Früher war alles besser - "Almost Famous" und der Glaube an andere Zeiten

von Frank-Michael Helmke / 3. Juli 2009

10.05.2001 - Es hat seine Vorteile, im Jahr 2001 zu leben. Zum Beispiel gibt es das Internet, damit findet man gleichgesinnte Spinner zu egal welchem Thema von egal woher. Und jeder von uns Spinnern kann ohne größere Probleme seinen Senf zu egal was ihn auch immer beschäftigt ablassen. Es ist auch schön, im Jahr 2001 zu leben, weil man dann Filme wie "Almost Famous" sehen kann. Einen Film, der so voller Liebe, Hingabe und Leidenschaft für eine einzige Sache ist, daß es sich unmöglich angemessen auf einer Website wiedergeben lassen könnte. Egal, wie gut die Seite ist.

Es hat auch seine Nachteile, im Jahr 2001 zu leben. Weil man gleichgesinnte Spinner fast nur noch übers Internet findet, weil sich immer weniger Spinner trauen, auch zu zeigen, daß sie Spinner sind. Und es ist auch traurig, im Jahr 2001 zu leben, weil man dann Filme wie "Almost Famous" sieht. Einen Film, der so voller Liebe, Hingabe und Leidenschaft für eine einzige Sache ist, die es nicht mehr gibt. Für Musik, die noch um ihrer selbst Willen gemacht wird. Deren Sinn es ist, Menschen etwas zu geben, was sie glücklich macht. Die dazu beitragen kann, daß die Welt ein kleines bißchen schöner wird. Und wer diesen Satz kitschig fand, ist schon selber ein Teil des Problems geworden.

In "Almost Famous" geht es um die Zeit, als der Rock'n'Roll starb. Als die Musik ihre Ehrlichkeit verlor, ihren Sinn, ihre Seele. Weil es auf einmal anfing, ums Geschäft zu gehen. Weil Platten, Eintrittskarten, Magazine und T-Shirts verkauft werden wollten. Eine Zeit, in der man aufhörte, seine Ideale zu leben. Seine Ideale leben ist heute der realitätsferne Traum von ein paar Alt-Hippies, die vergessen haben, daß Woodstock seit dreißig Jahren vorbei ist, es da außerdem die ganze Zeit geregnet hat, alles schmutzig war und stank und der Sound beschissen, weil die Anlage zu klein. Das ist richtig, und es ist Teil des Problems.

Denn es ist unerheblich, wie das Wetter war, das Soundsystem, die Luft und die Umgebung. Wichtig ist nur, daß man da war, um Leuten zuzuhören, die da waren, um Musik zu machen für die Leute, die da waren, um ihnen zuzuhören. Keine Eintrittskarten, keine T-Shirts, keine Bühnenchoreographie, keine Fototermine, und weder MTV noch Viva waren stolz darauf, Ihnen dieses Ereignis zu präsentieren. Britney Spears und die Backstreet Boys hätte damals keiner sehen wollen, denn sie schaffen nichts, sie wurden nur geschaffen. Sie sind ein Produkt, aber das kann man ihnen noch nicht einmal zu Vorwurf machen. Denn sie sind auch nur Teil des Problems.


Früher war alles besser. War es ganz sicher nicht. Aber "früher" hat, im Vergleich zu der Zeit, in der wir wirklich leben, den unschätzbaren Vorteil, daß man daran glauben kann. "Almost Famous" schenkt diesen Glauben, schenkt aber gleichzeitig auch den unstillbaren Wunsch, dabei gewesen zu sein, um zu wissen, daß es früher wirklich besser war.

Das ist gefühlsduselig, verträumt, naiv, idealistisch und weltfremd, aber Verdammt noch mal! genau das ist das Tolle daran. Weil es an eine Zeit erinnert, in der sich niemand über solche Spinnereien lustig machte, weil es allen anderen genauso ging.


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