Little Fires Everywhere

von Frank-Michael Helmke / 7. Juni 2020

Reese Witherspoon ist nicht nur einer der größten Schauspielstars in Hollywood, sie ist auch eine enorm präsente Medien-Persönlichkeit in Sachen female empowerment und eine sehr aktive Kämpferin für die gesellschaftliche Gleichstellung und Anerkennung von Frauen. Seit Witherspoon ihre eigene Produktionsfirma gegründet hat, ist es daher wenig Wunder, dass sie sich programmatisch der Entwicklung von Projekten verschrieben hat, in denen komplexe Frauen im Fokus stehen (auf der großen Leinwand u.a. "Gone Girl" und "Wild"). 

Auf dem Fernsehschirm landete Witherspoons Firma "Hello Sunshine" gleich mit ihrem ersten Projekt "Big Little Lies" einen Riesen-Erfolg. Mit Witherspoon selbst in einer der Hauptrollen neben u.a. Nicole Kidman und Laura Dern, ist die Roman-Adaption nicht nur enorm stark besetzt, sondern bietet zumindest in der ersten Staffel auch eine filmisch brillant erzählte und fesselnde Geschichte. Die zweite Staffel kann zwar zusätzlich mit Meryl Streep in einer absolut genial gespielten Rolle als böse Schwiegermutter aufwarten, leidet ansonsten aber offensichtlich darunter, dass die Handlung der Romanvorlage mit der ersten Staffel auserzählt war und die Serie sehr bemüht auf der Suche nach überzeugenden neuen Geschichten für ihre Figuren ist.

Witherspoons neuestes Projekt folgt ihrem inzwischen offensichtlichen Modus Operandi: Bei der Mini-Serie "Little Fires Everywhere" handelt es sich erneut um eine Roman-Adaption eines erfolgreichen Bestsellers, wie der Großteil der "Hello Sunshine"-Produktpalette. Witherspoon spielt hier Elena Richardson, Journalistin und vierfache Mutter, die mit ihrer scheinbar perfekten Familie ein scheinbar perfektes Leben in einer wohlhabenden, liberalen Kleinstadt führt. Einzig die aufmüpfige jüngste Tochter Isabelle sorgt gelegentlich für Ärger.

Das harmonische Familienleben gerät langsam aus den Fugen, als Elena die Bekanntschaft der mysteriösen Mia Warren (Kerry Washington) macht. Die fast mittellose, afroamerikanische Künstlerin führt mit ihrer Tochter Pearl (Lexi Underwood) ein nomadisches Leben, von einer Stadt zur nächsten weiterziehend mit nicht mehr als dem Inhalt ihres klapprigen kleinen Autos. Elena vermietet Mia aus Mitleid eine Wohnung und bietet ihr schließlich auch noch einen Job als Haushaltshilfe in ihrem eigenen Heim an. Ein Angebot, dass die distanzierte Mia erst annimmt, als Pearl sich mit mehreren von Elenas Kindern anzufreunden beginnt, um ein Auge darauf zu haben, dass Pearl nicht zu sehr unter den Einfluss ihrer neuen, reichen weißen Bekannten gerät. Elena gibt sich zunächst große Mühe, Mia als Freundin zu gewinnen. Doch je mehr sich das Leben der Familien Richardson und Warren miteinander verflechtet, desto größer werden die Spannungen zwischen den beiden grundverschiedenen Frauen.

"Littles Fires Everywhere"  bedient sich zur Eröffnung des gleichen erzählerischen Kniffs wie "Big Little Lies": Am Anfang steht ein Verbrechen, um dann mehrere Monate zurückzuspringen und die Geschichte zu erzählen, wie es dazu kam und vor allem, wer dahinter steckt. Bei "Big Little Lies" war dieses Rätsel allerdings deutlich spannender: Dort wurde nur klar, dass es einen Mord gab. Wer dort getötet hat, blieb genauso offen wie wer getötet wurde. Das war fesselnd und hielt die Spannungsschraube stramm gezogen bis zur finalen Auflösung. "Little Fires Everywhere" kommt da deutlich zahmer daher: In der Eröffnungsszene brennt das prachtvolle Haus der Richardsons nieder, ohne dass es dabei ein menschliches Opfer gibt. Während Elena fassungslos in die Flammen starrt, liegt der erste Tatverdacht auf einem Vergeltungsakt ihrer jungen Tochter Isabelle. 

Die erste Antwort auf die Frage nach dem Täter bzw. der Täterin ist natürlich falsch. Und es ist wohl nicht zuviel verraten, dass auch die offensichtliche zweite Antwort (Mia) ein bisschen zu einfach ist, um richtig zu sein. Aber ohnehin rückt die Frage "Wer zündet am Ende das Haus an?" beim Betrachten von "Little Fires Everywhere" schnell in den Hintergrund. Es geht hier nicht um die Geschichte eines sich anbahnenden Verbrechens. Die Serie ist viel mehr ein Gesellschaftsroman, der sich sehr reflektiert mit einer ganzen Bandbreite weiblicher Themen auseinandersetzt, vor allem den vielen Aspekten des Mutterseins. Ganz der Programmatik von "Hello Sunshine" folgend, erweisen sich Elena und Mia als vielschichtige, komplizierte Frauenfiguren, deren Dramatik sich in einer bemerkenswerten Tiefe aus ihrer Geschlechterrolle und ihrer weiblichen Identität nährt. In dieser Komplexität bekommt man das auch heutzutage nur selten geboten. 

Vor allem, wenn auch noch das zweite große Spektrum dieses Gesellschaftsromans hinzukommt: Der alltägliche Rassismus in seiner kompliziertesten Ausprägung - nämlich durch wohlmeinende, liberale Weiße, in deren Selbstbild Rassismus überhaupt nicht vorkommt. Wie selbst kleine Gesten und unbedacht gewählte Wörter immer wieder die Ungleichheit und Grenzen zwischen Weiß und Schwarz (und anderen Minderheiten) in den Vordergrund rücken, wird hier sehr prägnant herausgestellt.

"Little Fires Everywhere" manövriert dabei in einer sehr schwammigen Grauzone um die immer wiederkehrende Frage: "Ist das schon Rassismus, ja oder nein?". Sind die liberalen Weißen sich aus ihrer privilegierten Stellung heraus einfach nicht im Klaren, auf welche sensiblen Minen sie treten? Oder reagieren die Schwarzen zu empfindlich, indem sie ständig rassistische Einstellungen vermuten, wo gar keine sind? Die Mini-Serie schafft es überzeugend, in dieser schwierigen Frage keine anklagende Position einzunehmen, sondern einzig deutlich herauszukehren, wie kompliziert die Sache ist. Als Elena zum Beispiel Mia den Job in ihrem Haushalt anbietet, ist das entweder ein gut gemeinter Akt von Frauensolidarität, oder ein verkappter Fall von "Weißer-Retter-Komplex". Oder beides.  

Das mag jetzt alles etwas schwer und verkopft klingen, aber keine Sorge: Das ist "nur" der thematische Unterbau einer Geschichte, die auf ihrer Oberfläche einen sehr ordentlichen dramatischen Drive entwickelt. Tatsächlich weht gelegentlich ein sanfter Hauch von Seifenoper durch die Handlung, wenn "Little Fires Everywhere" in seine dramaturgischen Spitzen geht. Das gilt vor allem, als Elena und Mia in ein örtliches Justizdrama um einen Adoptionsfall verstrickt werden und sich als Unterstützerinnen auf unterschiedlichen Seiten wiederfinden. Auch die Nebenstränge um das Freundschaftsgeflecht zwischen den Teenager-Kindern sind nicht frei von solchen Elementen. Allerdings: Wenn das Soap Opera ist, dann auf allerhöchstem Niveau ausgeführt. Das überspitzte Drama bildet eine großartige Folie, um die komplexen Charaktere der Figuren auszuleuchten und immer wieder auf die unterliegenden Kernthemen zurückzuverweisen. Dazu wird es auch noch getragen von einem glänzend besetzten Ensemble, das sowohl bei den "Großen" als auch bei den Teenagern restlos zu überzeugen weiß (wobei Witherspoon und Washington natürlich alles überstrahlen, und vor allem letztere dürfte diverse Fernsehpreis-Nominierungen sicher haben). 

Im Schlaglicht stehen bei Alt als auch bei Jung dabei ganz klar die weiblichen Charaktere, sowohl Elenas Ehemann Bill (Joshua Jackson) als auch ihre beiden Söhne sind eigentlich nur reagierende Figuren, denen eine Geschichte passiert, anstatt dass sie die Geschichte lenken. In vielen Fernsehserien fällt auch heutzutage die dramatische Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern immer noch andersherum aus. Sehr schön, dass Reese Witherspoon da für solch hochwertiges Gegengewicht sorgt. 

Wenn "Little Fires Everywhere" schließlich seinen Showdown erreicht und die Frage, wer das Feuer vom Anfang wirklich gelegt hat, endlich beantwortet wird, hat die Mini-Serie auf ihren diversen Handlungssträngen eine gehörige Menge dramatischen Ballast aufgehäuft, der nun aufgelöst werden muss. Und das auch noch kombiniert mit den unterliegenden Themen um Muttersein, Selbstfindung, Identitätsfragen, Lebenslügen, und noch einer ganzen Menge mehr. Die Kulmination am Ende ächzt unter diesem Gewicht und wirkt dadurch in machen Aspekten etwas gezwungen, wenn sie Glaubwürdigkeit zugunsten von Symbolträchtigkeit opfert, gerade in der finalen Auflösung der Brandstifter-Frage. 

Vom nicht ganz gelungenen Schluss aber mal abgesehen ist "Little Fires Everywhere" eine erzählerisch herausragende Mini-Serie, die vollkommen aus ihren Figuren heraus eine sehr spannende Geschichte erzählt, ganz ohne Mord und Totschlag. Auf jeden Fall kann man sich angesichts dieser sehr überzeugenden Arbeit auf weitere Projekte von Reese Witherspoon als Produzentin freuen.         

"Little Fires Everywhere" ist seit dem 22. Mai 2020 exklusiv bei Amazon Prime Video verfügbar.                    

Bilder: Copyright

Inszenatorisch auf hohem Niveau, keine Frage.
Auch die Kinder/Jugenddarsteller erfreulich unnervend und komplex.
Aber sonst? Hatte oft das Gefühl, eine Soap zu sehen. Subtil war hier nichts, schon gar nicht die Rassismus Anklänge. Insbesondere das Spiel von Washington habe ich als unfassbar nervtötend empfunden. Overacting at its worst.. gleiches gilt für Witherspoon. Beide Figuren hatten nichts sympathisches (was ja auch kein Muss ist).
Auch Big little Lies könnte man als eine Soap bezeichnen. Aber Welten besser als Little Fires Everywhere. Zumindest die erste Staffel, zweite habe ich nicht gesehen.

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