Rocketman

Originaltitel
Rocketman
Jahr
2019
Laufzeit
121 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Moritz Hoppe / 26. Mai 2019

Seit 2015 „Straight Outta Compton“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, welche Wirkung die populäre Musik vergangener Tage und ihre Protagonisten auf der Leinwand entfalten können, erlebt die Musiker-Biografie als Genre eine kleine Renaissance. Schließlich bezieht sich die Kraft ihrer Geschichten im Optimalfall nicht nur auf die rein akustische Ebene - oftmals werden auch politisch-gesellschaftliche Thematiken mit bzw. durch die Musik behandelt, verarbeitet und in einen aktuellen Kontext gesetzt.

Der 2018 erschienene „Bohemian Rhapsody“ ist das aktuell prominenteste Beispiel für Musiker-Biopics. Die filmische Darstellung des künstlerischen Schaffens von Queen überzeugte nicht nur aufgrund eines groß aufspielenden Rami Malek, auch inszenatorisch gelang es immer wieder, die musikalische Energie von Queen in eindrucksvolle Bilder zu fassen - was auch der Verdienst von Regisseur Dexter Fletcher war, der nach dem Rauswurf des offiziellen Regisseurs Bryan Singer kurz vor Ende der Dreharbeiten die Produktion zu Ende führte und auch den finalen Schnitt des Films leitete. Nun versucht sich der Brite an der nächsten Musiklegende: mit Elton John porträtiert Fletcher nicht nur einen absoluten Ausnahmekünstler der Popmusik, sondern auch einen Menschen, dessen Leben einer Achterbahnfahrt gleichkommt. Produziert von Marv Films (unter anderem bekannt für die „Kingsman“-Reihe) kreiert „Rocketman“ eine teils eigenwillig poetische, teils unnötig kitschige Reise durch das Leben eines Mannes, der in seiner Kunstfigur mehr als nur seine musikalische Selbstverwirklichung verarbeitete.

Reginald Dwight (Taron Egerton) erkennt früh, dass in ihm musikalisches Talent schlummert. Aufgewachsen in schwierigen Familienverhältnissen gelingt es ihm im Alter von elf Jahren an der Royal Academy of Music zu studieren und kurz darauf bereits erste Banderfolge zu feiern. Durch Zufall lernt Reginald den Songschreiber Bernie Taupin (Jamie Bell) kennen, und schon kurz darauf arbeiten die beiden Rock 'n' Roll-Liebhaber an ersten eigenen Songs. Reginald Dwight ändert seinen Namen zu Elton John und legt damit den Grundstein für eine immens erfolgreiche und gleichzeitig ungewöhnliche Karriere. Doch mit dem Erfolg kommen auch die Verführungen: Drogenkonsum nimmt eine immer größere Rolle im Leben des britischen Weltstars ein.

Die Erzählung über das Aufwachsen und die frühe Karriere Elton Johns findet in einem stark subjektiv geprägten Rahmen statt: Der Film beginnt mit einer Szene in einer Selbsthilfegruppe, welche der schrill gekleidete Elton John besucht, um seine Lebensgeschichte zu erzählen. Der Zuschauer folgt somit den Erinnerungen des Hauptprotagonisten und findet sich in dessen selbstkonstruierter und skurriler Welt wieder. Leider aber verfällt „Rocketman“ dabei viel zu häufig dem Kitsch. Obwohl eine subjektive Erzählweise gewählt wurde, arbeitet Fletcher dennoch genretypische Handlungsmuster ab, wodurch eine störende Vorhersehbarkeit eintritt. Dass „Rocketman“ dem Vergleich mit „Bohemian Rhapsody“ von vornherein nicht entgehen kann, ist wenig verwunderlich und trotzdem erscheinen einzelne Sequenzen wie eine etwas buntere Kopie des Queen-Biopics. Erste Berührungen mit Drogen, schmierige Labelbosse und die Inszenierung der Studioaufnahmen - im Hinblick auf das Gesamtwerk hätte es diese Momente gar nicht geben müssen, denn eigentlich vermag es „Rocketman“ immer wieder, eigene und mutige Akzente zu setzen.

Gerade inszenatorisch kommt die subjektive Sichtweise am deutlichsten zum Vorschein. Fletcher bedient sich an Musicalelementen und verleiht dem Film dadurch einen eigenwilligen Charakter, weil er ihn bewusst ins Fantasiehafte hinübergleiten lässt. „Rocketman“ widersetzt sich jeglichem Realitätsanspruch, die Konzertsequenzen finden häufig im surrealen Gewand statt. Gepaart mit der musikalischen Ebene kreiert Fletcher auf diesem Weg großartige Einzelmomente mit Gänsehautpotenzial. Und auch sonst lässt sich sagen, dass „Rocketman“ in seinen Musicalmomenten am stärksten ist. Toll choreographiert und eindrucksvoll gefilmt erzeugen die Gesangs- und Tanzeinlagen eine Sogwirkung, die bezüglich des reinen Unterhaltungsfaktors schlichtweg großartig ist.  

Der offene Umgang mit Elton Johns Homosexualität erweist sich derweil als wichtiger und mutiger Schritt für das Mainstreamkino, denn gerade im Vergleich zu „Bohemian Rhapsody“, der Freddie Mercurys exzessiven schwulen Lebenswandel nur sehr verschämt thematisierte, werden Sex- und Liebesszenen hier explizit gezeigt. Diese Offenheit sollte in der heutigen Zeit eigentlich keine Besonderheit mehr sein und „Rocketman“ setzt hierbei wichtige Akzente, ohne dabei plakativ zu wirken.

Auf emotionaler Ebene hingegen fehlt es dem Biopic etwas an Wirkung. Das könnte mitunter daran liegen, dass der Film die Kunstfigur Elton John im Fokus hat und dabei die schwierige Kindheit des Superstars nur sehr sporadisch und oberflächlich behandelt. Im ersten Drittel wirkt „Rocketman“ daher etwas gehetzt. Einzelne Szenen erweisen sich im Gesamtkonstrukt zudem lediglich als Mittel zum Zweck, anstatt ihre volle emotionale Wirkung zu entfalten. Dadurch erscheint der Beginn des Films auch sehr episodenhaft und stichpunktartig erzählt, was dem allgemeinen Erzählfluss schadet.

Dies ist aber hauptsächlich dem Drehbuch geschuldet, denn schauspielerisch kann Taron Egerton in der Rolle von Elton John vollends überzeugen. Von der ersten bis zur letzten Sekunde ist Egerton anzusehen, mit welcher Leidenschaft und Hingabe der 29-jährige Brite das exzentrische und schrille Leben Elton Johns darzustellen versucht. Seien es krachende Musikeinlagen oder ruhige Dialogszenen – Egerton trifft in seinem Schauspiel immer wieder die richtigen Töne. Was dabei aber auch keinesfalls unerwähnt bleiben darf, ist das großartige Kostümdesign des Films. Schlüpfte Taron Egerton in der „Kingsman“-Reihe noch in Agentenanzüge, sind es nun die knallbunten und ikonischen Kostüme Elton Johns. „Rocketman“ sieht in jeder Sekunde ungemein stimmig und stilvoll aus. Bezüglich des reinen Schauwerts gibt es also nichts zu meckern.

„Rocketman“ bietet stellenweise ganz großes Kino: Die Musicalchoreographien, das Kostümdesign, die surrealen Erzählmomente und das beeindruckende Schauspiel Taron Egertons sprechen für sich. Doch leider stehen das holprige Erzähltempo sowie die konstruiert wirkenden Kitschmomente einem entspannten Filmgenuss etwas im Wege. Nichtsdestotrotz überzeugt der Film mit seiner ungewohnt fantasievollen Erzählart, die definitiv eine mehr als passende filmische Umsetzung von Elton Johns flamboyanter Karriere ist. Gelegentliche Gänsehaut garantiert.

Bilder: Copyright

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