbedeutend mit einem "No fucking way!". Tarantino is back! Und wie. Der König nimmt nach langer Absenz wieder seinen Platz ein. Und er beweist, dass in Sachen Coolness und Style nur einer ganz an der Spitze ist. Was Tarantino hier veranstaltet, kann die Konkurrenz nur sprachlos gaffen lassen, denn er tritt ihnen mit seinem neuen Film derart in den Hintern, dass sein Schuh eigentlich irgendwo in Brustkorbhöhe wieder austreten müsste. Dies ist die Art von Film, die sein im Abspann gegrüßter ‚Bruder' Robert Rodriguez mit "Irgendwann in Mexiko" machen wollte und sollte und kläglich scheiterte: stilvoll, actionreich, blutig, humorvoll, episch und noch vieles mehr. Was hier gezeigt wird ist ein wahres Feuerwerk an Ideen und Zitaten, ein Popkulturuniversum im Westentaschenformat, ein Kessel Buntes der allerfeinsten Art.

Schon die Eröffnungssequenz ist typischer Tarantino und gibt wieder mal grandios Stimmung und Stil vor: Das Bild ist schwarzweiß. Eine blutverschmierte, hochschwangere Frau im Brautkleid (Uma Thurman) spricht röchelnd den titelgebenden Bill an. Mit einem mit seinem Namen bestickten Taschentuch wischt dieser ihr fast liebevoll das Blut ab und sagt "Dies ist das masochistischste, was ich je tun musste". Sie röchelt "Es ist dein Baby, Bill" und er schießt ihr aus nächster Nähe in den Kopf. Abblende. Nancy Sinatra fängt an zu singen "Bang, Bang, my baby shot me down".
Diese jetzt schon fast klassische Eröffnungssequenz schwebte Tarantino fast zehn Jahre im Kopf herum, und nun kann er sie endlich zeigen. Und den Rest seines epischen Rachedramas dazu. "Kill Bill" im nämlich im Grunde eine Geschichte der ganz simplen Machart. Als Hommage an die Kung Fu-Filme und Spaghettiwestern, die der junge Quentin in seiner Jugend lieben lernte, geht es hier nur um eins: Rache. Blutige Rache. Und wenn wir hier blutig sagen, dann meinen wir blutig. Hier werden im Comicstil Körperteile abgetrennt, und aus den Wunden spritzt literweise Kunstblut in geradezu abstrusen Fontänen durch die Gegend. Verantwortlich dafür: Die nach vier Jahren aus dem Koma erwachte "Braut" (ihr Name wird sorgsam ausgebliept). Und "die Braut" haut ins Auge! Genauer gesagt metzelt sie sich per Messer und Samuraischwert durch ihre Feinde und deren Helfershelfer (wobei eins, zwei Augen auch dran glauben müssen...). Die Feinde sind natürlich ihr ehemaliger Boss und Liebhaber Bill (David Carradine, den man in diesem ersten Teil noch so gut wie gar nicht sieht) und ihre ehemaligen Kollegen im Elitekillerkommando "Deadly Viper Assassination Squad": O-Ren Ishii (Lucy Liu), Vernita Green (Vivica A. Fox), Budd (Michael Madsen) und Elle Driver (Darryl Hannah). Den ersten beiden geht es hier an den Kragen, die anderen drei müssen sich dann in "Kill Bill, Vol. 2" warm anziehen. Soweit zur simpel aber effektiv gehaltenen Geschichte, die man freilich erst nach Genuss des zweiten Teils so richtig beurteilen kann.

Tarantino treibt in "Kill Bill" seinen sattsam bekannten Popkultur-Referenzstil zu vollster Blüte. Und zeigt auch, warum niemand so unwiderstehlich stiehlt wie er. Wie er hier verschiedenste Genres, Musikstile und Motive miteinander vermischt, das ist wahrlich einmalig. So wird dann die Herkunft von Yakuza-Königin O-Ren Ishii (Lucy Liu wieder mal oberbiestig) als Anime erzählt und dazu ertönt der wehmütige Musikscore aus einem alten Spaghettiwestern. Ein wirklich fantastische Sequenz, auch für Menschen, die dem asiatischen Zeichentrick bisher eher weniger abgewinnen konnten, denn dieses Kapitel von "Kill Bill, Vol. 1" dürfte sogar sie überzeugen. Später unterlegt er einen durchs plötzliche Versetzen in eine Schneelandschaft ohnehin ins Reich des Fantastischen abdriftenden Schwertkampf elegant mit Flamencoklängen.
Die Musikauswahl ist stellvertretend für die Art, wie Tarantino diesen Streifen (und auch seine anderen bisherigen Filme) anging. Vor die Wahl gestellt, ob er für den Score Mariachi-, asiatische, Flamenco-, Blaxploitationsoul-, Rock-, oder klassische Filmscore-Klänge wollte, hat Tarantino nicht lange gezögert, und nahm sie gleich alle. Ähnlich verhält es sich mit den Anspielungen und Zitaten in Form und Inhalt (eine der offensichtlichsten ist das gelbblaue Kampfkostüm der Braut, eine Hommage an Bruce Lee), von denen der Zuschauer erschlagen wird und im Ernstfall sicher gerade mal einen Bruchteil erkennt. Ist ja auch völlig schnuppe, solange das Ergebnis so überzeugt wie hier. Außerdem hat der Regisseur noch eine ganz eigene Erklärung für diesen Extremfall der Referenznahme, indem er "Kill Bill" zum ersten Film des eigenen Schaffens erklärt, der doppelte Popkulturreferenz ist: "Es gibt das ‚Quentin Universum', in dem z.B. "Pulp Fiction" und "Jackie Brown" spielen, und ein ‚Filmuniversum', auf dass diese Figuren, wenn sie Filme gesehen haben, verweisen. "Kill Bill" ist der erste Film aus diesem Filmuniversum." Und so sind dann auch etwaige Vorwürfe betreffs der mangelnden Charaktertiefe oder der simplen Story wie weggeblasen. Apropos: Weggeblasen wird man als Zuschauer auf jeden Fall auch von dem Showdown von "Kill Bill Vol. 1", einem fast halbstündigen Kampf der Braut mit den Yakuzakillern Crazy 88 und ihrer Anführerin O-Ren Ishii. Tarantino zieht hier alle Register, und das Ergebnis erstaunt und begeistert in gleichem Maße.

Gleichzeitig ist "Kill Bill" in gewissem Sinne kein klassischer Tarantinofilm, wenn man bedenkt, dass sich seine ersten drei Filme hauptsächlich über ihre geschliffenen Dialoge definierten, und die Action den coolsten Gesprächen der Filmgeschichte untergeordnet war. Hier ist es genau umgekehrt: Geredet wird wenig, und wenig einprägsam, stattdessen gibt es Action, Action und noch mal Action, von einer kleinen Ruhepause im Mittelteil des Films - in der die Braut von dem japanischen Schwertkämpfer Hattori Hanzo (Kung Fu-Legende Sonny Chiba) ein Schwert handgefertigt bekommt - mal abgesehen.
Dies wäre also die einzige klitzekleine Enttäuschung. So eminent viele zitierbare Zeilen wie in den vorherigen Werken wirft "Kill Bill Vol. 1" nicht ab. Aber das kann ob der innovativen Kameraarbeit mit teils unglaublichen Einstellungen, der perfekt durch choreographierten Kampfszenen, der eigenwilligen aber perfekten Mischung aus wunderbaren Bildern und grandiosem Soundtrack - kurz: der absoluten Coolness und Stilsicherheit des Gezeigten - nicht ernsthafte Beschwerden nach sich ziehen. Er mag nicht, wie Tarantinos unantastbare Meisterwerke "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction", nach Höherem streben, aber das, was er versucht, schafft dieser Film unnachahmlich. "Kill Bill" ist intelligentes Unterhaltungskino in der Reinform.

Und auch die Angst davor, enttäuschenderweise nur einen halben Film zu sehen, widerlegt "Kill Bill Vol.1". Denn das Ende kommt zum rechten Zeitpunkt, baut geschickt einige weitere Handlungsfäden auf und macht Appetit auf mehr. Und das war ja das Ziel der Sache. Befriedigender als der abrupte Schluss von "Matrix Reloaded" ist das allemal. Apropos: Im Vergleich zum Cyberspektakel der Wachowskis sieht man dann auch, warum es letztlich tatsächlich die künstlerisch richtige Entscheidung war, "Kill Bill" als Zweiteiler in die Kinos zu bringen. Denn die (zu) langen Kung Fu-Kämpfe in einem (zu) langen Film wirkten bei der wiedergeladenen Matrix einfach ermüdend. Hier ist man nach dem Riesenshowdown denn auch erst mal gut bedient und braucht ein Päuschen. Und natürlich hat Meister Tarantino auch recht, wenn er sagt, dass seine Hommage an die grindhouse movies seiner Jugend - also die Spartenfilme, die in Kleinkinos noch lange nach der Blütezeit ihres Genres liefen - nicht sehr viel länger sein dürfte. Denn ein solcher Film, der drei Stunden dauert, wäre ein Widerspruch in sich selbst. Gut gekontert, Quentin, altes Schlitzohr!

"Kill Bill Vol.1" ist der stylischste, originellste, mutigste, purste und beste Unterhaltungsfilm des Jahres. Und das ist nicht nur wesentlich besser als offen befürchtet, sondern noch besser als heimlich erwartet. Ein kleiner Triumph.


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