Leid und Herrlichkeit

Originaltitel
Dolor y gloria
Land
Jahr
2019
Laufzeit
113 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Moritz Hoppe / 10. Juni 2019

Der neueste Film des spanischen Ausnahmeregisseurs Pedro Almodóvar ist zugleich sein bisher persönlichster. Seit mehr als 40 Jahren ist der Oscarpreisträger im Filmgeschäft tätig, nun entwirft er mit „Leid und Herrlichkeit“ ein autofiktionales Werk, in dem er sein filmisches Schaffen auf bewegende und ehrliche Art und Weise Revue passieren lässt. Der Film ist dabei nicht nur gespickt mit intertextuellen Bezügen zur Karriere Almodóvars, sondern lässst darüber hinaus mit Antonio Banderas auch einen der größten spanischen Schauspieler, der schon oft mit Almodóvar zusammengearbeitet hat, in der Hauptrolle aufblühen.

Der spanische Regisseur Salvador Mallo (Antonio Banderas) ist geplagt von etlichen Krankheiten und körperlichen Problemen. Diese hindern ihn daran, weiterhin als Regisseur tätig zu sein und lassen ihn, fernab jeglichen sozialen Umfelds, in seiner Wohnung verkommen. Eines Tages bekommt er jedoch die Nachricht, dass sein Film „Sabor“ restauriert und wiederaufgeführt werden soll. Das Projekt wird für Salvador zu einer Reise in seine Vergangenheit, die den spanischen Filmemacher in seine Kindheit mit seiner Mutter Jacinta (Penelopé Cruz) zurückblicken lässt und ihm deutlich macht, welche erzählerische Kraft im Kino steckt.

„A great actor is not the one who cries, but the one who knows how to contain the tears.” Diese Regieanweisung, die Salvador Mallo seinem ehemaligen Arbeitskollegen Alberto Crespo (Asier Etxeandia) mit auf den Weg gibt, trifft auch auf „Leid und Herrlichkeit“ selbst zu. Almodóvar erzählt zwar eine mitreißende Geschichte, versucht aber zu keinem Zeitpunkt eine emotionale Reaktion beim Zuschauer zu erzwingen. Die langsame Erzählweise lässt viel Platz für ruhige Momente und umfangreiche Figurencharakterisierungen. „Leid und Herrlichkeit“ springt dabei viel in der Zeit, die Kindheit von Salvador Mallo wird immer wieder in Rückblenden beleuchtet. Dies gestaltet sich anfangs aufgrund der unveränderten Bildsprache als gewöhnungsbedürftig, fügt sich aber letztlich sehr stimmig und sinnvoll zusammen.

Die Dialoge sorgen zu Teilen für Gänsehautmomente und die subtile Inszenierung ermöglicht einen behutsamen Blick auf Salvador Mallos Leben. Almodóvar behandelt seine Hauptfigur mit einer durchdringenden Ehrlichkeit, was vor allem auf das großartige, nuancierte Schauspiel von Antonio Banderas zurückzuführen ist. Selten zuvor hat man Banderas dermaßen melancholisch und einfühlsam erleben dürfen. Zwar lässt Amodóvar seine Geschichte in einem fiktionalen Rahmen stattfinden, jede einzelne Figur erfüllt dabei aber einen symbolischen Zweck: Sei es Penélope Cruz als schillernde Mutterfigur oder Leonardo Sbaraglia als die erste große Liebe.

Das Prinzip der Intertextualität, dem Verweissystem auf frühere Werke des spanischen Regisseurs führt zu einem ungemein detaillierten und eigenwilligen Filmerlebnis, ohne dass Almodóvar dabei dem Narzissmus verfällt. Almodóvars Karriere zeugt von einer unheimlichen Vielfalt, so reicht sein Repertoire von Komödien („Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“) über Melodramen („Alles über meine Mutter“) bis hin zu Thrillern („Die Haut, in der ich wohne“). Viele seiner wichtigsten Karrierestationen werden in „Leid und Herrlichkeit“ behutsam eingebaut, dies passiert oftmals sehr beiläufig und reiht sich reibungslos in den Erzählfluss ein.

Almodóvar blickt selbst auf kunstvolle Weise mal distanziert, mal sehr intim auf sein Leben zurück. So wird beispielsweise seine erste große Liebe innerhalb des Films in einem Theaterstück aufgegriffen und thematisiert. Der Inhalt des Stücks besteht aus einer von Salvador Mallo geschriebenen Kurzgeschichte, die Alberto Crespo nach langem Bitten von Mallo bekommen hat. Die Inszenierung des Theaterstücks führt zu einem der eindrucksvollsten Momente des Films – der behutsamen Annäherung zweier Männer, die auch nach all den Jahren noch starke Gefühle und Leidenschaft füreinander empfinden.

„Leid und Herrlichkeit“ besteht aus vielen solcher Erzählungen in der Erzählung. In den knapp 112 Minuten Laufzeit erzeugt Almodóvar beim Zuschauer das Gefühl, die Essenz seines künstlerischen Schaffens nachvollziehen zu können. Wie das Lesen eines fremden Tagebuchs gewährt „Leid und Herrlichkeit“ immer wieder Einblicke in eine ganz persönliche Lebensgeschichte. Die Kraft der Kunst und des Kinos wird nicht nur innerhalb des Films, sondern auch durch den Film selbst verdeutlicht. Die Macht der kleinen und großen Geschichten, die durch das Kino tagtäglich in die Welt getragen werden, nimmt bei Almodóvar eine zentrale erzählerische Rolle ein. All das findet jedoch auf sehr subtile Art und Weise statt, mal durch scheinbar beiläufige Dialoge oder Aufnahmen von DVDs und Filmplakaten.

Und genau diese Subtilität macht „Leid und Herrlichkeit“ zu einem besonderen Filmerlebnis. Vermutlich wird Almodóvars neuestes Werk hier und da aufgrund der langsamen und gemäßigten Erzählweise anecken. Doch vor allem Filmliebhaber und Fans des spanischen Ausnahmeregisseurs werden die Detailverliebtheit zu schätzen wissen und sich in der sehr persönlichen Geschichte verlieren. Die Mixtur aus Biografie und Fiktion lässt eine spannende Reibungsfläche entstehen, die ein vielschichtig lesbares Gesamtwerk hervorbringt.

Bilder: Copyright

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