Ray & Liz

Originaltitel
Ray & Liz
Jahr
2018
Laufzeit
110 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Moritz Hoppe / 7. Mai 2019

Dass Film und Fotografie in einem engen Verhältnis zueinander stehen ist kein Geheimnis. Dabei haben sich beide Kunstformen aus technischer Sicht immer wieder gegenseitig in ihrer Entwicklung vorangetrieben. Und auch auf künstlerischer Ebene orientieren sich Film und Kino immer wieder an der Fotografie (Antonionis „Blow-Up“ führte schon 1964 ästhetisch und thematisch beide Kunstformen zusammen). So ist es wenig verwunderlich, dass der britische Fotograf Richard Billingham nun die Fotokamera beiseitegelegt hat und mit „Ray & Liz“ sein Debüt als Regisseur im Medium Film gibt.

1996, im Alter von gerade einmal 25 Jahren, hatte Richard Billingham mit seinem Familienalbum „Ray’s Laugh“ seinen künstlerischen Durchbruch. Seitdem zählt der aus Birmingham stammende Fotograf zu den bedeutendsten Fotokünstlern Großbritanniens. Seine Familie spielt bei seinem Erfolg eine wichtige Rolle: Billingham behandelt in einigen seiner Arbeiten seine trostlose Kindheit in den West Midlands und das Aufwachsen unter den Augen seines alkoholabhängigen Vaters. Und ebenso trist wie diese Lebensrealität gestaltet sich nun auch sein Langfilmdebüt – Billingham zeigt in „Ray & Liz“ mit inszenatorischer Zurückhaltung und fotografischer Perfektion nicht nur den Zerfall seiner eigenen Familie, sondern kreiert gleichermaßen eine tiefgreifende Milieustudie.  

Inhaltlich handelt es sich bei „Ray & Liz“ um drei episodisch erzählte Momentaufnahmen: Die Familie Billingham, sesshaft in Birmingham, lebt am Existenzminimum. Das alltägliche Leben der Familie ist geprägt von Armut und Langeweile. Der alkoholabhängige Vater Ray (Justin Salinger) und die übergewichtige Mutter Liz (Ella Smith) geben sich voll und ganz ihrer Lethargie hin, während die beiden Kinder Richard (Jacob Tuton/Sam Plant) und Jason (Callum Slater/Joshua Millard-Lloyd) unter dieser Lieblosigkeit leiden.  

Billingham will gar nicht erst den Eindruck erwecken, dass es sich bei „Ray & Liz“ um ein fiktives Familiendrama handelt. Wie für viele seiner Arbeiten typisch soll der Film als schonungslos persönliches Abbild seiner eigenen Kindheit und Jugend gesehen werden. Der Erzählfokus liegt dabei auf den Auswirkungen, welche die fehlende Erziehung auf Richards kleinen Bruder Jason hatte. Der Zuschauer wird dabei zum stillen Beobachter und somit zum unsichtbaren Teil der Familie und ist auch in den intimsten Momenten durch viele Nah- und Großaufnahmen ganz dicht bei den Charakteren. Das steigert die Intimität nicht nur bis ins Unerträgliche, sondern stellt auch bildlich die Perspektivlosigkeit der Familie dar.

Visuell arbeitet Billingham bei „Ray & Liz“ sehr eigenwillig: Der Film ist ganz im Stil des Fotobandes „Ray’s Laugh“ im 4:3-Format gedreht und bewegt sich bezüglich der sowohl tristen als auch kontrastierten Farbgebung fernab jeglicher Kinokonventionen. Billingham schafft es dabei immer wieder, den dreckigen und heruntergekommenen Alltag der Familie in einer harmonischen Bildkomposition einzufangen. Die dadurch hervorgerufene Diskrepanz zwischen der Optik und dem Inhalt des Bildes führt zu einer Art artifiziellem Dokumentarcharakter - Künstlichkeit und Realität liegen bei „Ray & Liz“ ganz nah beieinander. Billingham rückt Objekte und Tiere durch Großaufnahmen ins Bildzentrum und verleiht ihnen dadurch oftmals einen symbolischen Charakter. So wird beispielsweise ein nie endendes Puzzle schnell zum Zeichen der Antriebs- und Perspektivlosigkeit oder der Fernseher zur scheinbar einzigen Verbindung zur Außenwelt.

Viele der angesprochenen Themen und Darstellungsweisen erinnern an die Erzählungen des poetischen Realismus: Neben Menschen der Arbeiterklasse und der Mischung aus Realismus und Symbolismus spielt auch ein dominierender Pessimismus immer wieder eine wichtige Rolle. „Ray & Liz“ beginnt mit der Darstellung des Vaters als alter, gebrechlicher Mann, dessen Lebensinhalt aus Alkoholkonsum und dem Beobachten der heruntergekommenen Wohnsiedlung besteht. Die Grundstimmung des Films wird somit schon in den ersten Minuten deutlich gemacht. Auch die vereinzelt auftretenden humoristischen Elemente des Films sind vielmehr tragischen Ursprungs. Wird beispielsweise Lol (Tonay Way), der liebenswürdig chaotische Onkel von Richard und Jason in Gesellschaft von Untermieter Will (Sam Gittins) dazu überredet, sich dem Restbestand an Alkohol im Haus zu widmen, während er eigentlich auf den kleinen Jason aufpassen sollte, bleibt einem das Lachen schnell im Hals stecken.

„Ray & Liz“ behandelt auf persönliche Art und Weise die Kindheit des Regisseurs Richard Billingham und setzt dabei auf eine ebenso persönliche Bildsprache. Billingham schafft es, die familiären Probleme mit Hilfe langer Einstellungen und einer einprägsamen Symbolik zu visualisieren. Das eigenwillige Filmdebüt des britischen Fotografen erzeugt schnell eine kaum zu bestreitende Sogwirkung und das schwere Thema dürfte den Zuschauer auch noch lange nach der Filmvorführung beschäftigen.

Bilder: Copyright

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