Nur eine Frau

Jahr
2019
Laufzeit
96 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Volker Robrahn / 8. Mai 2019

nur frau 1Der im Jahr 2005 in Berlin verübte „Ehrenmord“ an der 23jährigen Hatun Aynur Sürücü ist wohl der hierzulande bekannteste Fall eines solchen im Namen der Familienehre begangenen Verbrechens. Die Entschlossenheit und Brutalität mit der dort ein junger Mann seine Schwester erschoss, die Verweigerung jeglicher Trauer auf Seiten ihrer Familie, die Bedrohung und Einschüchterung der Kronzeugin – das alles machte Schlagzeilen und schockierte viele, die sich bis zu diesem Vorfall nicht vorstellen konnten, dass solche Parallelgesellschaften mit komplett anderen Vorstellungen von Recht und Unrecht in Deutschland tatsächlich existieren. Jahre nach der Tat, dem Prozess und mittlerweile auch der Freilassung des Mörders erzählt nun Sherry Hormann („Wüstenblume“) diese Geschichte in Form eines Spielfilms.

nur frau 2Aynur (Almila Bagriacik) ist eine ganz normale, junge und selbstbewusste Frau aus Berlin. Zu der hat sie sich zumindest entwickelt, nachdem sie sich einige Jahre zuvor noch in eine von ihrer Familie arrangierte Zwangsheirat mit ihrem Cousin gefügt hatte, mit diesem in der Türkei lebte und schwanger wurde. Doch nachdem sie von ihrem Mann verprügelt wurde flieht sie zurück nach Berlin, wo die Familie sie nur widerwillig aufnimmt. Denn nach deren Verhaltenskodex ist die Frau schuld an der Entwicklung, muss sich als Zeichen ihrer Schande schwarz verschleiern und darf auch das Haus fortan nicht mehr alleine verlassen. Auch das akzeptiert Aynur zunächst, schläft sogar in der Putzkammer um ihre Brüder und Schwestern nicht zu stören. Doch als ihr Sohn Can schließlich geboren ist, hält sie die beengten Verhältnisse irgendwann nicht mehr aus und lässt sich vom Amt eine eigene Wohnung vermitteln, in der sie selbstbestimmt leben und ihr Kind großziehen will. Neue (deutsche) Freunde, Beziehungen und schließlich sogar das Ablegen des Kopftuches sorgen dafür, dass das Gefühl der „Schande“ für ihre Familie dabei immer größer wird. Doch Aynur will nicht wahr haben, dass sogar ihr Leben in Gefahr ist.

nur frau 3Die über mehrere Jahre laufende Entwicklung erzählt uns das Opfer selbst – im Rückblick und um ihren unvermeidlichen Tod wissend. Ein diskutabler Ansatz, denn natürlich wäre auch eine andere Herangehensweise möglich gewesen. Aber dann doch einer, der sich als sehr effektiv erweist, denn so bekommen wir vor allem Aynurs eigene Bewertung der Dinge zu hören, vor allem auch die Einschätzung der Aktionen ihrer sämtlichen Familienmitglieder. Während sie bestimmten Personen von vornherein einen „Arschloch“-Charakter bescheinigt, ist bei anderen bis zum Schluss eine Art Liebe und Zuneigung zu spüren, trotz aller Beschimpfungen und Enttäuschungen, die sie hinnehmen muss. Und hinzunehmen hat diese Frau lange Zeit einiges, nur dass sie dann – im Unterschied zu vermutlich Zigtausenden in ähnlicher Situation – dies halt irgendwann nicht mehr tut, widerspricht, aufbegehrt und nun ihren eigenen Weg geht. Und dabei dann den fatalen Fehler begeht zu glauben, dass Beides möglich sei – ein selbstbestimmtes Leben und trotzdem weiterhin die Nähe zu ihrer Familie. Diese Naivität mag mit dem Wissen um den Ausgang befremdlich wirken, es ist allerdings ein Wunsch, den wohl so ziemlich jeder nicht in derart engen Konventionen aufgewachsene als völlig nachvollziehbar und normal betrachten würde.

Hormanns Film arbeitet diese Widersprüche innerhalb des Charakters von Aynur gut heraus und macht ihre Entscheidungen nachvollziehbar, auch wenn man ihr in bestimmten Momenten einfach zurufen möchte „Lauf weg, zieh doch endlich in eine andere Stadt“ - nur dies halt immer mit dem entsprechenden Wissensvorsprung. Es wird aber auch deutlich, warum das von ihrer Tochter bzw. Schwester gewählte freie Leben, das gleich mit mehreren „Gesetzen“ und Traditionen bricht und sich aufgrund der unmittelbaren Nähe quasi direkt vor ihren Augen abspielt, für den Rest der Familie so unerträglich ist. Denn innerhalb deren Weltbildes ist jedes neue luftige Kleid und jede männliche Bekanntschaft von Aynur nichts anderes als eine weitere Prvokation und ein ausgestreckter Mittelfinger in ihre Richtung.

nur frau 4So gesehen ist die finale Lösung für diese Familie nicht nur völlig logisch, sondern tatsächlich eine Art Befreiung, die die Trauer um die Tochter und Schwester klar überstrahlt. Der jüngste Bruder wird dementsprechend für seine Tat von Einigen auch zum Vorbild und aufgrund seiner Bestrafung zum Märtyrer ernannt. Was für jeden, der sich für einen aufgeklärten, vernünftigen Menschen hält, vollkommen absurd erscheint, folgt für andere dagegen einer Logik, die ihnen von der Kindheit an indoktriniert wird und bei der sie gar nicht auf die Idee kommen diese infrage zu stellen. Dass dem so ist und wie stark der Druck und die Beeinflussung dahingehend auch bei Einwanderfamilien der zweiten oder dritten Generation nach wie vor durchschlagen – das arbeitet der Film sehr gut heraus, wozu auch die durchaus sehr überzeugenden, absolut realistisch und glaubwürdig agierenden Darsteller ihren Teil beitragen.

Die Filmemacherin Sherry Hormann besitzt eine Vorliebe für reale (Frauen-)Geschichten und hat dabei bisher nicht immer ein gutes Händchen gehabt, wie ihr eher ärgerlicher Natascha Kampusch-Film „3096 Tage“ belegt. Bei „Nur eine Frau“ beweist sie jedoch ein feines Gespür für die richtigen Töne, die dieses Werk zu einem machen, das Eindruck hinterlässt und nachdenklich macht.

Bilder: Copyright

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