Lovecraft-Liebhaber und Schock-Spezialist: Zum Tod von Stuart Gordon

von Simon Staake / 27. März 2020

„Ich möchte Filme machen, die den Zuschauern unter die Haut gehen“ hat Stuart Gordon in einem Interview mal zu Protokoll gegeben, und bei der Ansicht seines filmischen Schaffens, dem der diese Woche verstorbene Regisseur nun nichts mehr hinzufügen wird, kann man sagen: Das hat Gordon auf jeden Fall geschafft, und dies wiederholt.

Für Genre-Fans gründet sich Gordons Ruhm vor allem auf einer Reihe von Verfilmungen der Geschichten von H.P. Lovecraft. Schockieren stand Gordon im Blut, schon als Universitätsstudent gründete er eine Experimental-Theatergruppe, deren satirische und provokative Stücke Ausschreitungen und Polizeieinsätze nach sich zogen, und formte in Chicago die Organic Theater Company, mit denen er in den 1970ern und frühen 1980ern 37 Stücke auf die Bühne brachte. Aber es war der Ruf des Kinos, der „enfant terrible“ Stuart Gordon zum Helden einer ganzen Generation von Horrorfans machte.

 

Es ist schwierig, sich ein wilderes Debüt vorzustellen als „Re-Animator“. Der Film machte nicht nur Hauptdarsteller Jeffrey Combs zum Kulthelden und Barbara Crampton zu einer populären „scream queen“, sein wilder „Alles ist erlaubt!“-Stil belebte auch das amerikanische Horrorkino, das sich gerade durch die Endphase der Slasherwelle wurstelte. Und ein Film, in dem ein Zombie versucht, mit seinem abgetrennten Kopf Oralverkehr an einer Frau vorzunehmen, rief natürlich auch die Zensur auf den Plan - „Re-Animator“ musste umgeschnitten werden, um dem gefürchteten X-Rating zu entgehen. Der extrem schwarze Humor des Films dämpft allerdings auch die größeren Geschmacklosigkeiten ab.

„Re-Animator“ mag den größeren Wiedererkennungswert haben, der Nachfolger „From Beyond – Aliens des Grauens“ (1986), in dem der Provokateur nochmals nach Lovecraft-Motiven alle Register des Ekel- und Exploitation-Kinos zieht, ist aber mindestens ebenso gut: Die steife Wissenschaftlerin wird zur geilen Lustbraut im ledernen Domina-Outfit, der verrückte Wissenschaftler und perverse alte Sex-Onkel lässt sich ein paar extra lange Finger wachsen, um besser nubile junge Frauen zu betatschen, und dem unschuldigen Assistenten wächst ein Wurm-Monster hinter der Stirn, das Hirne frisst. Wer „From Beyond“ einmal gesehen hat, wird den Film nicht vergessen. Der Film startete ebenfalls einen Trend für Gordon, denn um Geld zu sparen drehte er „From Beyond“ wie auch dessen Nachfolger (aber vorher gedrehten) „Dolls“ in Italien für einen Bruchteil dessen, was der Film in den USA gekostet hätte.

Nach dem ausführlicher in unserem Halloween-Special besprochenen „Dolls“ zog es Gordon als nächstes in Richtung Science Fiction („Robot Jox“, sein Quasi-Mainstreamfilm „Fortress“ mit Christopher Lambert, „Space Truckers“) und sogar erstaunlicherweise zu Disney: Gordon schrieb die erste Fassung von „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft" und sollte sogar die Regie übernehmen, bevor gesundheitliche Probleme dies verhinderten. Die Rieseninsekten und anderen Gefahren für die auf Winzgröße geschrumpften Protagonisten waren schon so ausreichend aufregend für Kinder. Man kann sich nur wohlig oder eben schaurig ausmalen, wieweit Gordon als Regisseur die Dinge noch getrieben hätte.

Gordons Karriere in den 1990ern zeigt auch den relativ schnellen Niedergang des handgemachten Genre-Kinos. 1995 musste er sich bei Charles Bands Megabilligheimer Full Moon-Produktionen verdingen, um mit „Castle Freak“ (dt. „Torture Castle“) einen weiteren Lovecraft-inspirierten Streifen zu machen. Wie zu besten Exploitationzeiten wurde der Film nur aufgrund seines Titels verkauft. Trotz Winzbudget ist „Castle Freak“ besser als sein Ruf, aber das Signal für die Zukunft ist gesetzt. Nach Italien ging es nun nach Spanien, wohin Gordon seinem alten Spezi Brian Yuzna (gerade mit unserem Filmtipp „Society“ hier prominent vertreten) folgte, der dort noch günstige Budgets für seine Horrorstreifen fand. Mit „Dagon“ legte Gordon einen Film vor, gegen den eigentlich alles spricht: wenig überzeugende lokale Darsteller, ein an der Grenze zum Nervigen chargierender Hauptdarsteller, und CGI-Effekte, die aussehen wie Testversionen eines Videospiels von 1995. Trotzdem gelingt Gordon, besonders in der ersten Hälfte, atmosphärischer Horror, bevor der Film in der zweiten Hälfte in immer noch sehenswert wilden Gore kippt.

In den 2000ern entfernte sich Gordon dann vom Horrorgenre und arbeitete im düsteren („Edmond“, „Stuck“) und teils extrem gewalttätigen („King of the Ants“) Drama, um zum Ende seiner Karriere sogar noch den Weg zurück zur Bühne zu finden, vermutlich auch – seien wir da ehrlich – weil es für Veteranen wie ihn oder John Carpenter immer schwieriger wurde, Budgets für ihre Filme zu bekommen. Sich selbst treu geblieben ist sich der Schockspezialist bis zum Ende: Seine letzte Theaterproduktion „Taste“ war eine Adaption der Geschichte des Kannibalen von Rotenburg, Armin Meiwes.

Stuart Gordon verstarb am 24. März im Alter von 72 Jahren an seinem Wohnort Van Nuys im Großraum Los Angeles. 


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